Takashi Yamashita hat mehr als 100 japanische Spieler nach Deutschland vermittelt. Doch statt mit Bundesligaklubs zu verhandeln, muss er seinen Klienten beibringen, wie man Müll trennt.
„Möchtest du etwas trinken?“, fragt Eveline Podehl. „Nein, ich habe kein Wurst“, antwortet Jo Inui. Da muss selbst die Lehrerin kurz lachen. Mainz, Innenstadt, Hinterhof, dritter Stock. In der Sprachschule Ridder kratzt sich ein Mädchen verlegen am Kopftuch, in der vordersten Reihe tippt ein junger Mann ausgiebig auf seinem Smartphone herum. Rechts hinten sitzt Jo, zwei weitere junge Japaner neben ihm schreiben fleißig mit. An der Tafel steht: Beruf, Ziele, Erfolg. Große Worte. Jo korrigiert sich. „Ich habe keinen Durst“. Die Lehrerin hebt den Daumen. Es geht doch.
Derweil steht Takashi Yamashita auf dem Flur vor dem Klassenraum und guckt auf sein Handy. Heute Morgen hatte er eine lange Telefonkonferenz mit seinen Partnern aus Japan. Es ging um die Zielsetzungen für die kommende Saison, um mögliche Transfers, Geduld und Erfolgsquoten. Während er eine SMS tippt, spricht er mit Daigo Ogino, Spieler bei der zweiten Mannschaft von Darmstadt 98, sechste Liga, einem seiner Schützlinge. Will er bleiben? Es bei einem neuen Verein versuchen? Oder lieber zurück nach Hause? Beruf, Ziele, Erfolg – zwischen Linoleumboden und Leuchtstoffröhren sind auf diesem Flur schon so manche Träume zerstoben.
24-Stunden-Lebensberatung
Takashi Yamashita, genannt Taka, ist einer der umtriebigsten Spielervermittler des Landes. In den vergangenen fünf Jahren hat er weit mehr als 100 japanische Fußballer nach Deutschland gebracht. Er selbst nennt sich „Kontaktmann“, was ein bisschen nach Karatetrainer klingt, aber vielmehr eine 24-Stunden-Lebensberatung für junge Japaner
ist, die ihre Heimat verlassen haben, um in Europa Fußballstars zu werden.
Doch die Kyotakes, Hosogais und Sakais, die regelmäßig die Bundesliga in Verzückung versetzen, sind nicht seine Klienten. Yamashitas Spieler stehen beim FV Gonsenheim, bei der SpVgg Ingelheim und in der zweiten Mannschaft von Darmstadt 98 unter Vertrag. Ihre Realität heißt Amateurfußball. Das liegt nicht immer nur an ihrem fußballerischen Talent, die meisten stoßen vor allem im täglichen Leben an ihre Grenzen. Um das zu verhindern, hat Taka sein Berufsprofil extrem erweitert. Für seine jungen Landsleute ist er großer Bruder, Berater und Lehrer in einem. Er bietet Sprachkurse, Beratungsgespräche und zwei Mal pro Woche vormittags Extra-Fußballtraining an. Die Teilnahme an seinen Angeboten ist freiwillig und manchmal dürftig. „Ich kann niemanden zwingen. Die Jungs müssen selbst lernen, wie wichtig Kommunikation ist, um sich in einem fremden Land zurechtzufinden“, sagt er. Derzeit betreut er 30 Spieler, erstmals ist auch ein japanischer Nachwuchstrainer nach Deutschland gekommen, um in den hiesigen Amateurligen zu lernen.
„Die Sprache ist der Schlüssel“
Der 29-Jährige weiß, wovon er spricht. Mit 18 träumte er selbst von einer Karriere in Europa, spielte in Japan mit dem heutigen Mainzer Stürmer Shinji Okazaki in einer Mannschaft. Nachdem er mit seinem Team bei einem Turnier in Kassel teilgenommen hatte, blieb er einfach da, heuerte beim Oberligaklub TSG Wattenbach an und trainierte bis zum Umfallen. 2006 verpflichtete ihn tatsächlich der Zweitligist Mainz 05. Als er bei einem Testspiel gegen den FC St. Pauli von Jürgen Klopp eingewechselt wurde, wähnte er sich am Ziel seiner Träume. Doch es sollte sein letzter Einsatz für die Profis bleiben, fortan kickte er im Oberligateam der Mainzer. „Ich habe damals die Welt nicht mehr verstanden und mich zurückgezogen“, sagt er. „Heute weiß ich, dass ich viel mehr mit meinen Mitspielern hätte kommunizieren müssen. Die Sprache ist der Schlüssel, um Kontakte zu knüpfen. Und ohne Kontakte ist man im Fußballgeschäft nun mal sehr allein.“ Yamashita beendete seine aktive Karriere und entwickelte die Idee, japanischen Fußballern ihren Weg durch den europäischen Alltag zu erleichtern.
„Für uns ist es ein Erfolg, wenn unsere Spieler zu Profis werden. Aber bis dahin ist es ein langer Weg“, sagt Yamashita und lenkt sein Auto auf die A60. Seine japanische Mutteragentur unterhält außerdem Büros in Spanien, Italien, England und Montenegro. Vor dieser Saison hat man den Spieler Taku Ishihara zum Zweitligisten Erzgebirge Aue vermittelt. Ein kleines Erfolgserlebnis, doch im Laufe der Jahre hat bei Taka zunehmend der Realismus Einzug gehalten. Er hält vor einem Haus im Mainzer Stadtteil Finthen. Hier wohnen sieben seiner Spieler in einer Wohngemeinschaft. Vor der Tür stehen sauber aufgereiht die Schuhe. Im Inneren dominieren braune Fliesen, schwarzes Holz, in einer Wohnzimmervitrine liegen angebrochene Ketchupflaschen, einzelne Fußballstutzen und ein rosafarbener Cowboyhut. Deutsche Spießigkeit trifft auf japanische Funktionalität. An einem Holzpfeiler in der Küche hängen eine detaillierte Erläuterung des deutschen Mülltrennungssystems und ein Gelber Sack. „Damit die Jungs sehen, was da alles reingehört“, sagt Yamashita und geht die Treppe hinauf. Recycling statt Spieleröffnung, Yamashitas Arbeit fängt mit ganz kleinen Schritten an. Im Keller hat er sich mittlerweile einen kleinen Besprechungsraum eingerichtet.
Als Nächstes kontrolliert er die Zimmer der Spieler. „Manche wissen nicht mal, dass man ein Bett beziehen muss“, sagt er. Ein schiefer Kleiderständer dient als Schrankersatz, auf dem Boden stehen die Fußballschuhe, auf einem Nachtschrank liegen Deutschbücher, über dem Bett hängt ein Bild von Xavi und Andrés Iniesta, an der Wand lehnt ein Lattenrost. Noch so ein Kulturschock für viele Japaner, denn in ihrer Heimat kennt man diese federnden Ungetüme nicht. Deswegen schlafen viele seiner Jungs mittlerweile mit der Matratze auf dem Boden. Sie alle mögen technisch brillant und läuferisch überragend sein, aber manche überfordern bereits alltägliche Dinge wie das Zubereiten ihres Mittagessens. Seitdem die ganze Wohngemeinschaft mal mit einer Lebensmittelvergiftung außer Gefecht gesetzt war, kontrolliert Yamashita alle paar Monate die Kochgewohnheiten seiner Jungs. Es ist ein täglicher Zwiespalt: Eigentlich will er Fußballer formen und muss doch erst einmal selbständige Menschen aus ihnen machen. Einige seiner Schützlinge suchen sich bewusst Wohngemeinschaften mit deutschen Studenten, Yamashita erkennt bei diesen Jungs eine deutlichere Entwicklung als bei denen, die eher unter sich bleiben. Spricht man ihn auf seine Wochenarbeitszeit an, muss der zweifache Vater grinsen. „Früher habe ich wirklich alles für die Spieler gemacht“, sagt er. Als ihn dann irgendwann ein Klient anrief, und bat, ihn wegen Kopfschmerzen beim Training abzumelden, merkte er schließlich, dass er auch mal auf Distanz gehen muss, um den Spielern wirklich zu helfen.
10.000 Euro pro Semester
Die Eltern bezahlen für dieses Fußballaustauschprogramm ihrer Söhne bis zu 25 000 Euro pro Jahr an die japanische Agentur. Darin enthalten sind Miete, Nebenkosten, Unterhalt, Amtsgänge, Sprachschule sowie die Vermittlung an einen passenden Verein und die Betreuung vor Ort durch Yamashita. Eine Menge Geld, doch in einem Land, in dem ein Studium umgerechnet 10.000 Euro pro Semester kostet, relativiert sich diese Summe schnell. Auch im Fußball herrschen in Fernost andere Verhältnisse: Verdienen die Spieler in den oberen beiden Ligen noch Geld, müssen Kicker ab der dritten Spielklasse selbst für Trikots und Platzmiete aufkommen. Trainiert wird manchmal sechs Stunden am Stück, nicht selten werden einzelne Übungen über mehrere Stunden wiederholt.
Wer Fußball spielen möchte, ist hierzulande also sogar selbst in der Kreisliga besser aufgehoben. Anders als in Europa werden Spieler in Japan zudem nur selten von Scouts vor Ort entdeckt, sondern von ihren Eltern bei Agenturen wie der von Yamashita angemeldet. Es kann also durchaus vorkommen, dass die Erziehungsberechtigten ihm einen Spieler mit einem Profi-Traum nach Deutschland schicken, der aber allenfalls das Talent für die Bezirksliga hat. Warum man diesen jungen Kerlen die weite Reise in eine fremde Kultur und den damit einhergehenden Schock nicht gleich komplett erspart, kann Yamashita nicht erklären. Manchmal habe er allerdings das Gefühl, als wollten die Eltern, dass ihr Nachwuchs im Ausland seine Grenzen kennenlernt. Manche Jungs reisen desillusioniert nach 14 Tagen wieder ab, die meisten aber wollen in Europa bleiben. Am liebsten für immer.
Die Angst, schlechter zu werden
So wie Takuya Hidaka, der seit mittlerweile zwei Jahren in Deutschland lebt und sich gerade beim Abendtraining der Spielvereinigung Ingelheim, Verbandsliga Südwest, vom Trainer einnorden lassen muss. „Ran, ran“, brüllt der Übungsleiter. Hidaka bleibt stehen. Dass er beim Drei gegen Drei nicht mehr den frischesten Eindruck hinterlässt, ist nachvollziehbar, schließlich hat er bereits das Nachmittagstraining mit Yamashita und den anderen Japanern in den Knochen. Sit-ups inklusive. „Die größte Angst der Spieler ist, dass sie schlechter werden, wenn sie nicht jeden Tag zwei Mal trainieren“, sagt Yamashita. Er sitzt allein auf der Tribüne der Sportanlage und beobachtet seinen Schützling. Im Hintergrund springen ein paar Halbstarke vom Fünfmeterturm des örtlichen Freibades. Jetzt hat Hidaka den Ball, dribbelt einen Gegner aus, bleibt am zweiten hängen.
Er blickt zu Boden, im Gegenzug fängt sich seine Mannschaft ein Tor. „Maaaaann“, brüllt ein Mitspieler. Yamashita macht sich Notizen und sagt: „Manche kommen nach dem Training strahlend zu mir. Dann muss ich ihnen erklären, was nicht so gut gelaufen ist.“ Zum Thema Fußball kann er seinen Jungs alles erklären, ihre Lethargie und Naivität hingegen macht ihn mitunter sprachlos. Dann redet er kurz mit dem Trainer über die kommenden Monate. Hidaka ist Stammspieler, der Verein möchte ihn gerne behalten. Yamashita nickt, spricht von Angeboten anderer Klubs. Aus dem Unterstützer Taka ist am Ende eines langen Tages doch noch für kurze Zeit der Spielerberater Yamashita geworden.
Zum Abschluss lädt er seinen Schützling zum Essen in die Vereinskneipe ein. Auf der Leinwand läuft das Spiel des FC Bayern gegen Man United. Arjen Robben zieht nach innen, kein Tor. Hidaka starrt gebannt auf die Szene, Taka tippt eine SMS, die Bedienung bringt das Essen. Es gibt Schnitzel.