Während Arsenals Medizinabteilung bereitstand, weigerte sich der Franzose Thomas Lemar, den Verein zu wechseln. Das ist mehr als nur der passende Schlussakkord eines verrückten Transfersommers.
Es gibt Berufe, die mittlerweile kaum noch jemand ergreifen möchte, die aber trotzdem notwendig für die Gesellschaft sind. Angestellter in einem städtischen Klärwerk zum Beispiel. Oder Lehrer einer Hauptschule in Berlin-Hellersdorf, während die ehemaligen Studienkollegen einer Gesamtschule in Niedersachsen zugewiesen wurden. In der Süddeutschen Zeitung schreibt zurzeit eine Hebamme über die fehlende Hochachtung für ihr, wirklich wichtiges, Berufsbild. Als Profifußballer zu arbeiten ist für gewöhnlich keine Mitleidsträne wert. Außer es handelt sich um einen Job beim FC Arsenal. Denn dort will auch niemand mehr arbeiten, wie der gestrige Abend bewies.
Im Schatten von Mbappe
Sowieso war der Deadline-Day, allein die Namensgebung erinnert nicht umsonst an den D‑Day, mal wieder reich an Augenblicken des Kopfschüttelns, der wilden Gerüchte und Paniktransfers. Twitter lief nachmittags aufgrund eines Fotos von Arsenal-Manager Arsene Wenger, der angeblich in Paris gesichtet worden war, über. Was wollte er da? Die Vermutungen reichten von einer Verpflichtung Julian Draxlers, der zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Weg zur Nationalmannschaft in Prag war, bis hin zu einem verdienten Wochenendurlaub. Wahrscheinlicher war aber wohl ein Treffen mit Thomas Lemar.
Bitte wer?
Ganz genau. Der 21-Jährige, geboren im französischen Überseedepartment Guadeloupe, und zurzeit beim AS Monaco unter Vertrag, gilt zwar als großes Versprechen, stand im vergangenen Jahr mit 14 Toren in 55 Einsätzen dann aber doch im Schatten von Wunderstürmer Kylian Mbappe. Und trotzdem wurde Lemar gestern Abend zum Sinnbild des FC Arsenal. Und vielleicht auch des gesamten, womöglich bald implodierenden, Transfermarktes.
Arsenals Ideologie
Denn in London, beim FC Arsenal, herrscht das reine Chaos. Nach einem unwirklich anmutenden 0:4 gegen den FC Liverpool vor einer Woche, forderten die aufgebrachten Fans endlich Verstärkungen, während die bisherigen Leistungsträger nur einen Weg aus ihren Verträgen suchten. Immer noch steht Arsene Wenger an der Spitze einer Transferpolitik, die von der sturen Vision der Sparsamkeit und eines überdurchschnittlichen Scoutings gezeichnet ist. Wohlgemerkt in Zeiten, in denen Jugendspieler, die halbwegs den Eindruck erwecken einem ambitionierten Klub auch kurzfristig helfen zu können, für Summen jenseits der 20 Millionen gehandelt werden.
Und während andere Premier-League-Klubs neue Fantasiesummen erfinden, mit denen sie neue Spieler kaufen können, setzt Arsenal weiter auf kontinuierliches Wachstum. Was eine sympathische Ideologie sein kann, wenn man nicht auf dem 16. Tabellenplatz stünde und gegen Liverpool chancenlos 0:4 verloren hätte.
Die Zeichen der Zeit hatte wohl auch Alexis Sanchez, in diesem Sommer mit fast jedem europäischen Top-Klub in Verbindung gebracht worden, erkannt. Er wollte zu Manchester City wechseln. Und als Manchester bereits die Teamärzte in den Flieger nach Chile gesetzt hatte, um kurzfristig einen Medizincheck bei Sanchez’ Nationalmannschaft abzuhalten, suchte Arsenal fieberhaft nach einem möglichen Ersatz.
Ärzte vor dem Stadion
Am gestrigen Abend schien dann wirklich ein Deal perfekt. Arsenal sollte für den wechselwilligen Sanchez, dessen Vertrag im nächsten Jahr ausläuft, etwa 90 Millionen von Manchester City erhalten – wohlgemerkt: Sanchez wäre in nur einem Jahr ablösefrei zu haben. Im Gegenzug würden Wengers Buchhalter bis zu 100 Millionen an den AS Monaco für Thomas Lemar überweisen. Gerüchten zufolge hatte Arsenal seine Ärzte an den Rand des Stade de France verfrachtet, um Lemar, der dort gegen die Niederlande spielte, notfalls aus der Kabine zerren zu können, und noch vor Transferschluss einen Medizincheck zu absolvieren.
Nur: Thomas Lemar, der ausgerechnet gestern Abend mit zwei Toren die Niederlande fast im Alleingang abschoss, wollte gar nicht zum FC Arsenal. Er weigerte sich einfach und sagte später: „Ich bin ein Spieler des AS Monaco und sehr glücklich dort. Ich gehe jetzt zurück, habe eine gute Saison mit meinem Klub und versuche mich zu verbessern.“ Angeblich wollte Lemar auch deshalb nicht wechseln, weil er beim FC Arsenal nicht Champions League spielen würde. Und darauf, angesichts der sportlichen Situation, auch in der nächsten Saison nur geringe Chancen hätte.
Gewinner und Verlierer
Ein Foto, das gestern Abend bei Twitter noch die Runde machte, fasste die Situation folgendermaßen zusammen:
Thomas Lemar looking at Arsenal like… pic.twitter.com/8DvcMok0hS
— EPL Bible (@EPLBible) 31. August 2017Verlierer gibt es auf allen Seiten. Der FC Arsenal, der mit dem bestehenden Kader gegen einen Negativtrend arbeiten muss und spätestens im Sommer Alexis Sanchez ziehen lassen wird, ohne einen einzigen Pfund zu sehen. Sanchez, der nun eine weitere Saison beim FC Arsenal spielen muss. Manchester City, die ihren Wunschspieler trotz eines horrenden Angebots nicht erhielten. Vielleicht auch Monaco, die keine 100 Millionen für ihr Talent erhielten.
Alles, weil ein Fußballspieler trotz all der wahnwitzigen Summen überlegte, was für ihn persönlich die beste Entscheidung sei – und „Nein“ zu einem privilegierten Jobangebot, sogar zum gesamten sportlichen Arbeitsmarkt und einem völlig überhitzten, panischen Wettbewerb sagte. Welche Hebamme könnte sich das leisten?