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Es soll Men­schen geben, die bezahlen für Pay-TV-Sender ein halbes Ver­mögen. Men­schen, denen ange­sichts der monat­li­chen Kosten ihrer unzäh­ligen Sky/​DAZN/​Telekom Sport/​Eurosport Player-Abos Angst und Bange werden müsste, wenn sie sich ernst­haft damit aus­ein­an­der­ge­setzt haben, was sie da jeden Monat bezahlen. Was sie natür­lich nie tun, denn sie sind nach Fei­er­abend damit beschäf­tigt, Spiele der zweiten por­tu­gie­si­schen Liga zu schauen. Kom­men­tiert von einem bedau­erns­werten Reporter in einem Mün­chener Keller, der mit seiner gesamten Stimm­ge­walt ver­geb­lich ver­sucht, dem x‑beliebigen Kick, der auf drei Bild­schirmen vor seiner Nase läuft, so etwas wie Span­nung ein­zu­hau­chen. Abge­rundet wird das Ganze dann von der Prä­senz eines Co-Kom­men­ta­tors, dem von DAZN selbst­ver­ständ­lich das Prä­dikat Experte“ ver­liehen wurde.

Ich gehöre, obwohl ich für ein Fuß­ball­ma­gazin arbeite, nicht zu diesen Men­schen. Keiner der oben genannten Kanäle läuft in meinem Wohn­zimmer, und bei hoch­klas­sigen, von der UEFA orga­ni­sierten Par­tien unter der Woche ver­traue ich viel­mehr auf die lokale Kiez­kneipe. Und da ich mich bei den Spielen meines Ver­eins fast immer im Sta­dion auf­halte oder das Dritt­li­ga­ge­würge im lokalen Dritten Pro­gramm ver­folge, sah ich bis vor wenigen Wochen auch keine Not­wen­dig­keit, ein sol­ches Abo abzu­schließen.

Doch dann lag ich an einem Dezem­ber­wo­chen­ende dieses Jahres mit 38 Grad Fieber im Bett. Meine Kum­pels zogen alleine los, die Aus­wärts­fahrt ans andere Ende des Landes musste ohne mich statt­finden. Was den Vor­teil hatte, dass ich mich im Bett in Ruhe aus­ku­rieren konnte. Was den Nach­teil hatte, dass ich nach dem Auf­stehen beim Blick aufs Handy sie­ben­und­zwanzig Sprach­nach­richten vor­fand, auf denen ich den lieb­li­chen Stimmen meiner Freunde lau­schen konnte, die mit circa 2,8 Pro­mille im Blut Schatzi, schenk mir ein Foto“ into­nierten.

Der weitaus grö­ßere Schock erwar­tete mich aller­dings beim Blick auf die Uhr: Das Spiel lief bereits seit einigen Minuten! Ich schnappte mir also meinen Laptop und wusste, dass mich jetzt die letzte Her­aus­for­de­rung des Fuß­ball­fans in der glit­zernden Welt des modernen Sports erwarten würde: Das Finden eines funk­tio­nie­renden Live­streams. Eine Auf­gabe, die im halb­le­galen Dschungel der obskuren Livetv.sx, From­sport, Livetv​.ru oder Cricfree.cn-Seiten alles andere als ein­fach sein kann. Ich klickte mich also durch die übliche Por­no­wer­bung, mein PC teilte mir mit, dass eine Bedro­hung gefunden wurde“, und drölf­zig­tau­send Pop-ups öff­neten sich auf einmal.

Doch nach einer guten Vier­tel­stunde ver­zwei­felten Durch­fors­tens der Weiten des Inter­nets geschah dann das Wunder – auf einer Seite, deren Namen mein Gehirn für alle Ewig­keit gelöscht hat, öff­nete sich tat­säch­lich eine halb­wegs brauch­bare Über­tra­gung der gesuchten Partie. Als es mir dann gelungen war, den letzten Balken Wer­bung weg­zu­kli­cken, schoss der Gegner gerade das 1:0.

Das erkannte ich aller­dings erst in der zweiten Wie­der­ho­lung, was damit zusam­men­hing, dass das Spiel in einer Auf­lö­sung von 144p über­tragen wurde. Mit viel Mühe konnte ich ein Sta­dion iden­ti­fi­zieren, in das sich kaum über 2000 Zuschauer ver­irrt hatten. Dazu reg­nete es auf dem Bild­schirm in Strömen. Ich war der­weil sehr froh, dass meine Freunde ohne mich los­ge­zogen waren.

In den letzten Jahren bewegte ich mich, was mein Fan­da­sein angeht, in einem Zustand irgendwo zwi­schen Gleich­gül­tig­keit und Des­in­ter­esse. Was zum einem mit dem sport­li­chen Absturz meines Ver­eins zu tun hat, und zum anderen damit, dass die Anhän­ger­schaft zumin­dest in Teilen aus einer Kli­entel besteht, bei der davon aus­zu­gehen ist, dass die Bild-Zei­tung zur täg­li­chen Stamm­lek­türe gehört. In letzter Zeit – ins­be­son­dere seit mein Klub wieder in pro­fes­sio­nellen Gefilden unter­wegs ist – merke ich aber, wie sich das wieder ver­än­dert. Ich fie­bere bei den Spielen mit wie zuletzt zu längst ver­gan­genen Bun­des­li­ga­zeiten, gehe wieder ins Sta­dion und schaue mir sogar die Spiel­tags­pres­se­kon­fe­renzen an.

An diesem Sonntag zeigte sich dann die ganze Absur­dität meines Fan­da­seins zusam­men­ge­fasst in einer Partie: Meine Mann­schaft glich den frühen Rück­stand aus, kurz darauf ging der Gegner wieder in Füh­rung. Obwohl ich vor mir selber den Ein­druck erwe­cken wollte, das Spiel nur mit halben Auge zu ver­folgten – zwi­schen­durch chat­tete ich mit einem Kumpel, machte mir Tee und öff­nete Pan­ora­ma­dokus in der ARD-Media­thek an – merkte ich, wie sich meine Laune ange­sichts der dar­ge­bo­tenen Leis­tung zuneh­mend ver­schlech­terte. Ich konnte mich noch so oft über meinen eigenen Verein lustig machen – am Ende würde diese Truppe es wieder schaffen, mir das rest­liche Wochen­ende zu ver­sauen.

Mit mehr Glück als Ver­stand lagen wir wenige Minuten vor dem Ende nur mit einem Tor zurück, der 144p-Stream zeigte also durchaus eine span­nende Begeg­nung. Den­noch hatte es das Spiel nach wie vor nicht geschafft, meine voll­stän­dige Auf­merk­sam­keit zu gewinnen – bis zur 94. Minute: Nach der ersten gelun­genen Flanke der Partie erzielten wir mit einem Kopf­ball den mehr als glück­li­chen Aus­gleich. Ich sprang auf, brüllte los, ver­schütte eine Tasse Tee über meinem Bett und schlug wie ein geistig Umnach­teter Luft­lö­cher durch das Zimmer. Gleich­zeitig hoffte ich, dass meine Nach­barn keinen Psych­iater anrufen würden. Und war froh, in diesen Minuten alleine zu Hause zu sein. Der Stream fiel der­weil end­gültig aus, aber das war mir egal, denn er hatte seinen Dienst getan. Das Spiel war zu Ende.

Um Miss­ver­ständ­nissen aus dem Weg zu gehen: Ja, das ist mein Fuß­ball­mo­ment des Jahres. Er bezieht sich auf ein Aus­wärts­spiel beim VfR Aalen. Vor 2987 Zuschauern. An einem Dezem­ber­sonntag. Bei dem ich nicht einmal vor Ort war. Das Ganze ist schon sehr trostlos. Ich bin halt Fan von Energie Cottbus.