Dynamisch, spielstark, unberechenbar: Die Franzosen haben sich im Laufe des Turniers gesteigert. Dennoch bleiben vor dem Spiel gegen Deutschland viele Fragezeichen.
Französisches Flügelspiel
Die gute Nachricht für Joachim Löw: Das Flügelspiel der Franzosen ist weniger stark. Die Außenstürmer bewegen sich häufig in die Mitte. Nur die Außenverteidiger sorgen für Breite, rücken aber erst spät im Angriffsverlauf nach. Bacary Sagna und Patrice Evra haben auf ihre alten Tage zwar ein gutes Gespür die richtige Balance zu halten. Allerdings haben sie ihre dynamischen Tage längst hinter sich. Defensiv dürften sie Deutschland nur Probleme bereiten, wenn die deutsche Mannschaft gegen die einrückenden Außenstürmer zu eng agiert und in der Folge den öffnenden Pass auf die Flügel zulässt.
Offensiv wiederum könnte Deutschland die Schwächen der beiden ausnutzen. Joshua Kimmich und Jonas Hector bewiesen zuletzt, dass sie mit einer hohen Rolle die gegnerischen Außenverteidiger beschäftigen können. Joachim Löw könnte auch Julian Draxler oder Leroy Sane auf den Flügeln einsetzen, um Eins-gegen-Eins-Duelle gegen die Außenverteidiger zu erzwingen. Sie sind gegen den Ball die Schwachstelle der Franzosen – nicht unbedingt individuell, aber auf alle Fälle taktisch. Frankreich rückt nämlich nicht kompakt genug zum Flügel, oft müssen die Außenverteidiger Situationen alleine lösen.
Pressing? Konter?
Hinter einigen Aspekten des französischen Spiels stehen indes auch noch vor dem Halbfinale Fragezeichen. Bislang mussten die Franzosen nur gegen Außenseiter antreten, die ihnen stets den Ballbesitz überließen. Gegen Deutschland ist es aber gut möglich, dass sich die Franzosen zunächst einmal zurückziehen und auf Konter lauern.
Hier wird sich zeigen, wie gut die Franzosen verteidigen können. In diesem Turnier fehlte ihnen im Pressing oft die Intensität. Die Mannschaft rückte nicht konsequent vor. Sobald das Mittelfeld überspielt wurde, brauchten die Angreifer wiederum zu lange, um sich zurückzuziehen. Gegen Deutschland müssen sie diese Schwächen abstellen. Die fehlende Intensität im Pressing muss jedoch nicht unbedingt eine taktische Schwäche sein, sie kann auch der Ausgangslage geschuldet gewesen sein. Gegen die Slowakei, Russland oder Irland vernachlässigt man die Defensive eher als gegen die Deutschen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Franzosen auf Konter lauern und die Deutschen das Spiel kontrollieren. Mit schnellen Flügelwechseln könnte Deutschland die Probleme der fehlenden Intensität im französischen Verschieben aufdecken.
Heimvorteil
Einen Joker haben die Franzosen in der Hand: Das Publikum. Das Stadion dürfte das Heimteam nach vorne peitschen. Ganz Frankreich hofft auf eine Wiederholung des Weltmeister-Märchens 1998. Gerne vergessen wird beim nostalgischen Blick auf die Elf um Zinedine Zidane, dass sich Frankreich damals mit viel Glück und wenig guten Leistungen durchs Turnier schlich. Richtig gut spielten die Franzosen nur in einer Partie: beim 3:0‑Finalsieg über Brasilien. Joachim Löw wird etwas dagegen einzuwenden haben, dass Frankreich 2016 eine Wiederholung gelingt.