Vor genau fünf Jahren warf der FC Liverpool den BVB in einem unglaublichen Spiel aus der Europa League. Unser Autor hatte das Glück, vor Ort sein zu dürfen. Ein Reisebericht.
„Und am Ende schauen wir im Pub“, sagt mein Vater mit einem von Nervosität gezeichneten Lächeln. Wir, mein Vater, sein langjähriger Freund Emme und ich, sitzen am Terminal des Flughafens Tegel und trinken unerhört teuren Kaffee. Kurz darauf besteigen wir den Vogel nach London. Von da aus geht es mit dem Zug nach Liverpool. Dort spielt abends der BVB im Rückspiel des Europa League-Viertelfinales gegen die Reds, eine Woche zuvor trennten sich die Teams mit 1:1. Klopp gegen Dortmund, Klopp gegen Tuchel, Tradition gegen Tradition, YNWA-Original gegen Beste-Kopie-davon – die Paarung schrieb bereits Wochen im Voraus genug Geschichten, um jedem Fußball-Romantiker eine melancholische Freudenträne aus dem Auge zu zwingen.
Emme hatte über ein kaum vertrauenserweckendes Online-Portal drei Tickets besorgt. Ohne Angaben der genauen Plätze, ohne Versand, aber mit leckeren Preisen im dreistelligen Bereich. Meinem Vater war alles egal. 1966, Hampden Park, Libudas Lupfer – das erste Spiel, das er live am Fernseher verfolgte. 50 Jahre später wollte, nein, musste er diese Partie vor Ort sehen. Als erstes Zwischenfazit des eigenen Werdeganges.
Erleichterung und kühles Nass
Die Tickets seien am Counter abgegeben worden, so die knappe Mail des dubiosen Händlers. Der Blutdruck von 180 sinkt rapide, als wir den Umschlag erhalten und verfünffacht sich binnen Sekunden, als wir den Inhalt begutachten: Drei Dauerkarten für die Kop, die legendäre Stehtribüne, von irgendwelchen Liverpudlians, die entweder keine Zeit oder Geldsorgen haben und sich mit der Vermietung der Schätzchen etwas dazu verdienen wollen. Uns ist’s egal. Anfield Road, Kop, Flutlicht – ran an die Zapfe.
Das kühle Nass schmeckt nach Erleichterung und Vorfreude, die vom Chef des Hotels im besten Liverpooler Scouse vorgetragenen Geschichten rund um Anfield klingen wie eine Kopie eines unveröffentlichten Albums des eigenen Lieblingskünstlers. Ich sauge auf, frage nach und sitze in der ersten Reihe meines Kopfkinos mit ganz viel Popcorn. Mit am Tisch zwei Kölner Borussen, ohne Karten angereist und mit anerkennendem Neid im Blick. Wir wünschen ihnen Glück auf dem Schwarzmarkt, sie uns auch ganz viel Spaß und still und heimlich eine authentische, nordenglische Pub-Dresche.
Jeder spricht, jeder trinkt
Wir steuern die Mathew Street an. Über dem legendären Cavern Club hängen rote und schwarz-gelbe Fahnen, unter ihnen singen und trinken Anhänger beider Farben. Wir sind spät dran und haben das ein oder andere Pint aufzuholen. Im Flanagan’s Apple ist die Atmosphäre so harmonisch wie in einem Katzenvideo. Wir laden Liverpudlians auf Bier ein und andersrum. Kein stilles Beäugen, keine „Kniet nieder, ihr Bauern“-Sprechchöre. Alles und jeder spricht und trinkt miteinander. Nicht einmal das tiefblaue Hertha-Shirt, das mein Vater inmitten von BVB und LFC demonstrativ trägt, sorgt hier ansatzweise für hochgezogene Augenbrauen.