Mats Hummels ist immer noch einer der besten deutschen Fußballer. Die Rufe nach seiner Rückkehr in die Nationalelf sollte er dennoch ignorieren.
Große Fußballer zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Ehrgeiz grenzenlos ist. Dass sie sich trotz bahnbrechender Erfolge, großen Wohlstands und hoher gesellschaftlicher Anerkennung stets aufs Neue zu Höchstleistungen motivieren können. Mats Hummels ist per definitionem also ein großer Spieler. Einer, der auch nach der Karriere einen bedeutenden Platz in der deutschen Fußballgeschichte einnehmen wird.
Selbst ein notorischer Nörgler wie Lucien Favre konnte am Wochenende nicht umhin, seinen Abwehrchef in höchsten Tönen zu loben. „Er ist in Topform. Er spielt momentan super“, sagte der Trainer von Borussia Dortmund nach dem 2:0‑Sieg gegen Arminia Bielefeld. Mehr Superlativ ist beim Schweizer, das ist bekannt, nun wirklich nicht möglich. Was sollte Favre aber anderes sagen angesichts des Doppelpacks mit dem Hummels dem BVB auf der Alm zu einem nie gefährdeten Sieg verholfen hatte?
Der fast 32-jährige Innenverteidiger ist der Erfolgsgarant der Dortmunder. Mit seiner Erfahrung ist er viel mehr als der verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz. Hummels ist der Leitwolf 2.0.. Die auf vielen Positionen umgestellte und teils verjüngte Mannschaft richtet sich bedingungslos an ihm aus. Hummels organisiert die Abwehr, ist für die Spieleröffnung verantwortlich, erzeugt Druck nach vorn und – last but not least – er sorgt für Abschlüsse.
Nicht nur gegen Bielefeld traf die Defensivkante mit dem unverwechselbaren D’Artagnan-Moustache für die entscheidenden Treffer, auch gegen den Reviernachbarn machte Hummels in der Vorwoche den Sack zu.
Hans-Joachim Watzke hat einmal gesagt, Marco Reus sei für den BVB so wichtig wie Cristiano Ronaldo für die portugiesische Nationalelf. Ein Leuchtturm, dessen Auftreten und Leistung wie ein blinkendes Signal für alle anderen Spieler funktioniert. Heute würde er dieses Votum vermutlich korrigieren: Denn dass Borussia Dortmund vor dem Spiel gegen den FC Bayern am kommenden Wochenende punktgleich mit den Münchnern an der Tabellenspitze steht, ist in erster Linie Mats Hummels zu verdanken.
Reus hat, anders als Ronaldo, in seiner Laufbahn viele Verletzungspausen erlebt. Auch gegen Bielefeld war ihm die Zeit der jüngsten Rekonvaleszenz wieder deutlich anzumerken. Hummels hingegen marschiert wie eh und je. Seiner Präsenz können sich weder Gegner, noch die Teamkollegen entziehen. Er macht auch Hochbegabte zur Schnecke, wenn es angebracht ist. (Zitat: „Kommt, Männer! Mehr Körperspannung!“/„Come on … now: Go! Go! Go! Go!“) Und obwohl gegen Arminia auch ohne den angeschlagenen Erling Haaland beim BVB gebündelte Torgefahr auf dem Rasen stand (Julian Brandt, Marco Reus, Thoran Hazard, Jadon Sancho) war es am Ende Hummels, der in seinem 337 Bundesliga-Spiel die Weichen für den Arbeitssieg stellte.
Als er im März 2019 von Bundestrainer Joachim Löw aus der Nationalelf herauskomplimentiert wurde, war er tief enttäuscht. Kämpferisch kündigte der Profi an, dass aus seiner Perspektive bezüglich seiner DFB-Karriere das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Es waren weiß Gott keine Lippenbekenntnisse. Wie der ebenfalls von Löw geschasste Thomas Müller liefert Hummels seit Monaten konstant Argumente, die seine abermalige Berufung ins Aufgebot rechtfertigen würden. Wohlmeinende Journalisten und ein erlauchter Kreis von Prominenten aus dem Fußball bringen nach jeder ernüchternden Vorstellung der im Umbruch befindlichen DFB-Elf die Namen Weltmeister von 2014 ins Gespräch. Auch „Aki“ Watzke gab am Samstag dem Bundestrainer einen Tipp zur Entscheidungshilfe: „Mats hat noch eine gute Chance, die EM zu spielen. Er spielt schließlich seit langer Zeit auf Top-Niveau.“
Aber abgesehen davon, dass sich Löw bewusst für eine Zäsur und einen Verjüngungskurs entschieden hat, tut auch Mats Hummels gut daran, seine aktive Zeit bei der Nationalmannschaft ad acta zu legen. Würde er bei einer Rückkehr nicht wie ein Fossil unter den Jungtalenten wirken? Will er sich das wirklich noch einmal antun? Zweifelsohne besitzt er die Qualität und die Strahlkraft, die Mannschaft zu führen. Doch jeder Fehler, jede Hundertstel, die er im Zweikampf zu spät käme, würde einem wie ihm doppelt negativ angerechnet. Schon bei der WM 2018 wirkte er mitunter ein wenig aus der Zeit gefallen. Die lange Zeit seiner Laufbahn spiegelt sich eben besonders dann wieder, wenn nach der Saison noch großes Turnier ansteht. Sein Tempo war noch nie in Warp-Dimensionen und wird naturgemäß auch nicht mehr schneller.
Hummels ist beraten, seinen Ehrgeiz voll und ganz auf seinen Klub zu lenken. Darauf den BVB zukunftsfähig zu machen und noch einmal dahin zu führen, wo sich der Verein während der bedeutsamen Klopp-Jahren befand. In Dortmund prägt Hummels das Spiel und verpasst ihm genau den Zuschnitt, der auch seinen individuellen Stärken (und Schwächen) entgegenkommt. In der Nationalelf wäre ein derartige Kompatibilität aufgrund des Mangels an Zeit und der Vielzahl an Charakteren wohl nicht mehr zu erzielen.
Auch Borussia Dortmund ist auf einen Mats Hummels im Vollbesitz seiner Kräfte angewiesen. Nach seinen beiden Treffern in Bielefeld schied der Innenverteidiger wegen einer Muskelverhärtung aus dem Spiel. Am Westfalenpark bibbern sie nun, dass ihr etwas in die Jahre gekommenes Mentalitätskraftwerk schnellstmöglich wieder fit wird. Für Lucien Favre ist Hummels so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau. Fällt der gebürtige Bergisch-Gladbacher aus, muss der Trainer nicht nur in der Innenverteidigung Alternativen schaffen, sondern auch auf der Position des Sechsers. Doch die (deutlich jüngeren) Kollegen Dan-Axel Zagadou und Emre Can, die für diese Abteilung verantwortlich zeichnen, fallen noch krankheitsbedingt aus. Wenn Favre in die Verlegenheit käme, Łukasz Piszczek oder Thomas Delaney im Abwehrzentrum aufzubieten, würde auch dies den Charakter des BVB-Spiels nachhaltig verändern.
Kurz: Sein Ausfall in der Champions League gegen den Club Brügge am Mittwoch wäre schmerzlich, aber vielleicht zu verkraften. Sein Fehlen im prestigeträchtigen Duell gegen die Bayern würde die Wahrscheinlichkeit jedoch deutlich erhöhen, dass an der Tabellenspitze der Bundeslig erneut die gewohnte Ödnis Einzug hält.
Es ist also letzlich im Interesse aller Fans, dass Mats Hummels noch bis auf weiteres sein volles Leistungsvermögen erreicht. Und zeigt, was für ein großer Fußballer er ist.