Es ist auch ein Statement gegen den modernen Fußball: Gary Lineker macht Schluss als Champions-League-TV-Experte und will künftig seiner Kindheitsliebe Leicester City nachreisen – als Fan.
Diese Nachricht macht viele Fernseh-Fußballzuschauer traurig. Viele aktive Fans aber, vor allem die von Leicester City, dürften innerlich jubeln: „Ich möchte BT Sport für das großzügige Angebot einer Vertragsverlängerung danken“, schrieb Gary Lineker bei Twitter, „doch nach reiflicher Überlegung habe ich beschlossen, es gut sein zu lassen. Ich fühle, dass es an der Zeit ist, jetzt Dinge zu machen, die ich mir schon lange vorgenommen habe: etwa gemeinsam mit meinen Söhnen zu den Spielen von Leicester in Europa zu reisen (wie viele Möglichkeiten dazu werden wir noch haben?).“
Gary Lineker und der britische Sender BT Sport schienen viele Jahre unzertrennlich – wie James Bond und Miss Moneypenny, Fish and Chips oder Wallace & Gromit. Der englische WM-Torschützenkönig von 1986 führte eloquent und humorvoll durch die Champions-League-Berichterstattung das Senders und genoss allerhöchsten Respekt bei Fans und Fachleuten. Doch jetzt ist Schluss. Der 60-Jährige will künftig seiner alten Jugendliebe folgen: dem Leicester City Football Club, wo er einst zum Fußballprofi wurde. Nun will er einfach Supporter sein.
Das große Fanherz in Gary Lineker hat wohl schon länger mit dem analytischen Verstand des TV-Experten gerungen. Das wurde spätestens nach dem diesjährigen FA-Cup-Endspiel zwischen Leicester und Chelsea (1:0) deutlich, als der 80-malige Nationalstürmer den Tränen nahe war: „Wow. Sie haben es geschafft. Viermal hatten sie das Finale erreicht. In 137 Jahren Leicester haben sie nun endlich den FA-Cup gewonnen! Es ist der eine Pokal, den sie unbedingt wollten. Natürlich haben sie die Premier League gewonnen (2016; die Redaktion), aber dies ist eine Trophäe, der sie so lange hinterher gerannt sind.“
Linekers öffentliche Liebeserklärung, gefolgt vom Ausstieg aus dem TV-Business ist auch ein Bekenntnis zum Fußball abseits des ganz großen Glamours. Schließlich hat Leicester die Champions League mal wieder verpasst, spielt nächste Saison „nur“ in der Europa League. Aber Liebe kennt keine Ligen oder Wettbewerbe, wie Lineker nach dem letzten Spieltag der Premier League durchblicken ließ: „Ich weiß ja, dass es so nicht funktioniert, aber wenn ich die Wahl hätte, entweder den FA-Cup zu gewinnen oder einen Platz in der Champions League zu ergattern, würde ich jedes Mal den FA-Cup nehmen.“
Der Zeitpunkt für Gary Linekers Rückzug aus dem Hochglanz-Fußball ist vielleicht zufällig, vielleicht auch nicht: Erst vor wenigen Wochen hatten zwölf europäische Großklubs, darunter die „Big Six“ aus England, die Gründung einer europäischen Super League bekannt gegeben. Zwar zerfiel das neue Konstrukt nach heftigen Protesten englischer Fans schnell in seine Einzelteile. Doch das (vorläufige) ESL-Aus und halbherzig vorgetragene Entschuldigungen konnten den Furor nicht mehr eindämmen. Der Fußball auf der Insel hat das Rad der Kommerzialisierung längst überdreht. Das weiß auch Lineker.
Es stimmt schon, Englands Rekord-WM-Torschütze war selbst lange ein Teil des Big Business. Die Milliardenshow Champions League war auch seine Bühne. Als Experte von BT Sport kassierte er weit über eine Million Euro – und zwar pro Jahr. Lineker featurete und analysierte die Spiele von aufgeblähten Scheich-Klubs, die für ein „Etihad“ oder ein „Emirates“ auf ihrer Brust Fantasie-Summen kassieren und sich über das Financial Fairplay der UEFA kaputt lachen. Er schwärmte publikumswirksam von der hoch fliegenden Kunst ihres fußballerischen Bodenpersonals.
Doch Lineker, den sie auch das Gewissen des englischen Fußballs nennen, hat die unheilvolle Marschrichtung seines Sports immer wieder kritisiert – mit ironischen Spitzen und markigen Worten. Nach der Gründung der ESL twitterte er: „Um eines klarzumachen: Falls das hier jemals passiert, werde ich nie im Rahmen der European Super League tätig sein.“ Als Real-Präsident und ESL-Mitbegründer Florentino Perez vorschlug, die Dauer von Fußballspielen zu verkürzen, ätzte Lineker: „Großartige Idee. Lasst uns fünf Minuten pro Halbzeit spielen und eine 45-minütige Pause für Werbespots machen. Dieser Typ …“ Gefolgt von einem kotzenden Emoji.
Als der schwedische Spotify-Gründer Daniel Ek vor einigen Wochen ankündigte, den FC Arsenal vom ungeliebten US-Eigentümer Stan Kroenke übernehmen zu wollen, erklärte Lineker öffentlich, es gebe keine „guten“ Investoren. Denn die hätten nun mal nur den eigenen Vorteil im Blick: „Das ist doch ein großer Teil des Problems: Die Fans wünschen sich immer, dass dieser oder jener Milliardär ihren Verein kauft … in der Hoffnung, dass er ein besserer Milliardär ist als der, den sie bereits haben.“
Gary Lineker selbst will nun ein paar Schritte zurück machen und endlich wieder dorthin gehen, wo er als Kind mit seinem Vater stand: auf die Tribüne, zu den Fans von Leicester City. „Mein Dad war bei allen vier verlorenen FA-Cup-Finals dabei“, erzählte der einstige Topstürmer nach Leicesters Endspiel-Triumph über Chelsea vor einigen Wochen. „Ich wünschte, er wäre noch hier. Ich hoffe, er schaut irgendwo zu.“