Aus dem verschlafenen München zog es Franz Beckenbauer im Sommer 1977 ins Epizentrum des Disco-Infernos. Als Teil der New York Cosmos wurde aus dem deutschen Kaiser ein Mann von Welt.
Der Tag seiner Vertragsunterzeichnung fällt in die Wochen der Eröffnung des legendären Tanzpalastes „Studio 54“ am 26. April 1977. Die Disko liegt nur wenige Gehminuten von Beckenbauers neuem Zuhause entfernt. Steve Ross sorgt mit seinen Kontakten dafür, dass sich ständig Popstars auf der Tribüne und in den neuartigen VIP-Logen des Giants Stadiums bei den Cosmos-Spielen tummeln. Vor allem dann, wenn sie neue Filme oder Platten zu promoten haben. Nach Abpfiff schlürfen Barbra Streisand, Phil Collins, Muhammad Ali, Quincy Jones oder Steven Spielberg in der Spielerkabine Dom Perignon mit den Aktiven. Eines Tages, als Beckenbauer aus der Dusche kommt, trifft er dort auch einen alten Bekannten wieder: Mick Jagger.
Der Flirt der Künstler mit den Kickern geht jeden Montagabend im »Studio 54« weiter. Dort haben die Cosmos-Spieler ihren Tisch. Den Soundtrack zu diesen Nächten schreibt ein Exil-Münchner: Giorgio Moroder ist Produzent der Discogöttin Donna Summer, die mit ihren gestöhnten Hymnen „Love to Love You Baby“ und „I Feel Love“ das Lebensgefühl für den Klub an der 54th Street West eingefangen hat. „Studio 54“-Besitzer Steve Rubell kultiviert das Prinzip der härtesten Tür der Welt – ein Stilmittel, das bald überall Nachahmer finden soll, auch im verschlafenen München, wo sich das „P1“ bis heute als leicht spießiger Abklatsch des New Yorker Sündenpfuhls positioniert. Rubell steht auf einem Hydranten vor dem Eingang, blickt in die Menschenmenge hinter den Pollern mit dem Seidenband und wählt in einer fast spirituellen Prozession aus, wer hinein darf und wer nicht. „I am with the Cosmos“ sind in diesem flirrenden Sommer 1977, in dem das Starensemble im letzten Spiel von Pelé den Meistertitel gewinnt, fünf magische Worte, um den exklusiven Zutritt zu erlangen.
Am Spielerstammtisch auf der Galerie fließt der Champagner in Strömen, während das Stroboskop die Tanzfläche in ein fiebriges Licht taucht. Während auf dem blinkenden Dancefloor das Discoinferno losbricht, wird von der Decke ein Halbmond mit einem großen Löffel heruntergelassen. In den dunklen Ecken der früheren Theaterloge kommt sich die illustre Gesellschaft, bestehend aus Transvestiten, Künstlern, Popstars und Fußballern, näher. Die Szenerie erinnert an die Gemälde von Hieronymus Bosch. „Pornos waren Kinderkram gegen das“, wird Chinaglia später sagen, „was im ‚Studio 54’ lief, wenn wir dort waren.“ Nackte Kellner mixen Cocktails. Grace Jones reitet auf einem Schimmel. Dazwischen Chinaglia und Pelé mit zwei Blondinen an jedem Arm, beide tragen Tunika wie römische Imperatoren, sie lassen sich Trauben in den Mund fallen. Dann springt Pelé auf die Tanzfläche und schwingt umringt von Models und Dragqueens die sambaerprobten Hüften. Und Franz Beckenbauer sitzt mit einem Drink in der Hand in einer Ecke. „Von einer ganz beschaulichen in eine verrückte Welt,“ sagt er. „Für mich war New York die schönste Zeit in meinem Leben.“