Nach dem 0:6 gegen Spanien hat der Bundestrainer nur zwei Möglichkeiten: Er muss sich neu erfinden – oder den Hut nehmen.
Nein, nichts an der Nationalmannschaft macht derzeit Hoffnung auf Besserung. Was nicht nur an der erbarmungswürdigen spielerischen und kämpferischen Darbietung gegen Spanien lag, sondern auch an der völligen Abwesenheit zweier Grundtugenden einer Sportmannschaft, nämlich Leidenschaft und Inspiration. Es war ja kein Zufall, dass Löw gestern Abend auf der Trainerbank so stoisch dreinblickte, sondern die logische Konsequenz der letzten Jahre, in denen er sich systematisch gegen Kritik, gegen Stimmen von außen, gegen neue Einflüsse abgehärtet hat.
Das ging solange einigermaßen gut, wie ihm die DFB-Führung die Treue hielt. Nun aber gehen selbst enge Weggefährten auf Distanz. Lange entstand etwa der Eindruck, Bierhoff trage den präsidial-entrückten Habitus seines langjährigen Weggefährten loyal mit, sogar auf die Gefahr hin, selbst abgehoben und entrückt zu wirken. Doch der Manager ist zu sehr Machtmensch, um sich noch länger von Löw abhängig zu machen. Und so rückte er schon vor dem Spanien-Spiel rhetorisch geschickt vom Bundestrainer ab. „Wir müssen nun auch die Stimmung ins Positive drehen“, sprach Bierhoff. „Den Weg, den der Bundestrainer eingeschlagen hat, gehe ich bis einschließlich der EM mit.“ Das war nur auf den ersten Blick ein Treuebekenntnis, auf den zweiten Blick war es die klare Botschaft: für ein miserables Abschneiden beim Turnier im nächsten Jahr sei allein der Coach verantwortlich.
Nun könnte die Trainerfrage schneller als geplant aktuell werden, vor allem dann, wenn es eine klare Alternative gäbe. Nachswuchstrainer Stefan Kuntz und der derzeit unbeschäftigte Ralf Rangnick würden sicher nicht ablehnen, wenn ihnen das zweithöchste Staatsamt angetragen würde. Vielleicht bekommt Löw aber auch noch einmal die Gelegenheit, sich grundlegend zu korrigieren. Dazu müsste er spieltaktisch neue Wege gehen, die Mannschaft endlich defensiv stabiler machen, das Pressing professionalisieren.
Vor allem aber müsste er sich selbst noch einmal grundlegend neu erfinden. Er müsste zeigen, welch große Freude ihm der Job macht. Er könnte Kritik als willkommene Herausforderung und nicht als Majestätsbeleidigung auffassen. Er könnte wieder Neugier ausstrahlen und Leidenschaft angesichts der vielen hochtalentierten, jungen Spieler, die er im Kader hat.
Nur wer selbst begeistert ist, kann andere begeistern. Eine alte Erkenntnis, aber auch die einzige Perspektive für Joachim Löw. Und vielleicht eine Anregung für die nächste Choreographie des Fanklubs Nationalmannschaft.