RB Leipzig steht im Halbfinale der Champions League. Normalerweise müssten wir das begleiten. Doch RB ist kein normaler Verein. Auch wenn das viele vergessen haben.
Von der SZ zum Beispiel, die Leipzig kürzlich zum lang erwarteten Wachküsser der Liga erklärte. Oder dieser Text, erschienen im Dezember 2019 auf zeit.de, geschrieben von einem – das ist nicht ironisch gemeint – sehr kompetenten Journalisten. Die Überschrift lautet, womöglich nicht ganz zufällig (womöglich nehmen wir uns in diesem Fall aber auch zu wichtig), Elf Freunde. Unter anderem heißt es: „Was die Kritiker jedoch übersehen oder übergehen: Der Verein mag keine Identität und keine Tradition haben, doch hinter dem Leipziger Erfolg steckt eine sehr simple, aber uralte, ewig junge, romantische Idee. Die Idee von einer Mannschaft, die über Jahre zu einem harmonischen Gefüge wächst und etwas gemeinsam leistet, was man ihren Einzelteilen nie zugetraut hätte. Diese Mannschaft steht für etwas, was den Fußball liebenswert macht. In Leipzig lebt der Geist der elf Freunde.“
Das ist inhaltlich natürlich ziemlich hanebüchen, denn an der Art der Zusammenstellung des Leipziger Kaders ist überhaupt gar nichts romantisch. Erstens sind Spieler wie Marcel Sabitzer, Emil Forsberg oder Timo Werner (oder Yussuf Poulsen oder Dayot Upamecano oder Peter Gulasci) schon seit ihrem ersten Bundesligaspiel für Leipzig herausragende „Einzelteile“, denen man auch damals in anderen Mannschaften herausragende Leistungen zugetraut hätte. Sonst wäre Leipzig als Aufsteiger 2016/2017 wohl eher nicht Vizemeister geworden. Zweitens konnte die Mannschaft nur „harmonisch“ zusammenwachsen, weil genau diese Topspieler über Jahre hinweg auch dementsprechend bezahlt wurden. Gladbach oder Schalke und selbst Dortmund hätten in der Vergangenheit wahrscheinlich sehr gerne über harmonisch gewachsene Mannschaften verfügt. Aber vielleicht waren Reus und Sané und Gündogan auch einfach nicht eng genug mit ihren Mitspielern befreundet.
Weiter heißt es: „Beim Sieg in Düsseldorf am Samstag standen in der Startelf sechs von ihnen, die schon in Zweitligazeiten in Leipzig waren, beim Sieg gegen Hoffenheim eine Woche zuvor waren es sieben. Beim Champions-League-Spiel in Lyon vorige Woche kamen die beiden Drittligaleipziger Demme und Poulsen zum Einsatz. Zugänge wie Patrick Schick oder Christopher Nkunku ergänzen die Elf. Doch es sind nicht die Einkäufe aus der Bundesliga-Zeit, die Leipzig so stark machen. Es sind die, die vor langer Zeit mit Weitsicht getätigt wurden, als Leipziger Scouts in St. Pauli, Bochum, Kaiserslautern oder Malmö fündig wurden.“
Dazu nur so viel: Niemand redet das Leipziger Scouting schlecht. Aber welcher andere Drittligist hat jemals 1,55 Millionen Euro für einen Spieler ausgegeben (wie Leipzig 2013 für Yussuf Poulsen)? Will heißen: Ein hochveranlagter Mann wie Yussuf Poulsen war nie ein echter „Drittligaspieler“. Und welcher andere Zweitligist hätte 2015 einen Emil Forsberg (der von internationalen Topklubs umworben wurde) bezahlen können? Und welcher seinen Job auch nur halbwegs ordentlich ausführende Scout hat Malmö (die dauernd Europa League oder Champions League spielen) oder Bochum oder St. Pauli nicht auf dem Schirm?
Darüber hinaus muss man über den Inhalt des Textes aber gar nicht streiten. Denn er geht, wie es oft beim Thema Leipzig der Fall ist, komplett am Problem vorbei. Die Kritik an RB Leipzig hat nichts mit dem Schlagwort Tradition zu tun. Ob der Verein zehn Jahre alt ist oder 1110, das ist, mit Verlaub, komplett wuppe. Es geht auch nicht darum, die sportlichen Leistungen in Abrede zu stellen. Es geht darum, und nein, das wurde anscheinend noch nicht oft genug wiederholt, dass RB Leipzig ein reines Marketingprojekt ist. Einzig und allein geschaffen, um die Marke Red Bull zu stärken. RB Leipzig ist kein Fußballverein, RB Leipzig ist ein Imitat.
RB Leipzig hatte nie die Absicht, nur Fußball zu spielen. Und es ist eben nicht das gleiche, wenn Vereine (wie zuletzt Hertha) Anteile an Investoren verkaufen oder von Trikotsponsoren Millionenbeträge kassieren wie die Bayern (was nicht heißt, dass das, was in Berlin passiert, richtig ist). Diese Vereine gab es schon, bevor die Investoren kamen. Der einzige Zweck dieser Vereine ist nicht, möglichst effektiv Werbung zu machen.