Dank Hansi Flick spielt der FC Bayern so unwiderstehlich wie lange nicht mehr und feiert seine achte Meisterschaft in Folge. Der Coach galt lange als Übergangslösung. Doch nach dem Titegewinn könnte er der Mann sein, der das Team des Rekordmeisters in ein neues Zeitalter führt. Und womöglich auch zu einem erneuten Triple?
Als Jogi Löw nach dem Gewinn des WM-Titels 2014 in Rio zur Pressekonferenz kam, wurde er von einem österreichischen Journalisten gefragt, ob er Austria Wien dankbar sei. Der Verein habe ihn schließlich 2004 entlassen und damit unfreiwillig Löws Weg zum DFB und damit zum späteren Gewinn der Weltmeisterschaft geebnet. Der Bundestrainer konterte die spitzbübische Frage im Augenblick seines größten Triumphs mit der ihm eigenen Contenance – und gab dem Kollegen Recht. Ja, er sei dankbar für jede Erfahrung, die er als Trainer machen durfte – selbstverständlich auch für die bei der Austria.
Ob sich Hansi Flick Gedanken macht, wie sein Leben im Fußball verlaufen wäre, wenn er 2005 als Trainer der TSG Hoffenheim in die zweite Liga aufgestiegen wäre? Man weiß es nicht! Dennoch eint ihn mit seinem Ex-Chef Löw, dass auch für ihn eine Demission einst die Weichen für eine ungeahnt große Trainerlaufbahn stellte. Fünf Jahre lang hatte er als Jungcoach das Fundament für das ambitionierte Projekt des Milliardärs Dietmar Hopp gelegt und dessen trutschigen Heimatverein sukzessive professionalisiert. Doch auch im vierten Anlauf verpasste er den Aufstieg aus der Regionalliga – und musste gehen. Zum Architekten der TSG 1899, wie wir den Klub kennen, wurde sein Nachfolger Ralf Rangnick. Und für den geschassten Übungsleiter aus Neckargmünd begannen Wanderjahre, die ihn überall hätten hinführen können. Kein Experte jedoch wäre wohl auf die Idee gekommen, dass Flick 15 Jahre später als der Erneuerer auf der Trainerbank des FC Bayern enden würde.
Jetzt hat das Team unter seiner Leitung die achte Meisterschaft in Serie gewinnen. Der Rekordmeister steht im Pokalfinale und die internationale Konkurrenz kann sich glücklich schätzen, dass der Restart der Champions League auf sich warten lässt, so beängstigend dominant präsentieren sich die Münchner dieser Tage.
Als er im November nach Niko Kovacs Entlassung interimsmäßig übernahm, lag das Team in der Bundesliga auf Platz vier. Der große Rivale Borussia Dortmund war drauf und dran zu enteilen. Stars wie Thomas Müller und Jérome Boateng schienen ihre beste Zeit hinter sich zu haben und dachten laut über einen Wechsel nach. Die jahrelange Hegemonie der Bayern war offenbar vorbei.
Doch mit seiner diplomatischen Ader gelang es Flick im Handumdrehen, den zerbröselnden Kader zu befrieden. Wer wie er so viele Jahre in der zweiten Reihe bei Topteams verbracht hat, kennt sich mit Krisen aus. Anders als seine Vorgesetzten, die oft im Kreuzfeuer der Kritik darbten, war er imstande, die Gesetzmäßigkeiten von Misserfolgen mit mehr Distanz zu betrachten. Wie unterm Brennglas. Er weiß, dass schon ein offenes Ohr, ein Flachs, ein Hauch von Entkrampfung in der alltäglichen Arbeit in schweren Zeiten wie Balsam wirken kann. Insbesondere wenn man als Coach mit Hochbegabten zu tun hat, denen einfach nur der Kopf vernagelt ist. Er nahm sich der Probleme seiner Spieler an, er sprach, er hörte zu und die Grundstimmung hellte sich von heut’ auf morgen auf. 4:0 besiegten die Bayern den BVB in seinem ersten Spiel, nachdem sie eine Woche im Beisein des bemitleidenswerten Kovac noch 1:5 in Frankfurt verloren hatten.
Auch wenn es anfangs niemand von den Verantwortlichen erkannte respektive nicht erkennen wollte: Flick war die Ideallösung für die angespannte Situation. Seine Jahre als Co-Trainer, seine strukturelle Arbeit als Sportdirektor des DFB und nicht zuletzt die Selbsterkenntnis, lieber auf dem Rasen als im Büro arbeiten zu wollen, haben ihn mit einem weitreichenden Arsenal an harten und soften Skills ausgestattet, die er nun mit traumwandlerischer Sicherheit anwandte. Seine Kenntnisse von Trainingssteuerung, sein Blick für Nachwuchstalente, sein Händchen für zweifelnde Stars und – die vielleicht größte Stärke – seine Uneitelkeit, waren eine perfekte Mixtur, um den Negativtrend rasant zu stoppen.
Flick ist kein Louis Van Gaal, der nach jedem taktischen Glanzstück mit dem Finger auf sich zeigt, wenn die Frage aufkommt, warum das Team so tollen Fußball spielt. Kein Pep Guardiola, der den Bossen mit melancholischem Augenaufschlag zuzischelt: „Thiago oder nix“ Kein Carlo Ancelotti, der nach Niederlagen zum Frustgelage ins Fünf-Sterne-Restaurant abtaucht. Hansi Flick ist, tja, der nette Herr Flick. Ein Primus inter pares, einer, der es nicht nur sagt, sondern lebt. Der verstanden hat, dass er als Chefcoach für ein positives Ergebnis und nicht dafür bezahlt wird, dass er das Scheinwerferlicht auf sich zieht, weil er eine krude Philosophie medienkompatibel verkauft. Ganz davon abgesehen, dass er mit seiner kurpfälzischen Sanftheit auch nicht dafür taugt, den Zampano zu spielen. Sprich: Einer, der in der Lage ist, ein Team zur Einheit zu verschmelzen, indem er seine Profis fordert, ohne dabei ihr Selbstbewusstsein zu beschädigen.