Stand die deutsche Nationalelf in den Achtzigern vor allem für Kraftfußball, so verkörperte Pierre Littbarski das Gegenteil: spielerische Finesse und Witz. Jetzt wird er 60 Jahre alt.
Unter all den Bildern, die aus der Fußballkarriere von Pierre Littbarski geblieben sind, rührt eines ganz besonders, das mit der Ballfertigkeit dieses außergewöhnlichen Spielers überhaupt nichts zu tun hat. Es war bei jenem berühmt-berüchtigtem WM-Halbfinale 1982, das allein schon wegen des fiesen Fouls von Toni Schumacher an Patrick Battiston auf ewig in Erinnerung bleibt, aber beileibe nicht nur deshalb. Sondern auch wegen der unbeirrten Aufholjagd der nie aufsteckenden Deutschen, die in der Verlängerung aus einem 1:3 ein 3:3 machten. Wegen des Fallrückzieher-Tors von Klaus Fischer, das die Mannschaft überhaupt erst ins Elfmeterschießens brachte. Und, und, und.
Zu behaupten, Pierre Littbarski habe eine nicht ganz unwichtige Rolle in diesem epischen Match gespielt, wäre eine fahrlässige Untertreibung. Er schoss das 1:0 selbst, bereitete den 2:3‑Anschlusstreffer von Karl-Heinz Rummenigge direkt und das Fischer-Tor indirekt vor. Und selbstverständlich verwandelte er in der Strafstoßlotterie seinen Elfmeter eiskalt.
Anders als Uli Stielike (und wir reden hier von einem wirklich grausam vergurkten Elfer). Während Stielike danach sofort zusammenbricht und Toni Schumacher ihn aus dem Weg schafft wie einen alten Kartoffelsack, um sich auf den nächsten Schützen zu konzentrieren, nimmt Littbarski den unglücklichen Mitspieler in den Arm und wiegt ihn wie eine Mutter ihr untröstliches Kind. Um Sekunden darauf den waidwunden Stielike zurück ins Leben zu holen, weil Schumacher den nächsten Schuss pariert und alles wieder auf Anfang gestellt hat.
So war er, der Litti. Oder um es mit den Worten des 11FREUNDE-Kollegen Uli Hesse zu sagen: der einzige Lichtblick inmitten all dieser Kühlschränke, die in den Achtzigern für die Nationalelf gespielt haben. Das ist vielleicht etwas arg überspitzt formuliert, aber man weiß immerhin, was der Mann meint.
Galt die Nationalelf in jenem Jahrzehnt als ein Team, das die sogenannten deutschen Tugenden doch ein bisschen zu sehr verinnerlicht hatte, so verkörperte Pierre Littbarski das exakte Gegenteil. Wo andere auf Kraftfußball bauten, versprühte er Spielwitz. Wo andere zum Lachen in den Keller gingen, machte er seine Späße. Wo andere von Ehrgeiz zerfressen waren, blieb er einfach nur ein netter Kerl. Als er viele Jahre später den brasilianischen Nationaltrainer Felipe Scolari traf, begrüßte der ihn mit den Worten: „Du bist kein Deutscher. Du bist ein Brasilianer. Schau dir nur an, wie du Fußball gespielt hast.“