Im 110. Jahr ihres Bestehens kämpft die SG Wattenscheid 09 um ihre Existenz. Dabei wollte der Klub noch im Sommer ganz hoch hinaus.
Im Juli träumten sie die ganz großen Träume in Wattenscheid. Von der Bundesliga war die Rede. Der digitalisierteste Klub Europas wollte die SGW werden. Es winkten Investitionen in Millionenhöhe.
Möglich machen sollte all das eine Kooperation mit dem Hamburger Start-up-Unternehmen Haalo. Plötzlich kursierten an der beschaulichen Lohrheide Wörter wie „Kryptowährung“, „Big Data“, „ICO“ und „Crowdfunding“. Mit dem Smartphone sollte der Fan im Lohrheidestadion seine Wurst bestellen und bezahlen können. Dort, wo sonst im Regionalliga-Alltag auch schon einmal zur Halbzeit das Bier alle ist, weil gegen Rot-Weiss Essen ein paar mehr Fans kommen als üblich.
Übrig geblieben von den kühnen Plänen ist ein halbes Jahr später allein das „Crowdfunding“. Denn damit kämpft der Verein aktuell ums nackte Überleben. 350.000 Euro benötigt der Verein bis zum 14. Januar, um die Verbindlichkeiten bis zum Ende der Saison zu decken und den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Gelingt es den Wattenscheidern nicht, den Betrag zu generieren, gehen die Lichter an der Lohrheide wohl endgültig aus. Der Verein hinge dann komplett am Tropf seines Aufsichtsratvorsitzenden Oguzhan Can. Und der hat bereits angekündigt, dass er nicht länger bereit ist, den Klub weiterhin allein zu finanzieren.
Die Fans waren ohnehin von Anfang an skeptisch ob der großen Pläne, die Verein und Unternehmen da gemeinsam schmiedeten. Zu oft hatte man ihnen schon große Versprechungen gemacht, zu oft waren diese dann wieder enttäuscht worden. So gingen die Wattenscheider einst eine ähnlich verlockende Partnerschaft mit Galatasaray Istanbul ein. Eine Fußballakademie wollten die Türken in Wattenscheid bauen, vielversprechende Talente sollten bei 09 Spielpraxis sammeln, um dann später nach Istanbul zu wechseln. Auch finanziell wollte Galatasaray die SGW unterstützen. Umgesetzt wurde all das indes nicht. Bereits ein Jahr später endete die ursprünglich bis 2019 angelegte Kooperation, die verantwortlichen Personen verließen den Wattenscheider Aufsichtsrat.
Der Esel und die Möhre
„Dat is wie mit dem Esel, dem die Mohrrübe hingehalten wird. Der rennt und rennt hinterher. Bei der sechsten Möhre denkt der: Wat soll die Scheiße? Bei Wattenscheid is dat jetzt die zehnte Möhre, mindestens“, brachte es SGW-Fan Thomas in unserer 11FREUNDE-Reportage (Ausgabe 203) über den Einstieg von Haalo auf den Punkt.
Dass sich nun auch diese zehnte Möhre als ungenießbare Attrappe entpuppt, ist offenbar Folge eines erbitterten Machtkampfes in der Wattenscheider Führungsebene. Ende September, nicht einmal drei Monate nach der euphorischen Verkündung der neuen Partnerschaft, geben mit Christoph Wieschemann und Lukas Bennemann eben jene Wattenscheider Aufsichtsratsmitglieder ihre Rücktritte bekannt, die maßgeblich am Zustandekommen der Kooperation beteiligt waren. Wie Funke Sport berichtet, sollen die beiden zuvor mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Oguzhan Can aneinandergeraten sein. Durch die Rücktritte sieht Haalo-Geschäftsführer Peter Jaeger die Grundlagen der Kooperation „irreversibel zerrüttet“ und kündigt die Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung.