Es ist eine nie dagewesene Kuschelkampagne, die Marcel Schmelzer derzeit aus den eigenen Reihen entgegengebracht wird. Auch wir stimmen in die Jubelhymnen von Klopp, Watzke und Co. mit ein. Fünf gute Gründe, für die man den Linksverteidiger auch loben könnte.
„Was Marcel Schmelzer gespielt hat, ist von einem anderen Stern“, lobte BVB-Coach seinen oft kritisierten Linksverteidiger nach dem Spiel gegen Real Madrid und legte vor laufender Kamera noch einen drauf: „Glückwunsch, dass Deutschland solch einen Linksverteidiger hat!“ Und auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke legte noch ein Schüppchen Lobhudelei nach: „Ich habe mich so unfassbar gefreut wie ganz selten bei einem Tor. Weil ich weiß, was das für ein Junge ist: Das ist ein Geschenk für jeden Verein, so einen Spieler zu haben“, sagte Watzke gegenüber „Bundesliga Aktuell“. Moment, ist das noch der Marcel Schmelzer, den Nationaltrainer Joachim Löw zuletzt als Notlösung bezeichnete? Der Marcel Schmelzer, der gegen Österreich über 90 Minuten nur die Hacken seiner Mitspieler sah? Der? Marcel? Schmelzer? Anscheinend schon und deswegen haben wir in einer eilig einberufenen Redaktionskonferenz festgestellt, dass es noch tausend weitere gute Gründe gibt, um in den allgemeine Schmelzer-Hype einzustimmen. Hier sind schon Mal fünf:
1. Endlich mal was Positives
Die Zahlen lesen sich schockierend: Noch im Mai 2010 wünschte sich jeder vierte Deutsche die Mauer zurück. Ost und West, so schien es, war ein einziges Missverständnis, eine Einigung weiter weg als je zuvor. Marcel Schmelzer, geboren in Magdeburg, ausgebildet in Magdeburg, wagte 2005 trotzdem den Schritt in den goldenen Westen. Natürlich zog es den Ostkicker ins Westfalenstadion, den einzigen Ort in Deutschland, wo Fans noch immer ganz wild mit aufblasbaren Bananen umherwedeln. Seine Vergangenheit trägt Schmelzer trotzdem immer zur Schau: Als Reminiszenz an den kommunistischen Arbeiter- und Bauernstaat läuft Schmelzer konsequent auf der linken Seite auf und ab und spielt bei Heimspielen trotzdem eine Halbzeit lang vor der Westtribüne. Na, liebe Grantler und Einigkeitsverweigerer, hört ihr die Signale? Für dieses geschickt kaschierte Politstatement gebührt Marcel Schmelzer tonnenweise Lob: Er ist vielleicht die einzig glaubwürdige Integrationsfigur, die Ost und West jemals zusammenführen könnte.
2. Einer von uns
Man kennt das: Für ihre „ganz persönlichen“ Homepages werden Fußballern gerne Bögen mit Nullachtfünfzehn-Fragen vorgelegt, die den Spieler seinen Fans „persönlich“ näher bringen sollen. Marcel Schmelzer bricht aus diesem Einheitsbrei aus und gewährt auf seiner Webpräsenz deswegen wirklich „ganz persönliche“ Einblicke in seine Hobbys. Und siehe da, der immer so agil und frisch wirkende Jungspund offenbart, dass er genauso dröge ist wie Du, ich und 98 Prozent der Bevölkerung. Denn neben Tennis, Bowling und Schwimmen gibt Schmelzer noch einen tieferen Einblick in seiner Art der Freizeigestaltung: Er spiele „aber auch so etwas ungewöhnliches wie Kniffel“, heißt es da. Schnarch beziehungsweise: Lob, Lob, Lob!
3. MC Schmelle
Millionengehalt, Deutscher Meister, ein Leben in der Wohlfühloase Bundesliga – Marcel Schmelzer hat trotz seines Alltags im samtweichen Bett eines Jungprofis immer noch mehr Street Credibiliy als dein Haschisch-Dealer. Und dass Schmelzer nicht nur ein massives Talent als Linksverteidiger hat, sondern auch noch immer die Sprache der Kids da draußen spricht, bewies er nach dem Titelgewinn des BVB im Jahr 2011. Bei einem Konzert des Kuschelrappers Bushido enterte MC Schmelle kurzerhand die Bühne und kickte ein paar zärtliche Zeilen aus der Welt Conscious-Rap ins Mic. Zum Beispiel diese hier: „Ich hab, ich hab, ich hab, ich hab Style und das Geld, ich hab all‘ das was den F*tzen so gefällt!“ Vor so viel lyrischem Talent kann man sich nur verneigen! Oder: Yo Schmelle, die bist mal sanft und mal grob, aber immerimmerimmmerimmerimmer gebührt dir unser Lob.
4. Sweet
Um es jetzt auch einmal im Internet zu sagen: Marcel Schmelzer ist supersweet! Diese Haare, diese Zähne, dieses Lächeln – der Linksverteidiger ist der heimliche Posterboy der Liga. Bei seinem Anblick fallen nicht nur reihenweise Teenager um, auch erotisierte Schwiegermütter kramen nach Omas bestem Kuchenrezept für einen eventuellen Besuch des sanften Ackerers. Mit seiner Aura nimmt er auch ein wenig die Last von den Schultern anderer BVB-Schönlinge (Mats Hummels, Mario Götze, Marco Reus), die sich Dank ihm etwas besser auf ihre sportliche Entwicklung konzentrieren können. Nicht, dass die stagniert hätte, immerhin hat der BVB ja jüngst Real weggefidelt. Auch wenn das sicher nur intern auf viel, viel Liebe stößt, können wir als Außenstehende immerhin diese Art der Selbstlosigkeit loben. Deswegen: Lob hoch nullneun!
5. Verbales Armdrücken
Sind wir doch mal ehrlich: Zu lange ging es im deutschen Fußball zu kuschelig zu. Alle lagen sich in den Armen, alle feierten sich für die herausragenden Perspektiven, die die blutjungen Superduperspieler in Liga und Nationalmannschaft geschaffen hatten. Die Nationalmannschaft: sakrosankt, geliebt, erfrischend. Der BVB: überragend, kloppoesk, echte Liebe eben. Klopp und Löw, zeitweise wusste man nicht mal mehr, wer von beiden denn jetzt gerade der beste Trainer aller Zeiten ist. Doch das Schöne an Zeiten ist, dass sie sich ab und zu auch mal ändern. So kippte nach der EM erst die Stimmung gegenüber der DFB-Elf, nach einem bestenfalls soliden Start in die Bundesliga sah man auch „König Interview“ Jürgen Klopp öfter ein Zitronengesicht ziehen als einen kessen Spruch reißen. Schön, dass auf einmal der unbescholtene Marcel Schmelzer auf den Plan trat, an dem sich die beiden Monstertrainer mal so richtig abreagieren können. Der eine machte Schmelzer zum Azubi mit Durchschnittsbegabung (Löw), der andere zum nächsten Andy Brehme (Klopp). Und zack, entsponn sich ein Verbalcatchen auf Hulk-Hogen-Niveau, zack war Feuer unterm Dach, zack war wieder Leben im deutschen Wohlfühlfußballländle. Dafür ein Atomlob an Marcel Schmelzer – auch wenn er gar nichts dafür kann.