In der Premier League sorgt der FC Watford derzeit für Furore. Sei es der Underdog-Status, die Transfers oder das feine Gespür von Trainer Marco Silva – die Parallelen zu Leicester City sind offensichtlich. Wir machen den 11Freunde-Märchen-Check.
Die Sensations-Meisterschaft von Leicester City ist noch immer all gegenwärtig. Völlig überraschend gewannen Jamie Vardy & Co. vor zwei Jahren die Premier League – „against all odds“. In dieser Saison mischt schon wieder ein mittelmäßiger Klub die Liga auf. Vieles beim FC Watford erinnert an die Fabel-Saison der „Foxes“. Hier kommt der 11Freunde-Märchen-Check.
Die Trainer
Bei Leicester gilt zweifelsohne Claudo Ranieri als sprichwörtlicher Vater des Erfolgs. Auf der Insel war der Signori schon zur seiner Zeit beim FC Chelsea als der „Tinkerman“ bekannt. Ein Bastler also, der so lange an Taktik und Aufstellung herumschraubte, bis es passte. Teilweise gar etwas zu viel. Doch bei den „Foxes“ gelang es ihm, aus einer mittelmäßigen Mannschaft ein Spitzenteam zu formen. Er schaffte eine Balance aus defensiver Stabilität und überragendem Konterspiel. Das Knowhow dafür holte sich der Italiener unter anderem bei Atlético Madrid, Juventus Turin oder AS Monaco, ehe er in Leicester anheuerte. Kurz zuvor war Ranieri Nationaltrainer Griechenlands. Vier Spiele, kein Sieg. Naja. Doch in Griechenland arbeitete auch Watfords Trainer – und das durchaus erfolgreich.
Seit Ende Mai leitet Marco Silva nun die Geschicke beim FC Watford. Der Portugiese ist mit seinen 40 Lenzen noch ein Trainer-Jungspund. Zumindest im Vergleich zum 66-Jährigen Ranieri. Und doch erinnert seine Vita schon an die des Italieners – nur im Mini-Format. Bei Estoril Praia, Sporting Lissabon, Olympiakos Piräus und Hull City war Silva bislang tätig. Mit Sporting gewann er den Pokal, mit Piräus die Meisterschaft. Auch er gilt als Taktik-Tüftler. Bei den „Hornets“ ist es Silva innerhalb kürzester Zeit gelungen, die Mannschaftsteile perfekt aufeinander abzustimmen, ähnlich wie Ranieri bei Leicester. Auch Watford ist eine Mannschaft ohne Stars, doch das Kollektiv funktioniert. Die Balance stimmt. Auch dank einiger Transfers.
Die Transfers
Auf große Shopping-Tour ging Ranieri damals nicht. „Nur“ 50 Millionen Euro investierte er in neue Spieler. Für Premier-League-Verhältnisse fast schon lächerlich. Das sind in etwa die Transferausgaben des SC Freiburg im Vergleich zu denen von Bayern München. Die Schlüsselspieler für Leicesters märchenhafte Meisterschaft hießen Wes Morgan, Jamie Vardy und Riyad Mahrez. Doch sie alle spielten schon vorher im Klub. Für vergleichsweise kleines Geld kamen aber wichtige Puzzleteile dazu: Christian Fuchs, Robert Huth, Shinji Okazaki und vor allem N’Golo Kanté.
Welche Spieler den FC Watford zur Meisterschaft schießen werden, steht freilich noch in den Sternen. Mit Abdoulaye Doucouré und Richarlison haben bei den „Hornets“ jedenfalls schon zwei Offenspieler ihre Treffsicherheit unter Beweis gestellt. Letzterer war der absolute Wunsch-Transfer von Trainer Silva. Der 20-jährige Stürmer kam für 13 Millionen Euro von Fluminense nach London. Drei Treffer und drei Assists steuerte der Brasilianer bereits bei. Mit der Verpflichtung des Mittelfeld-Regisseurs Tom Cleverly gelang dem FC Watford zudem ein echter Transfer-Coup. Vom Liga-Konkurrenten Burnley wurde Stürmer Andre Gray für 20 Millionen Euro geholt. Allesamt gute, aber eben nicht überteuerte Neuzugänge. Und im Angriff wartet noch eine weitere, fast erschreckende Ähnlichkeit zu Leicester City – und ihrem Helden Jamie Vardy.
Dass Jamie Vardys ungewöhnlicher Karriereweg nicht so Recht in die schillernde Premier League passen will, ist kein Geheimnis. Den Aufstieg vom Amateur-Kicker zum Top-Torjäger hätten ihm wohl nur wenige zugetraut. Denn er ist eben nicht so aalglatt, wie viele andere Profis. Im Jahr 2007 wurde er nach einer Kneipen-Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung verurteilt. Sechs Monate musste Vardy eine Fußfessel tragen. Inklusive einer Ausgangssperre von 16 bis 6 Uhr. Teilweise waren die Auswärtsspiele für ihn schon nach 60 Minuten zu Ende. Seine Karriere schien schon fast beendet. Genau wie die von Watfords Troy Deeney.
Im Jahr 2010 wechselte Deeney vom Drittligisten FC Walsall in die Hauptstadt. Zwei Jahre später schlug er in einem Nachtklub zwei Personen krankenhausreif – vor laufenden Kameras. Nicht gerade die feine englische Art. Der damals 24-Jährige bekam zehn Monate Haft aufgebrummt. Auch seine Karriere schien beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Doch drei Monate später kam Deeney wegen guter Führung auf freien Fuß. Und er erhielt von Watford eine zweite Chance. Mittlerweile ist er einer der Toptorjäger bei den „Hornets“. Und ein Mann klarer Worte: Nach dem 2:1‑Sieg gegen Arsenal sprach er den „Gunners“ öffentlich ihre „Cojones“ ab. Der Mittelstürmer vom Typ „Kleiderschrank“ steuerte dabei übrigens selbst einen Treffer bei. Das führt uns zur nächsten Leicester-Parallele.
Der gute Saisonstart
2015 startete Leicester City äußerst vielversprechend in die neue Spielzeit. Siege gegen West Ham, Sunderland und Aston Villa gaben dem eigentlichen Abstiegskandidaten schon früh Aufwind. Dazu teilte man sich die Punkte mit Tottenham und Stoke. Nach neun Spieltagen stand Ranieris Team bereits auf Rang fünf. Nur eine Niederlage gegen Arsenal London musste der spätere Meister hinnehmen.
Gegen eben jenes Arsenal gewann Watford am achten Spieltag mit einem Last-Minute-Treffer. Außerdem holte Silvas Team gegen Bournemouth, Southampton und Swansea weitere Dreier. Jürgen Klopps FC Liverpool trotze man beim spektakulären 3:3 einen Zähler ab. Gegen den FC Chelsea verlor man zuletzt äußerst unglücklich. Einzig die 0:6‑Heimniederlage gegen Manchester City will irgendwie nicht so recht ins Gesamtbild passen. Dennoch: aktuell stehen die Underdogs auf Platz sechs – in Schlagdistanz zur Spitzengruppe.
Der Status als Underdog
Trotz des guten Saisonstarts wurde die Mannschaft von Ranieri in der Meister-Saison zunächst nicht ernst genommen. Warum auch? Also spielte die Mannschaft lange Zeit unter dem Radar. Erst im Winter wurde deutlich, dass es sich beim Höhenflug der „Foxes“ nicht um ein „One Hit Wonder“ handelte, sondern, dass Leicester schlicht guten Fußball spielte. Doch bis die Konkurrenz das begriffen hatte, grüßten Vardy & Co. schon von der Tabellenspitze. Und gaben Platz eins nicht mehr her.
Auch der FC Watford wird aktuell nicht ernst genommen. In einer Liga mit so vielen finanzstarken Spitzenklubs, kann man sich ja schließlich nicht auch noch um die „Kleinen“ kümmern. Dabei ist das äußerst schade. Denn das Beispiel von Leicester hat gezeigt, dass es im Fußball auch noch Überraschungen geben kann. Selbst in der Premier League. Was wäre das schon, wenn die „Hornets“ aus London ebenfalls unbemerkt unter dem Radar fliegen können. Um dann eiskalt zuzustechen. „Against all odds“.