Nüchtern betrachtet, gibt es bei der Rückkehr von Patrick Helmes zum 1. FC Köln nur Gewinner. Aber Fußballfans und Ultras betrachten selten etwas nüchtern. Über eine Geschichte von unerwiderter Liebe.
Es war dem Stadionsprecher des 1. FC Köln vorbehalten, am Freitagabend im Rhein-Energie-Stadion noch vor Anpfiff für den ersten Höhepunkt zu sorgen: „Mit der Nummer 16…“, rief er bei der Mannschaftsaufstellung verschwörerisch ins Mikrofon, als auf der Leinwand das Bild von Patrick Helmes auftauchte. Und die knapp 50.000 Zuschauer jubelten bereits voller Vorfreude, als hätte er gerade die magischen Worte „And the oscar goes to…“ gesagt. Den Namen „HELMES!“ skandierten die Fans dann auch am lautesten von allen FC-Spielern.
Es war das erste Heimspiel des Stürmers für Köln seit über fünf Jahren, und die Begrüßung der Fans schien im Vorfeld wichtiger geworden zu sein als das Spiel selbst. Zwar hatte Helmes sein offizielles Pflichtspiel-Comeback schon vier Tage zuvor gegeben, beim 4:0‑Auswärtssieg in Cottbus, aber die Heimpremiere vor vollem Haus galt als wahrer Härtetest. Spätestens nach der Mannschaftsaufstellung kann man sagen: Helmes wird vom Großteil der FC-Fans offenbar wieder akzeptiert.
Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man um die Vorgeschichte dieser Verpflichtung weiß. Eine Geschichte, die von unerwiderter Liebe handelt, und die sich gut an Plakaten erzählen lässt. Das bislang letzte Plakat der Akte Helmes hing beim vorletzten Kölner Heimspiel, dem 4:1‑Sieg gegen Erzgebirge Aue am 1. September, auf der Südtribüne. „Patrick Helmes nie wieder für den FC!“, war darauf zu lesen. Es war die Reaktion auf die Gerüchte um den Kauf des Stürmers, die Jörg Schmadtke kurz darauf bestätigte. Und es ist auch exakt der gleiche Spruch, der am Anfang dieser Geschichte steht: auf einem Plakat, das am 4. Februar 2007 beim 1:0‑Heimsieg gegen Carl Zeiss Jena im Kölner Stadion hing. Ein anderes Plakat führte am selben Abend den Spruch: „Helmes und Berater – Persona non grata“. Dabei spielte Helmes zu dem Zeitpunkt gar nicht: Er stand wegen eines Mittelfußbruchs nicht einmal im Kader. Was also hatte die Fans so aufgeregt?
Helmes bezeichnete die Gehaltserhöhung der Kölner als „unterirdisch“
Einige Tage vor dem Jena-Spiel hatte Helmes seinen Verein und die überraschte Öffentlichkeit darüber informiert, zum Ende der Saison 2006/2007 zu Bayer Leverkusen zu wechseln. Er hatte Ende Januar bereits einen entsprechenden Vorvertrag bei Bayer unterschrieben. Da besaß er jedoch noch einen Vertrag beim 1. FC Köln mit Option auf Vertragsverlängerung bis zum Ende der Saison 2007/2008. Es folgte ein öffentliches Tauziehen. Oder wie es Eike, Mitglied der Ultras „Coloniacs“ und Mitherausgeber des Fanzines „Kallendresser“, ausdrückt: „Es war ein ganz schönes Affentheater, bei dem sich weder Helmes noch der Verein mit Ruhm bekleckert haben.“
Bayer-Sportchef Rudi Völler sprach davon, Patrick Helmes trotz dessen laufenden Vertrages bis 2008 „schon in diesem Sommer zu bekommen“. Kölns sportliche Führung um den damaligen Manager Michael Meier und den damaligen Trainer Christoph Daum zeigte sich enttäuscht bis wütend. Es war jedoch schon offensichtlich, dass Daums und Meiers Kritik am Leverkusener Abwerbeversuch nur das eigene Versäumnis kaschieren sollte, Patrick Helmes selbst rechtzeitig längerfristig an den FC zu binden. Tatsächlich hatte es Angebote gegeben, diese jedoch wiesen Helmes und sein Berater Gerd vom Bruch stets als zu schlecht zurück. Glaubt man der „Sport Bild“, legte der FC bereits im August 2006 Helmes einen neuen Vertrag vor. Dieser sah eine Erhöhung des Jahresgehalts von 150.000 auf 180.000 Euro vor. Helmes bezeichnete das in einem Interview als „unterirdisch“. Das kam nicht gut an.
„Nicht zu irgendeinem Verein, sondern zu einem der Feinde!“
Seine Gehaltsforderungen nahmen ihm viele FC-Fans übel. Sie warfen ihm Geldgier vor. Andererseits wartete der Boulevard wöchentlich mit einem neuen Gerücht auf, welcher Verein aus der 1. Liga nun ein Angebot für den Stürmer vorgelegt habe. Das stärkte Helmes‘ Verhandlungsposition. Es fielen die Namen Werder Bremen, Schalke 04, HSV, VfB Stuttgart und eben Bayer Leverkusen. Helmes‘ Wunsch nach einem seinen Leistungen angemessenen Salär kann man als branchentypisch bezeichnen, sagt auch FC-Ultra Eike: „Ultras haben ja eher romantische Vorstellungen davon, wie Fußball sein sollte. Natürlich ist das mit der Realität kaum vereinbar. Heute gibt es ja kaum noch Spieler, die ein Leben lang einem Verein treu bleiben. Fußball ist ein großes Söldnertum. Und Patrick Helmes hat das versinnbildlicht – und es auch noch geschafft, nicht zu irgendeinem Verein zu wechseln, sondern zu einem der Feinde.“
Helmes selbst hatte seine Kölner Heimatgefühle stets betont, er verwies auf seine Jugendzeit in Köln. Man darf annehmen, dass er um die besondere Kölner Rivalität zu Leverkusen wusste. Damals erklärte er dem „Express“ seine Sicht der Dinge so: „Manchen Fans tun diese Wechsel nach Leverkusen weh – das kann ich verstehen. Aber man sollte auch mich verstehen: Ich muss dahin, wo die Musik spielt. Und die spielt in der 1. Liga.“ War das nun sehr selbstbewusst oder sehr ungeschickt?
Der Streit dauerte knapp zwei Wochen. Er gipfelte in einem Zeitungsinterview von Leverkusens Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser und dessen Aussage „Helmes spielt ab 1. Juli bei uns“, bevor die DFL Mitte Februar den Kölnern recht gab: Der Verband verfügte, dass Helmes seinen Vertrag beim 1. FC Köln bis Mitte 2008 zu erfüllen habe.
Anfang März gab es jedoch noch einmal eine neue Wende: Köln legte Helmes ein neues, verbessertes Angebot vor, wodurch er, wie er damals sagte, „ins Grübeln geraten“ sei. Viele Fans sahen darin eine mündliche Zusage. Sogar Christoph Daum soll Helmes zu sich nach Hause in die Villa eingeladen haben, mitsamt einem Sternekoch, um ihm einen längeren Verbleib in Köln schmackhaft zu machen. Es war auch die Zeit, als Helmes in der Nationalmannschaft debütierte – als Zweitligaspieler, was in Köln standesgemäß Parallelen zu Lukas Podolski und damit noch größere Emotionen hervorruft.
Bei der 0:1‑Testspielniederlage Deutschlands gegen Dänemark in Duisburg sorgte Helmes nach seiner Einwechslung, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, „binnen 16 Minuten für mehr Torgefahr als alle anderen deutschen Spieler die 80 Minuten zuvor“. Es ist die tragische Komponente in diesem Fall: Je mehr Leute an ihm zogen, umso besser spielte Helmes, umso begehrlicher wurde er. Er machte es gewissermaßen nur noch schlimmer. Am 26. April verkündete Helmes seinen Wechsel im Sommer 2008 zu Bayer Leverkusen. Rein sportlich betrachtet hatte die DFL den Kölnern einen Gefallen damit getan, Helmes‘ Abschied hinauszuzögern: Trotz seines Mittelfußbruchs schoss er in der Saison 2006/2007 noch 14 Tore – bei gerade einmal 19 Spielen. Damit war er Kölns bester Torschütze, und viertbester Torjäger der gesamten zweiten Liga. Er spielte auch weiterhin stark – das Verhältnis zu den Fans jedoch war zerrüttet.
Es folgten weitere, deftige Plakate. „Endstation Spielerstrich“ ist noch das zitierfähigste. „Das Ganze ist in eine Medienschlacht ausgeartet“, erzählt Eike. „Helmes hat sich öffentlich gegen die Funktionäre gestellt, später auch ein Stück weit gegen die Fans. Nach Toren hat er gegenüber der Kurve den Finger auf den Mund gelegt, so nach dem Motto: Pssst. Seid still.“ Gelegenheit dazu hatte Helmes reichlich: In seiner bis dahin letzten Saison für den 1. FC Köln schoss er 17 Tore. Bei seinem letzten Heimspiel im Rhein-Energie-Stadion, am 11. Mai 2008, gelang ein 2:0‑Erfolg gegen den FSV Mainz und damit der Aufstieg für Köln. Helmes bereitete das 2:0 vor. Christoph Daum bezeichnete den Angreifer danach als „gottbegnadetes Talent“. Helmes betonte nach dem Spiel: „Der FC war von Kindheit an mein Verein und wird das immer bleiben.“ Die ganze Stadt berauschte sich an sich selbst. Unter normalen Umständen hätten die Fans ihren Aufstiegshelden gefeiert. Doch die gute Stimmung half ihm nicht: Am letzten Spieltag, dem unbedeutenden Auswärtsspiel in Kaiserslautern, zeigten FC-Fans einmal mehr ein Plakat: „Endlich ist‘s vorbei: Schluss mit Helmes und Liga 2“. Offenbar hatte Helmes nun abgeschlossen mit seinem Heimatverein: Bei seinem ersten Spiel mit Bayer Leverkusen in Köln im April 2009 wurde Helmes 90 Minuten lang ausgepfiffen. In der Schlussminute verwandelte er einen Elfmeter und ballte anschließend die Faust gegenüber den Kölner Fans.
Helmes entschuldigte sich, der Verein drehte ein Video
Für die Wiederherstellung des Friedens zeigten nun sowohl Spieler als auch Verein einiges Bemühen. Der 1. FC Köln hielt es offenbar für nötig, mit einem Video für Entspannung zu sorgen, in dem Helmes drei Minuten lang seinen kölschen Patriotismus zur Schau stellt. In seinem Schlusswort wendet er sich direkt an die Zuschauer: „Liebe FC-Fans, ich bin wieder da. Ich freu mich riesig, dass ich jetzt wieder für den FC spielen darf und hoffe, dass die Sachen von damals vergessen sind. Dass ihr mir eine Chance gebt, neu anzufangen.“ In den Facebook-Kommentaren dazu finden sich hauptsächlich Lob für Manager Jörg Schmadtke – und Vorfreude auf die neue Angriffskraft.
Zudem gab der Stürmer einige Interviews zum sensiblen Thema. In denen räumte er ein, er habe „die Folgen aus Fan-Sicht ein wenig unterschätzt“ („Kölnische Rundschau“), er wisse nun, „das Thema Leverkusen ist in Köln natürlich nicht das einfachste“, und es tue ihm „auch irgendwo leid“ (Kölner Stadt-Anzeiger). Und gegenüber „Köln.Sport“ bekräftigte er: „Ich habe den FC vor fünf Jahren nicht wegen des Geldes verlassen. Der FC war immer der Verein, zu dem ich die größte Bindung hatte“. Wer den Empfang beim ersten Heimspiel nun als Maßstab nimmt, muss zu dem Schluss kommen: Offenbar zeigen seine öffentliche Demut, seine Erinnerung an seine Wurzeln und seine aufrichtige Entschuldigung Wirkung.
Aus Sicht der Ultras ist die Geschichte vertrackt
Nüchtern betrachtet schnurrt die Substanz der Geschichte also zusammen auf den Wechsel eines Spielers von Klub A zu Klub B, und auf seine Rückkehr zu Klub A (über den Umweg Klub C). Kein seltener Vorgang. Nüchtern betrachtet haben alle Beteiligten auch etwas davon: Der VfL Wolfsburg verkleinert seinen Kader um einen kostspieligen Stürmer, der 1. FC Köln bekommt für verhältnismäßig wenig Geld viel Sturmkraft, und Patrick Helmes darf wieder Fußballspielen. Doch Fans, vor allem Ultras, betrachten das Fußballgeschehen selten nüchtern. Aus Sicht der Ultras ist die Geschichte vertrackt. Zwei Seelen wohnen in des Ultras Brust: Einerseits steht da der sportliche Erfolg, den die Person Helmes unbestritten verspricht; gegen Kaiserslautern führte Helmes in den Statistiken meiste Schüsse (3) und meiste Torschussvorlagen (4). Andererseits sind da die unvergesslichen Gesten und Aussagen früherer Tage, der Wechsel zum Feind und die damit verbundene Verlotterung des Identifikationsbegriffs – Dinge, die aus Ultra-Sicht gegen eherne Gesetze verstoßen.
Dass diese innere Zerrissenheit dem Großteil der Fans jedoch fremd sein dürfte, vielmehr die Freude über die Rückkehr überwiegt, bestätigt nicht nur der warme Empfang vergangenen Freitag, sondern auch der FC-Ultra Eike: „Der Großteil der FC-Fans ist, schätze ich, dem Wechsel durchaus positiv eingestellt. Aber in der aktiven Szene gibt’s durchaus noch Leute, die ihm das nachtragen, unter Ultras und Allesfahrern.“ Und dann sagt er noch einen Satz, den seine „Coloniacs“ nach dem Spiel mit Tatsachen bestätigen sollten: „Ich gehe davon aus, dass nicht das letzte Plakat zum Thema Helmes im Stadion hing.“ Am Freitag hing ein – wie er sagt – vorerst letztes Plakat zum Thema im Stadion. Frei nach der Abkürzung für „All cops are bastards“ beziehen sich die Ultras hierbei auf ihren Lieblingsfeind, lassen aber bewusst offen, ob Helmes nun damit eingeschlossen wird, und schreiben: „Zeit heilt alle Wunden, doch wir vergessen nie – A.L.A.B.“.