Turbulente Zeiten für Manchester United. Nach dem Kurzflug-Fauxpas enttäuschen die Red Devils in der Liga, dann folgt eine magische Nacht in der Champions League. Doch das Spiel gegen Bergamo offenbart das große Problem der Mannschaft.
Allzu oft wirkt es so, als sei die Taktik Uniteds schlicht: die Offensivreihe wird es schon richten. Und vor allem Cristiano Ronaldo. Doch die Probleme in der Defensive fangen bereits mit dem Rückkehrer an. Der ehemalige niederländische Nationalspieler Danny Blind sieht Ronaldo gar als einen der Hauptgründe für die aktuelle Misere bei United. Gegenüber Sportnieuws sagte er: „Normal presst ein Spieler und provoziert so Fehler beim Gegner. Ronaldo macht das aber nicht. Er denkt nur an seine Tore und denkt, dass seine Mitspieler den Ball schon für ihn erobern werden.“
Die mangelnde Bereitschaft zu pressen, lässt sich auch anhand von Statistiken belegen. Laut dem Portal FBREF.com hat der Portugiese rund drei bis vier Pressingsituationen pro Spiel. Vor einem Jahr bei Juventus hatte er im Vergleich dazu noch acht bis neun. Seine Pressingversuche sind zudem nicht oft von Erfolg gekrönt. Das muss zwar nicht unbedingt Ziel von erfolgreichem Pressing sein, gar nicht zu pressen hilft aber erst recht nicht. Gegenpressing kann nämlich auch dann erfolgreich sein, wenn dadurch die gegnerischen Spieler forciert sind, den Ball in eine andere Richtung zu spielen, um damit einen aufkommenden Spielfluss zu unterbinden.
Im Gegensatz zu Ronaldo stehen seine Mannschaftskollegen bei zehn bis 20 Pressingsituationen pro Partie. Natürlich – Ronaldo ist Stürmer, zu pressen scheint auf den ersten Blick nicht eine seiner Hauptaufgaben zu sein. Denn ja, er schießt Tore, aber die Art seines (nicht vorhandenen) Pressings verändert die Statik und damit auch die Art des Spielsystems und der Verteidigung. Auch im Vergleich mit seinen Kollegen im Sturm schneidet er in dieser Kategorie schlechter ab. Lewandowski kommt auf rund zehn Pressingsituationen pro Spiel und Messi in der aktuellen Saison auf zwölf. Von allen Stürmern aus den fünf Topligen hat Ronaldo den schlechtesten Pressingwert.
Auch die Haltung und Körpersprache Ronaldos können für sein Team nachteilig wirken. Nach den Niederlagen gegen Aston Villa und Everton marschierte er direkt nach dem Abpfiff in die Kabine, ohne Grüße an die Fans. Nach dem Spiel gegen Leicester fing ihn sein Trainer rechtzeitig ab. Er sollte wie jeder andere Spieler auch zu den mitgereisten Fans gehen. Nach der ersten Halbzeit gegen Bergamo wirkte der Portugiese ebenfalls resigniert. Abwinken, Kopf schütteln, lamentieren.
In den ersten sechs Spielen in der Premier League erzielte Ronaldo zwar fünf Treffer, die Wochen danach blieb sein Konto aber blank. In Manchester scheint sich ein ähnlicher Effekt abzuzeichnen wie damals bei Juventus Turin. Sein ehemaliger Mitspieler Leonardo Bonucci sagte zu The Athletic: „Ronaldos Anwesenheit hatte einen großen Einfluss auf uns. Unterbewusst fingen die Spieler an zu denken, dass er allein schon ausreichen würde, um die Spiele zu gewinnen.“ Gegen Bergamo funktionierte das mal wieder. Doch die Wochen zuvor werfen Gründe auf, um die Nachhaltigkeit dieser Denke anzuzweifeln.
Die Diskussion um Cristiano Ronaldo wird sich im Rahmen halten, solange er trifft. In Manchester ist er nahezu unantastbar, aber es mehren sich Stimmen, die auf sein mangelndes Defensivverhalten hinweisen. Sein Trainer scheint sich mal wieder gerettet zu haben. Die Notlandung wurde trotz Turbulenzen fürs Erste geschafft. Nicht nur das Spiel gegen Liverpool wird wegweisend für Solskjær sein. Auch danach bleibt das Programm hart: es warten Tottenham und Manchester City. Die nächsten Spiele werden zeigen, wie aussagekräftig der spektakuläre Sieg gegen Bergamo wirklich war.