Den Wandel an Taktik und Personal hätte Joachim Löw schon früher haben können. Doch nach der Weltmeisterschaft stand er sich zunächst selbst im Weg.
Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, berichtete, dass der Plan zur Umkehr bereits unmittelbar nach der ernüchternden Niederlage in Amsterdam gereift war: „Jogi war schon in der Nacht nach dem Spiel klar: Es muss was passieren, weil einfach Esprit und Energie fehlten.“ Genau diese Einsicht hatte die Öffentlichkeit eigentlich schon nach der WM erwartet.
Stattdessen hielt Löw an den Weltmeistern von 2014 fest, erklärte Erfahrung zum Fetisch – und verpasste damit nach der ernüchternden WM die Chance, ein Gefühl des Aufbruchs zu erzeugen. Dass Löw sich nun revidierte, war daher vor allem ein Sieg gegen sich selbst. Die Zusammenstellung und der Auftritt seiner Mannschaft provozieren aber auch die Frage: Warum erst jetzt? All das hätte der Bundestrainer viel früher haben können.
Joachim Löw zählt nicht zu den Trainern, die für einen unverwechselbaren Stil stehen so wie Pep Guardiola oder José Mourinho. Er hat sich eher durch eine gewisse Anpassungsfähigkeit ausgezeichnet, immer wieder auf die steten Änderungen im modernen Fußball reagiert – wenn auch manchmal unter Schmerzen und mit übergroßer Verzögerung. Auch jetzt schob er das Unvermeidliche so lange vor sich her, dass es fast schon zu spät war. „Heute hat er eine gute Taktik angewandt, mit einem guten System und auch den richtigen Spielern“, sagte Torhüter Neuer.
„Bei mir waren Entscheidungen häufig richtig“
Selten ist so viel Kritik auf Löw eingeprasselt wie in den vergangenen Tagen, von einem Endspiel war die Rede, immer fordernder wurden die Rufe nach Veränderung. Doch Löw hat die Eigenheit, gerade in solchen Momenten besonders stur zu sein. Natürlich legte er nach dem Spiel gegen die Franzosen explizit Wert darauf, nicht dem Druck der Öffentlichkeit nachgegeben zu haben. „Meine Entscheidungen treffe ich nicht, weil es jemand so will – als Trainer trifft man Entscheidungen immer aus voller Überzeugung“, sagte er. „Manchmal sind sie falsch, manchmal sind sie richtig. Bei mir waren sie häufig richtig.“
Gegen Frankreich standen nur noch drei Spieler auf dem Platz, die aktiv zum Titelgewinn bei der WM 2014 beigetragen hatten; Jerome Boateng fehlte verletzt, Thomas Müller wurde nur für die Schlussminuten eingewechselt. Im Prinzip hat Löw die Etablierten immer noch nicht abgeschrieben. „Die haben den Fußball nicht von heute auf morgen verlernt“, sagte er. „Thomas Müller ist nach wie vor wichtig, absolut.“ Trotzdem wird er nicht mehr hinter dieses Spiel von St. Denis zurückkönnen. „Es hat Mut gemacht“, sagte Oliver Bierhoff. „Ich habe eine gute Energie gesehen.“
Ein gutes Ergebnis – vor allem für Joachim Löw
Energie, Leidenschaft, Spaß – das alles war nach den vergangenen Monaten fast wichtiger als das reine Ergebnis, auch wenn dieses Denken im Fußball sehr undeutsch ist. Aber letztlich – und das war immer Löws Überzeugung – führt nur guter Fußball zu guten Ergebnissen. Die jungen Leute in der Offensive machten am Dienstag bei weitem nicht alles richtig. Die Laufwege wirkten nicht abgestimmt, weil sie mangels Training auch nicht abgestimmt waren, der Torabschluss ist nach wie vor ein existenzielles Problem. Aber das sieht man jungen Spielern eher nach als routinierten.
Das Spiel gegen den Weltmeister hat dem arg kritisierten Löw eine Möglichkeit gezeigt, wie er sich vielleicht noch ein weiteres Mal neu erfinden kann. Er muss diese Möglichkeit nun aber auch nutzen. Selbst wenn er das Spiel nicht als Sieg empfinde, „es war ein wichtiges, gutes Zeichen“, sagte Manager Bierhoff über den Auftritt in St. Denis. „Es ist mit Sicherheit trotz des schlechten Ergebnisses ein gutes Ergebnis.“ Vor allem für Joachim Löw.