Arne Steding vom BVB-Fanzine „schwatzgelb.de“ über einen Spieler, der schon fast ausgemustert war und dann doch zum großen Sympathiträger reifte.
Ein Abschiedsgruß, der stimmiger nicht hätte sein können. „Danke…“ stand da lapidar am späten Montagnachmittag auf der Facebookseite von Jakub „Kuba“ Blaszczykowski über einem Foto des Dortmunder Westfalenstadion. Geknipst aus Hunderten Metern Höhe aus dem Fenster eines die Stadt verlassenden Flugzeugs, das gerade im Begriff war, seinen prominenten Passagier nach Florenz zu fliegen. Ein Monument der Dankbarkeit und des Abschiedsschmerzes, der an diesem Tag nicht nur den Spieler, sondern auch den Großteil der schwarzgelben Fanfamilie erfasste.
Die Flankenläufe! Das Rennen!
Kein Mann der großen Worte, auch keiner der großen Gesten. Und doch bleiben so viele wundervolle Erinnerungen an Jakub Blaszczykowski. Wie die an Hamburg im April 2011, im Endspurt des Titelrennens, als Kuba per Volleyschuss in der 92. Minute noch für den Ausgleich sorgte. Oder an das Auswärtsspiel in Freiburg ein knappes halbes Jahr zuvor, als das mit dem Toreschießen noch so viel einfacher gewesen wäre. An die vielen unermüdlichen Flankenläufe, an das Verteidigen und Rennen. An die ungeheure Selbstbeherrschung, als Bayerns Rafinha Kuba die Wange zu durchstoßen versuchte. An die wunderbare Spende zur Krebsbehandlung eines elfjährigen Jungen, die der Spender eigentlich geheim halten wollte. Und nun zuletzt Kubas Erklärung des ausgeschlagenen Angebots vom Reviernachbarn („Schalke wollte unbedingt, aber aus Respekt für die Fans des BVB habe ich diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen“), die man als Borusse so gerne glauben möchte.
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Dabei hatte es am Anfang gar nicht so ausgesehen, als Kuba von Wisla Krakau in die Bierstadt wechselte. Mit den ständig veränderten Formationen des überforderten Thomas Doll wurden weder Verein noch Neuzugang glücklich. Hochtrabende Ankündigungen eines jungen „polnischen Figos“ und eine für den damals klammen Verein vergleichsweise hohe Ablösesumme von gut drei Millionen Euro weckten zudem eine Erwartungshaltung, der Kuba in jener ersten Spielzeit nie gerecht werden konnte. Auch neben dem Platz wirkte der Pole abweisend, Schüchternheit wurde ihm schnell als Arroganz ausgelegt, und da war es auch nicht eben hilfreich, dass Kuba die Borussia direkt bei Amtsantritt noch als Durchgangsstation auf dem Weg zu größeren Vereinen bezeichnet hatte.
Zu oft am Boden
Das Bild des distanzierten Söldners lag nahe und verfestigte sich schnell. Der junge Kuba offenbarte zudem ein viel zu schwach ausgebildete Standfestigkeit und sank in Strafraumnähe einige Male zu oft zu Boden, was ihm ausgerechnet im Pokalfinale eine gelbe Karte einbrachte und schließlich den Platzverweis einleitete.
Mit etwas Pech hätte das Kapitel Blaszczykowski an dieser Stelle bereits beendet sein können. Doch es sollte anders kommen. Jürgen Klopp entpuppte sich für den BVB bekanntermaßen als Glücksgriff auf der Trainerbank und hauchte nicht nur der Borussia neues Leben ein, sondern fand in Kuba gleich den idealen Spieler für seine Vorstellung von Fußball, für die viel zitierten Vollgasveranstaltungen und überfallartigen Angriffe über die Außen. Selbst das mit den Schwalben bekam Klopp schnell in den Griff. Unvergessen ein Auswärtsspiel in Bremen im Oktober 2008, als Aaron Hunt Kuba über 20 Meter bearbeitete und schließlich elfmeter- und rotwürdig zu Fall brachte. Kuba jedoch rappelte sich direkt auf, spitzelte das Leder am verdutzen Torwart vorbei zu Mats Hummels, der nur noch einzuschieben brauchte.
Bis die Verletzungen kamen
Als zwei Jahre später dann noch Landsmann Lukasz Piszczek zur Borussia dazu stieß, bildeten die beiden Polen auf der rechten Seite zeitweise das wahrscheinlich gefährlichste Flügelpaar des europäischen Fußballs, das kaum ein Gegner wirksam zu stoppen in der Lage war und das sich Angriff für Angriff in die schwarzgelben Herzen spielte. Für den Stopp sorgte ab 2013 stattdessen das Verletzungspech: Erst Piszczek (Hüfte), dann Blaszczykowski (Kreuzband) – und schon war vom zwischenzeitlichen Zauber der Borussia sehr viel weniger zu sehen. Immer neue Muskelbeschwerden sorgten dafür, dass Kuba beim BVB nicht mehr richtig auf die Beine kommen sollte. Die letzte Erinnerung ist daher mehr als sinnbildlich: Letzter Bundesligaspieltag 2015, der scheidende Jürgen Klopp stützt sich während seiner Abschiedsrunde kumpelhaft auf den zivil gekleideten Flügelflitzer und es wirkt, als würden beide die guten alten Zeiten wehmütig Revue passieren lassen.
Kein Zweifel: Aus gänzlich freien Stücken verlässt Kuba seine Borussia nun wohl auch nicht. Zu viel Traurigkeit spricht aus seinen Abschiedsgrüßen und den Beiträgen in den sozialen Medien seit Montag, während die Vorfreude auf den neuen Verein sich abseits des obligatorischen Vereinswechselfoto mit neuem Trikot erkennbar in Grenzen zu halten scheint.
Der Geist von Klopp hat den BVB verlassen
Nach dem Karriereende von Sebastian Kehl, der Degradierung von Roman Weidenfeller und nun den Abgängen des Ur-Dortmunders Kevin Großkreutz, des tadellosen Edelreservisten Oliver Kirch und eben von Jakub Blaszczykowski scheint es, als habe der Geist von Jürgen Klopp in dieser zurückliegenden Woche endgültig den Verein verlassen. Mindestens aber ahnen viele Borussen, dass es nicht so schnell wieder so märchenhaft kitschig werden wird mit einer Mannschaft, die ein derart großes Identifikationspotential bot, die sich vom grauen Ligamittelmaß bis in die europäische Spitze weiterentwickelte und die mit den Fans auf der Tribüne zu einer verschworenen Einheit verschmolzen war.
Deshalb gilt: Wir haben zu danken.
Dziękuję, Kuba Blaszczykowski!