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Nichts liebt Leh­mann mehr als die Rolle des Pro­vo­ka­teurs.“ Im Jahr 2000 klang das, was in der Bild am Sonntag über Jens Leh­mann geschrieben wurde, noch wie ein Kom­pli­ment. Damals, der Tor­hüter war hinter Oliver Kahn die soge­nannte 1B im Tor der Natio­nal­mann­schaft, posi­tio­niere er sich in der Öffent­lich­keit regel­mäßig als selbst­be­wusster und wort­ge­wandter Mann, als Typ, dessen Aus­sagen zwar streitbar waren, aber stets on Point. Wenn er als Elf­me­ter­held gefeiert wurde, wie nach einem Uefa-Cup-Spiel von Borussia Dort­mund gegen die Glasgow Ran­gers, erzählte er danach mit ver­stei­nerter Miene, dass er das Spiel lieber vorher mit einem eigenen Tor ent­schieden hätte. Den all­mäch­tigen Schalke-Manager Rudi Assauer for­derte er einst auf, seine Zigarre aus­zu­ma­chen, weil sie ihn störe. Über seine 2010 ver­öf­fent­liche Bio­gra­phie schrieb die Bild: Ehr­lich, unbe­quem, Jens Leh­mann!“ 

Er lie­ferte und kon­trol­lierte Geschichten, er galt als smart und sie­ges­si­cher und fokus­siert, als einer, der genau wusste, was er wollte – und wie er es bekommen würde. Jah­re­lang wie­der­holte er man­tra­artig, dass er im Ver­gleich zu Kahn der bes­sere Tor­wart sei, moderner, kom­pletter, ner­ven­stärker. Und als es 2006, bei der Heim-WM in Deutsch­land, um das größte Tur­nier seiner und auch Kahns Kar­riere ging, stand Leh­mann dann tat­säch­lich im Tor. Was von Bun­des­trainer Jürgen Klins­mann als rein sport­liche Ent­schei­dung gemeint gewesen sein dürfte, Leh­mann war ja wirk­lich der moder­nere Tor­hüter, besser mit dem Ball am Fuß, sicherer in der Straf­raum­be­herr­schung, wurde in der Öffent­lich­keit auch auf­ge­nommen als Ent­schei­dung für den intel­li­gen­teren Mann. Bei Claudia Roth, damals Bun­des­vor­sit­zende der Grünen, klang das zum Bei­spiel so: Er ist eine außer­ge­wöhn­li­chen Per­sön­lich­keit, nicht nur als Spieler auf dem Platz, son­dern auch dort, wo es um Hal­tungen zu gesell­schafts­po­li­ti­schen Fragen geht.“ Die Bild am Sonntag geriet schon 2000 regel­recht ins Schwärmen über diesen ver­meint­lich so klugen Kopf: Er schaffte locker das Abitur, stu­dierte Betriebs­wirt­schaft und ist in der Lage in Inter­views einen weit über­durch­schnitt­lich guten Gesprächs­partner abzu­geben.“

Eine außer­ge­wöhn­li­chen Per­sön­lich­keit“

Claudia Roth

Nun, mehr als 20 Jahre später, erhärtet sich ein anderer Ver­dacht. Viel­leicht ist Jens Leh­mann gar kein großer Pro­vo­ka­teur – son­dern ein­fach nur ers­tens nicht son­der­lich sym­pa­thisch und zwei­tens schlichtweg nicht so schlau, wie ihm und uns lange erzählt wurde. So lange, dass er es irgend­wann selbst ein biss­chen zu sehr glaubte. Und sich immer weiter aus dem Fenster lehnte. Ges­tern jeden­falls, das steht fest, ist dem 51-Jäh­rigen etwas sehr, sehr Dummes pas­siert. Er hat eine WhatsApp-Nach­richt ver­schickt, aller­dings nicht an den Emp­fänger, für den sie gedacht war, son­dern an Dennis Aogo. Beson­ders dumm: In der Nach­richt ging es auch noch um Dennis Aogo. Nicht nur dumm, son­dern ver­werf­lich: Die Nach­richt war ein ras­sis­ti­scher Spruch. 

Ist Dennis eigent­lich euer qoten­schwarzer?“, schrieb Leh­mann, für wen auch immer es gemeint war, direkt an Dennis Aogo, dahinter setzte er einen Grin­ses­miley. Haha! Bezie­hungs­weise: Hä? Aogo jeden­falls ließ sich den Spruch nicht ein­fach gefallen und ver­öf­fent­lichte einen Screen­shot des Gesprächs auf Insta­gram. Unsere starke Ver­mu­tung: Aogo wollte der Öffent­lich­keit nicht nur zeigen, dass Ex-BWL-Stu­dent Leh­mann das Wort Quote“ falsch geschrieben hatte. Son­dern dass er offen­sicht­lich ras­sis­ti­schen Müll fabri­ziert, wenn er glaubt, dass nie­mand hin­sieht, der es als ras­sis­ti­schen Müll ent­larven könnte. Danach ging es flott: Leh­mann, der seit 2020 für Hertha-Investor Lars Wind­horst und dessen Tennor Hol­ding im Auf­sichtsrat der KGaA von Hertha BSC saß, ist diesen Posten nun wieder los. Sein Ver­trag mit Tennor, die Nach­richt wurde vor wenigen Minuten öffent­lich, ein Unter­neh­mens­spre­cher bestä­tigte es gegen­über diversen Zei­tungen, wurde auf­ge­löst.

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Geht es um Moral und Anstand und die großen Themen unserer Zeit, Ras­sismus, Homo­phobie, Into­le­ranz, dann kann das Internet ein gefähr­li­cher Ort sein. Men­schen urteilen schnell und eini­ger­maßen gna­denlos, Klei­nig­keiten werden auf­ge­bauscht, aber dann nicht nach­haltig auf­ge­ar­beitet, Men­schen fühlen sich zu Unrecht geta­delt, spre­chen von ver­engten Mei­nungs­kor­ri­doren, von der Unfä­hig­keit, andere Mei­nungen aus­zu­halten. Das mag in man­chen Fällen sogar zutreffen – im Fall von Jens Leh­mann aller­dings nicht. Auch wenn er wohl schon bald ein großes Medium finden wird, dem er erzählen darf, dass man heut­zu­tage nichts mehr sagen darf. Doch dass er heute Gesprächs­thema ist und seinen Posten im Auf­sichtsrat ver­loren hat, hat er keinem wütenden Mei­nungsmob zuzu­schreiben, son­dern einzig und allein sich selbst. Was auch an seiner ver­meint­li­chen Ent­schul­di­gung für die Nach­richt liegt. 

Wenige Stunden, nachdem das Thema Fahrt auf­ge­nommen hatte, ver­suchte er es durch einen Tweet wieder ein­zu­fangen: In einer pri­vaten Nach­richt von meinem Handy an Dennis Aogo ist ein Ein­druck ent­standen für den ich mich im Gespräch mit Dennis ent­schul­digt habe. Als ehe­ma­liger Natio­nal­spieler ist er sehr fach­kundig und hat eine tolle Prä­senz und bringt bei Sky Quote.“ Die Info-Essenz des Tweets: Die Nach­richt hat in der Öffent­lich­keit eigent­lich nichts ver­loren, sie ist privat! Dass sie ras­sis­tisch sein soll, ist ledig­lich eine Miss­in­ter­pre­ta­tion (also Aogos eigene Schuld!), es ist nur ein fal­scher Ein­druck ent­standen, mehr nicht. Außerdem sei das mit der Quote, logisch, eigent­lich ein ver­kapptes Lob gewesen. Ein Mann, der so selbst­ge­fällig in der Öffent­lich­keit auf­tritt, der so wenig Gespür für das Emp­finden anderer Men­schen zeigt, ist für einen Verein wie Hertha, der sich seit Jahren offensiv und ent­schieden gegen Ras­sismus und Homo­phobie ein­setzt, nicht tragbar. Punkt. Zumal es bei weitem nicht das erste Mal ist, dass Leh­mann mit maximal aben­teu­er­li­chen Aus­sagen für Kopf­schüt­teln sorgt.

Hatte das Ganze am Ende etwas mit mir zu tun?“

Jens Lehmann

Im Gegen­teil, eigent­lich wirkt es eher so, als besäße Jens Leh­mann einen wun­derbar kali­brierten Kom­pass, der ihn ohne Umwege von Fett­näpf­chen zu Fett­näpf­chen führt. Als hätte er auf dem legen­dären Zettel, der ihm vor dem Elf­me­ter­schießen gegen Argen­ti­nien bei der WM 2006 in die Hand gedrückt worden war, nicht die Vor­lieben der argen­ti­ni­schen Schützen gefunden, son­dern eine fach­ge­rechte Anlei­tung, wie man zu jedem gesell­schaft­li­chen Thema etwas maximal Däm­li­ches sagt. Auf die Frage, wie er selbst als aktiver Spieler auf ein Outing von Thomas Hitzl­sperger reagiert hätte, ant­wor­tete er 2018 in einer Sen­dung auf Sky: Komisch, glaube ich. Man duscht jeden Tag zusammen, man hat Phasen, in denen es nicht so läuft. Aber Thomas Hitzl­sperger ist ein Spieler, der ers­tens sehr intel­li­gent ist, und zwei­tens von seiner Spiel­weise über­haupt nicht den Anlass gegeben hätte, dass man da hätte denken können, da ist irgend­etwas.“ 

Über die Corona-Pan­demie, die mitt­ler­weile und trotz gra­vie­render Ein­schrän­kungen und Vor­sichts­maß­nahmen fast 84.000 Men­schen in Deutsch­land das Leben gekostet hat, schrieb er im Dezember: 2017 mussten wir in Deutsch­land 23.000 Grippe-Tote betrauern. Da hat es keiner wahr­ge­nommen. Jetzt müssen wir genau die gleiche Ster­be­rate inner­halb der Bevöl­ke­rung von 0,028% betrauern. Bleibt gesund und frohe Weih­nachten.“ Über den Suizid seines Ex-Kol­legen Robert Enke schrieb er in seiner ach so ehr­li­chen und unbe­quemen“ Bio­gra­phie: Es geschah aus­ge­rechnet an meinem 40. Geburtstag, dem 10. November 2009: Robert Enke nimmt sich das Leben. (…) Warum bringt sich so jemand um? Und dann auch noch an meinem 40. Geburtstag – hatte das Ganze am Ende etwas mit mir zu tun?“ Smart und pro­vo­kant? Was im letzten Jahr­zehnt von Leh­mann kam, wirkte eher unin­for­miert, ego­zen­trisch, empa­thielos und rück­wärts­ge­wandt. Oder wie der ehe­ma­lige HSV-Funk­tionär Werner Hack­mann es einst aus­drückte: Leh­mann ist ein arro­ganter Schnösel!“

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