RB Leipzig steht im Halbfinale der Champions League. Normalerweise müssten wir das begleiten. Doch RB ist kein normaler Verein. Auch wenn das viele vergessen haben.
Dieser Text erschien erstmals in abgewandelter Form im Februar 2020.
Am Montagabend tickerten wir das Europa-League-Viertelfinale zwischen Bayer Leverkusen und Inter Mailand. Eine Paarung, die schon vor Wochen vielversprechend klang. Zwei gute Teams, junge und aufregende Spieler, attraktiver Fußball. Kann man auf jeden Fall tickern.
Wir hätten gestern Abend auch tickern können, wie RB Leipzig im Champions-League-Viertelfinale Atletico Madrid schlägt. Denn wir sind aktuell froh um jedes Spiel, das wir tickern können. Endlich wieder Fußball, die Sehnsucht nach etwas Normalität ist groß. Dazu eine deutsche Mannschaft im international wichtigsten Pokalwettbewerb. Und mit guten Chancen, ins Finale einzuziehen und den Pott zu gewinnen. Millionen werden dieses Spiel gestern gesehen haben. Was uns entsprechend auch Liveticker-Zugriffe beschert hätte. Vermutlich sogar mehr als bei Leverkusen gegen Inter.
Wir haben uns trotzdem dagegen entschieden. Was nicht daran liegt, dass wir auf Klickzahlen pfeifen und finanziell nicht darauf angewiesen wären, dass Menschen unsere Inhalte lesen. Wir haben uns – mal wieder – dagegen entschieden, weil wir das Konstrukt RB Leipzig nicht weiter normalisieren wollen. Weshalb wir schon seit jeher, auch unabhängig vom Liveticker, weder im gedruckten Heft noch auf 11freunde.de im herkömmlichen Sinne über Leipzig berichten.
RB Leipzig ist diese Entscheidung sehr wahrscheinlich sehr egal. Das Spiel wird in hundert verschiedene Länder live übertragen, die Zusammenfassung werden später Millionen von Menschen auf YouTube sehen. Und selbst wenn nicht, der Verein erreicht auch so genug Leute. Auf Twitter und Facebook und Instagram hat der Verein insgesamt mehr Follower als wir selber. Was nicht heißt, dass unabhängige Plattformen RB zwangsläufig egal sein könnten, nur weil diese auf Social Media weniger Menschen erreichen. Zuschauer und Zuhörer und Leser und User sind nicht hirnlos, sie können auch im Jahr 2020 noch unterscheiden zwischen kritischer Berichterstattung und PR. Das Problem ist bloß: Es gibt quasi keine kritische Berichterstattung mehr.
Spätestens in dieser Saison hat es gegenüber RB einen medialen Stimmungswandel gegeben. Damit sind nicht Ex-Profis gemeint, die sonntagsfrüh im Doppelpass einen Schluck Weizenbier trinken, dann das wahnsinnig spannende Projekt Leipzig und die exzellente Arbeit dort loben und dann ins Phrasenschwein einzahlen (Reihenfolge der aufgezählten Aktionen beliebig veränderbar). Das war schon vor drei Jahren nicht anders. Ebenfalls nicht gemeint sind die maximal nüchternen Spielberichte im Kicker oder die Jubelperser-Kommentare von Frank Buschmann während einer durchschnittlichen (von Sky für teures Geld eingekauften) Champions-League-Übertragung. Gemeint sind Texte von eigentlich kritischen Redaktionen.