Dieser Mann hat schon alles gesehen: Rudi Gutendorf. Für uns schreibt er über seine verrücktesten Erlebnisse. Heute: Wie er beinahe Chinas Nationalteam zu Olympia 1992 geführt hätte – und wie ihn eine Szene zum Helden machte.
Es ist einer meiner stolzesten Augenblicke als Trainer. Zigtausend Chinesen skandieren im Pekinger Volksstadion immer wieder meinen Vornamen auf chinesisch: „Ludi, Ludi, Ludi!“ hallt der Chor rundum. Immer wieder rufen die sonst gegenüber Fremden zurückhaltenden Zuschauer „Ludi, Ludi“ und „Schä-ni“, was Germany heißen soll.
Der ganz große Bahnhof für den Neuling
Ich sitze bewegt mit feuchten Augen auf der viel zu niedrigen hölzernen Trainerbank und schlucke trocken. Meine chinesische Olympia-Auswahl hat gerade 1:0 gegen den kommunistischen Bruderstaat Nordkorea gewonnen. Als ich im Auftrag des Nationalen Olympischen Komitees 1991 in den Fernen Osten flog, war ich natürlich skeptisch gewesen. Mein Freund Walther Tröger vom IOC hatte die Sache angeleiert, ich hatte einen voll gepackten Terminkalender, kannte weder Land noch Leute und konnte natürlich auch ihre Sprache nicht. Nicht ein Wort.
Auf dem Flughafen in Peking traute ich dann meinen Augen nicht. Mir kam es vor, als ob alle Fernsehkameras von China auf mich gerichtet wären. Dieser Aufwand konnte nicht mir, sondern nur einem ganz hohen Tier gelten. So dachte ich jedenfalls und versuchte mich verschämt durch den Wald von Mikrophonen hindurchzuschlängeln. Doch ich hatte mich getäuscht. Die chinesischen Medien und der Sportminister gaben mir, dem deutschen Fußballtrainer, die Ehre des ganz großen Empfangs. Das war kein Zufall. Mit dem fürchterlichen Massaker auf dem Tian’anmen-Platz 1989 hatte sich die politische Führung Chinas international ins Abseits gestellt. Über den Sport wurden die Fäden neu geknüpft, und ich war der erste prominente westliche Ausländer, der in offizieller Mission wieder nach China kam.
Ein voller Terminplan
Zweck meiner Tätigkeit sollte in erster Linie die Arbeit mit der chinesischen Jugendauswahl sein, die vom chinesischen Fußballverband als Olympia-Auswahl nominiert worden war. Ganz „nebenbei“ sollte ich noch zwei Trainerlehrgänge, einen Kurzlehrgang in Shanghai für Jugendtrainer, sowie einen Zentralkurs für die chinesische Spitzencoachs in Kanton leiten. Weiterhin standen Wochenendkurse für Schiedsrichter in Peking und ein Seminar für Schulkinder in Dalian im östlichen China auf dem Programm – also Fußballentwicklungshilfe, die ihren Namen verdient.
Na, dann mal in die Hände gespuckt.