Morgen startet die Bundesliga in ihre 57. Spielzeit. Fast schon traditionell wird sie dabei von Zweifeln an der Qualität begleitet. Warum das Quatsch ist.
Am Tag, an dem ich erwachsen wurde, war Stefan Effenberg an meiner Seite. 177 Kilometer Luftlinie entfernt zwar, aber doch bei mir.
Ich saß im Britzer Garten, einem Landschaftspark in Berlin. Ich saß dort mit meiner Familie, beging meinen 18. Geburtstag und doch nicht, denn ich hatte große Angst um meine Zukunft, weil ich Angst um die Zukunft von Borussia Mönchengladbach haben musste. An diesem 9. Mai, dem 34. Spieltag der Saison 1997/98.
Die Ausgangslage war so eindeutig wie elend. Gladbach stand auf Platz 16, die Relegation war längst abgeschafft und längst noch nicht wieder eingeführt. Drei Punkte zum Klassenerhalt also, zum Karlsruher SC um Thomas „Icke“ Häßler, der in der Woche zuvor stark aufgespielt und seine Mannschaft zu einem 4:2 über den VfB Stuttgart geführt hatte, was damals noch eine Leistung war.
Wie ein Vater
Der drohende Abstieg in die 2. Bundesliga fühlte sich an wie die bevorstehende Amputation eines Stücks Seele. Unwiederbringlich würde der Verein, mein Verein, fortan mit einem Makel behaftet sein und damit auch ich. Dabei sollte mein Leben doch gerade erst beginnen.
Doch weil Jugend immer auch Reinheit bedeutet, weil mein junges Leben noch ohne gravierende Rückschläge ausgekommen war, mischte sich unter die Angst auch ein Urvertrauen in die Dinge. Ein Urvertrauen namens Stefan Effenberg.
Effenberg war der Boss. Effenberg war, was sonst nur Väter sind: unbesiegbar. Effenberg würde die Sache schon richten. Und er richtete die Sache.
Karlsruhe verlor mit 2:4 in Rostock, zweier Tore des fantastischen „Icke“ Häßler zum Trotz. Gladbach hingegen gewann 2:0 in Wolfsburg, Effenberg selbst erzielte bereits in der 13. Minute den Führungstreffer. Ich lauschte dem Wunder am Radio, bangte und freute mich wie noch nie an einem Geburtstag zuvor.
Die immergleichen Klagelieder
Ungefähr eineinhalb Stunden später war Borussia Mönchengladbach doch nicht abgestiegen und ich zum Mann geworden. Dachte ich. Denn ich hatte dem Tod ins Auge geblickt und war ihm doch von der Schippe gesprungen, so lief das, ich kannte ja das Leben, denn ich war im Kino gewesen.
Ein Jahr später stieg die Borussia sang- und klanglos ab, als Letzter, mit 16 Punkten Rückstand. War aber auch klar, Stefan Effenberg war vor der Saison schließlich mal wieder zu den Bayern gewechselt. Und ich blieb sitzen, statt Abitur zu machen. Ich habe meinen Eltern nie gesagt, dass ein Mittelfeldspieler Schuld daran war.
20 Jahre sind seither vergangen. 20 Jahre, in denen der FC Bayern München gefühlt 21 Mal Meister geworden ist. 20 Jahre, in denen Stefan Effenberg die Champions League gewonnen und an Ansehen verloren hat. 20 Jahre, in denen vor jeder Saison die immergleichen Klagelieder zu vernehmen sind.