Odisseas Vlachodimos wurde in Stuttgart geboren, spielte in der Jugend für den VfB und ist sowohl Griechenlands als auch Benfica Lissabons Stammtorhüter. Vor dem Europa-League-Rückspiel in Frankfurt spricht er über Wunderkind Joao Felix, die Frankfurter Fans und seine verrückte Zeit beim griechischen Militär.
Odisseas Vlachodimos, Frankfurt fragt sich: Wie kann man einen man einen Joao Felix stoppen?
Das kann ich selber schwer sagen, weil er Dinge tut, die man nicht erwartet. Er hat jetzt schon mit 19 Jahren alles, was du als Stürmer brauchst. Die Technik, er ist gut im Abschluss und weiß, wo er stehen muss. Und dennoch ist Joao ein bodenständiger Junge, immer freundlich und lieb. Ein top Typ, auf den man nie sauer sein könnte.
So gut das Spiel war, nach dem Treffer der Eintracht zum 2:4 haben Sie sich heftig aufgeregt.
Beide Gegentore waren unnötig. Frankfurt war in Unterzahl und hat trotzdem gut gepresst. Vor beiden Toren wollten wir uns hinten raus spielerisch befreien und kommen dann zu spät an den Ball. Ein 4:1 wäre mir deutlich lieber gewesen. Aber wenn ich mich als Torwart bei Gegentoren nicht aufregen würde, hätte ich sowieso den falschen Job..
Für die Eintracht Anhänger ist jedes Europacup-Spiel wie ein berauschendes, lautes Fest. Hat sich der Support der Frankfurter Fans auch in Portugal rumgesprochen?
Nicht allzu sehr. Natürlich haben wir davon gehört und ich kenne die Eintracht ja auch aus der Bundesliga. Allerdings hatten wir schon einige Spiele mit einer lauten Atmosphäre: In Griechenland gegen Athen, zweimal in der Türkei bei Fenerbahçe und Galatasaray. Oder auch in der Liga, als wir gegen Sporting und Porto gespielt haben. Ich mag diese hitzigen Partien, gerade weil ich die meisten Derbys gewonnen habe.
Schon als Sie mit 21 Jahren ins Ausland zu Panathinaikos Athen gewechselt sind, standen regelmäßig Risikospiele auf der Tagesordnung. Was machen solche Begegnungen mit einem jungen Torwart?
So eine Atmosphäre kannte ich aus der Bundesliga nicht. Gerade in meinem ersten Jahr hatten wir durch die Play-Off-Runde zum Saisonende hin nur noch Derbys. Diese Spiele haben mich in der Entwicklung weitergebracht, als wenn ich in Deutschland geblieben wäre. Die aufgeheizte Stimmung im Stadion war schnell Normalität und ich bin immer ruhiger geworden.
Sie sind gebürtiger Stuttgarter und durchliefen alle Jugendmannschaften des VfB. Auch wenn Ihre Eltern aus Griechenland stammen, wie groß war die Umstellung durch den Umzug?
Mir hatte geholfen, dass ich die Sprache beherrsche und mein Bruder Panagiotis auch schon bei Panathinaikos spielte. Ich habe mich an ihn rangehängt – selbst wenn es im Hotel nur Einzelzimmer gab, haben wir uns trotzdem eines geteilt. Aber ein Kulturschock – wenn man das so nenn darf – hatte ich, als ich plötzlich zum Militär musste.
Ein Fußballvollprofi beim Militär?
Ja! Das war verpflichtend, weil ich neben dem deutschen auch den griechischen Pass besitze und länger als sechs Monate in Griechenland gelebt habe. Normalerweise müssen Fußballer in der Kaserne nur kurz für ein paar Stunden vorbeischauen, doch ich musste die ganze Nacht dortbleiben. Ich vermute, mein Oberaufseher war Fan von Olympiakos und hat mich deshalb festgesetzt… Das war nervig.
Wieso?
Ein Kumpel aus Stuttgart war eigentlich zu Besuch, aber ich musste abends immer weg, eine Stunde fahren, um dann dort einfach nur rumzusitzen. Übungen habe ich keine gemacht. Irgendwann meinten Sie: „Bevor du hier nur rumhockst und mit keinem redest, dann kannst du ja Schießen gehen.“
Wie waren die Nächte?
Es waren nicht die besten Betten. Und am nächsten Morgen musste ich dann wieder zurück zum Training fahren. Das ging eine Woche lang, bis mich Panathinaikos da rausgeboxt hat. Das war mit dem ganzen Spielbetrieb nicht vereinbar.
Ehe es in Athen so richtig losging und Sie zur Nummer eins wurden, verbrachten Sie erst einmal zehn Monate fast ausschließlich auf der Bank. Dabei waren Sie extra aus Stuttgart geflüchtet, weil man Ihnen dort Mitchell Langerak und Przemysław Tyton vor die Nase gesetzt hatte. War das nicht ein enttäuschender Start?
Als ich im Januar angekommen war, fuhr ich erst einmal nur zu den Spielen, um die Liga und Stadien kennenzulernen. Das war von Anfang an so abgesprochen. Stefanos Kotsolis beendete nach der Saison seine Karriere, Luke Steele stand im Tor. Ab der Spielzeit 2016/17 war es dann ein Zweikampf zwischen mir und Luke Steele.
Wie läuft dann so ein Torwartduell ab? Muss man andauernd darauf hoffen, dass der Konkurrent patzt?
Für mich ging es damals darum, alle negativen Gedanken aus meiner Zeit in Stuttgart hinter mir zu lassen. Luke und ich sind schnell Freunde geworden. Immer wieder hat er mir im Training geholfen und versucht, mich zu verbessern. Wir gingen oft gemeinsam Essen oder Kaffeetrinken, was unter Rivalen nicht so üblich ist. Für Luke lief es dann nicht gut, also bekam ich im November meine Chance und habe direkt ein gutes Spiel gemacht.
Und wie reagierte Steele?
Er war an dem Tag nicht im Kader. Aber die erste Nachricht, die auf meinem Handy einging, war von ihm. Er gratulierte mir. Das hat mich verblüfft und gleichzeitig riesig gefreut. Luke hat mir direkt gesagt: „Ich werde dir helfen, dass du eine gute Saison spielst. Du bist jung, kannst viel lernen und ich werde mein Bestes geben, dass du hier gut spielst.“ Er hat mir vorgelebt, wie wichtig ein positiver Konkurrenzkampf ist. Wir haben bis heute Kontakt.
Mittlerweile sind Sie Griechenlands Nationaltorwart und spielen für Benfica Lissabon in der Champions und Europa League. Wie hat sich Ihre Eigenanalyse verändert? Einen Kollegen wie Steele kann man sicher nicht in jedem Verein erwarten.
Bei Benfica bekomme ich Videos von vier verschiedenen Kameras, die im Training und in den Spielen ausschließlich auf mich ausgerichtet sind: eine über dem Tor, zwei seitlich von oben und von hinten eine. Das hat unser Torwarttrainer so eingerichtet. Dabei geht es nicht nur um gute und schlechte Paraden. Sondern auch um jede Kleinigkeit, wie den Umgang mit Rückpässen. Ob ich den Ball nun besser lang oder kurz schlage und wohin.
Gab es das in der Bundesliga nicht?
In Stuttgart haben wir die Spiele natürlich auch analysiert. Aber im Detail ist es hier anders. Man merkt einfach, dass es ein Klub ist, der regelmäßig in der Champions League spielt, allein schon durch die Zahl der Kameras. Durch die Videos habe ich viel mehr Optionen im Kopf, wenn es darum geht, der mitspielende Torwart zu sein.
Haben Sie sich auch mit älteren Torwartkollegen in Portugal ausgetauscht? Mit Iker Casillas? Der hat es mit dem FC Porto immerhin bis ins Champions-League-Viertelfinale geschafft hat.
Unsere erste Begegnung war ganz lustig, weil es bei der Dopingkontrolle nach unserem Derby in der Hinrunde war. Wir hatten gewonnen, deshalb war es für mich ein bisschen einfacher ins Gespräch zu kommen. Er hat mich beglückwünscht, aber er war dann auch recht schnell fertig, während ich noch etwas gebraucht habe.
Da zeigt sich die Routine eines Enddreißigers am Pissoir.
Ja (Lacht).
Wie ist es für Sie, zu Besuch wieder nach Deutschland zurückzukehren?
Natürlich freue ich mich auf meine Freunde und Familie, wobei die mich oft besuchen. Aber so richtig Heimweh… Ich fühle mich super wohl hier und auch Athen zu besuchen, ist immer wieder schön. Ich finde: Mittlerweile habe ich drei Zuhause.
Haben Sie sich dennoch etwas aus der Vergangenheit in Stuttgart bewahrt?
Früher waren meine Freunde und ich immer gerne Darts spielen. Das mache ich jetzt auch weiter mit meinen Kollegen bei Benfica. Bei Heimspielen schlafen wir bei uns auf dem Trainingsgelände, da haben wir einen extra Raum zum Werfen. Im Fernsehen verfolge ich es nicht. Ich habe mir nur mal diese Promi-WM angeschaut.
Und wer ist besser? Jimi Blue Ochsenknecht oder Sie?
Ich bin, glaube ich, ganz gut. Neulich habe ich dreimal hintereinander die Tripple 20 getroffen. Aber das ist auch schon das höchste der Gefühle.
Antonio Rüdiger, Timo Werner, Rani Khedira. Viele Ihrer ehemaligen Mitspieler aus den Nachwuchsmannschaften haben sich in den unterschiedlichsten Mannschaften in Europas Topligen durchgesetzt. Wie hält da der Kontakt?
Bei den Spielen gegen den FC Bayern in der Gruppenphase der Champions League habe ich letztens erst wieder fünf alte Bekannte getroffen. Mit Rani schreibe ich noch gerne. Und es war auch sehr schön, bei unserer Amerika-Tour Maximilian Philipp und Jeremy Toljan wiederzusehen.
Die Baden-Württemberg-Clique hat es weit gebracht.
Oh ja, es sind einige. Vielleicht sehe ich den Toni (Antonio Rüdiger, Anm. d. Red.) noch gegen Chelsea oder Bernd (Leno) gegen Arsenal im Europa-League-Halbfinale. Schön wäre es, aber Hauptsache wir kommen weiter. Im Sommer will ich auf jeden Fall mit einem Titel in der Hand nach Stuttgart zurückkommen und Heimaturlaub machen.