Gewalt, Pyro, Polizeieinsätze – Fußballfans haben oft nicht den besten Ruf. Der „FC PlayFair!“ will das nun ändern. Ihr ehrgeiziges Ziel: Fußball-Fankultur soll UNESCO-Kulturerbe werden.
Für Attila muss es ein unruhiger Nachmittag gewesen sein. Erst war seine Frankfurter Eintracht souverän in Führung gegangen, dann erzielte Naldo, Schalkes neue Lebensversicherung, kurz vor Schluss doch noch den Ausgleich.
Es wäre im Grunde seine Aufgabe gewesen, die frustrierten Fans aufzuheitern. Vielleicht mit einer kleinen Tanzeinlage oder einer frechen Handbewegung Richtung Gästeblock, mit dem, was Maskottchen halt so machen. Doch Attila blieb stur, krallte sich fest und tat nichts. Er machte das, was ausgewachsene Steinadler halt so machen. Jedes Heimspiel sitzt Attila im Stadion, zu verdanken hat er das der Falknerei. Sie hat ihn zu dem gemacht, was er heute ist: ein zahmer Raubvogel.
Offiziell hat Frankfurts Adler sogar einen größeren „Kultfaktor“ als „Fußballgott“ Alexander Meier, schließlich ist die Falknerei immaterielles Kulturerbe. Für die Fans ist Attila unerreichbar, während bei Benfica Lissabon und Lazio Rom regelmäßig Flugshows stattfinden, bleibt der Frankfurter auf dem Boden. Bald könnten sich Fans und Adler dennoch auf Augenhöhe begegnen, sofern der FC PlayFair! seinen Plan umsetzen kann.
„Jeder denkt sofort an Schläger, Betrunkene und Hooligans“
Bernd Sautter und Claus Vogt, zwei eingefleischte Fußballromantiker, sind vom FC PlayFair!. Sie sagen Sätze wie: „Für uns ist der Fußball so viel mehr als nur ein 1:0“ oder: „Was uns alle verbindet ist, dass wir den Fußball lieben“.
Wenn sie vom „wir“ reden, meinen sie die Fans, die ihrer Ansicht nach zu häufig unter einer „einseitigen Berichterstattung“ leiden müssen. „Es gibt nur Diskussionen über die Probleme und die Problemfans. Jeder denkt sofort an Schläger, Betrunkene und Hooligans, aber das ist die Minderheit“, sagt Claus Vogt. Der passionierte Stuttgart-Fan hat den FC PlayFair! zu Beginn des Jahres gegründet, einen Verein der sich für mehr Integrität im Profifußball einsetzen will.
„Wem gehört der Fußball?“
Nun will der Verein das Image der Fußballfans aufpolieren. Es geht um die ganz großen Fragen „Wem gehört der Fußball?“ und „Welche Rolle spielen die Fans?“. Dafür hat der FC PlayFair! einen Antrag gestellt, mit der Absicht, dass die Fußball-Fankultur immaterielles UNESCO-Kulturerbe wird.
„Wir wollen auch denjenigen, die wenig mit Fußball am Hut haben, zeigen dass es eine Welt gibt, die schützenswert ist“, sagt Projektleiter Sautter. Gemeint sind zahlreiche Treffs, ausgefeilte Choreographien oder soziale Projekte, initiiert von Fußballfans.
Wie sie auf die UNESCO gekommen sind? „Wir haben eine Lücke gesehen“, sagt Sautter, und auch eine Gelegenheit. „Wir können jetzt ganz klar regeln, was in der Fankultur schützenswert ist und was nicht“, sagt Vogt. Doch eine dudenreife Definition der Fankultur ist kompliziert. Wann ist man schon Fußballfan? Erst wenn Jürgen Klopp in Lebensgröße auf dem Rücken prangt? Oder reicht schon der wöchentliche Sportschau-Ritus?
Es sind häufig Feinheiten die entscheiden. „Wenn es Richtung Pyro, Gewalt und Gesetzesverstöße geht, das ist es nicht“, sagt Vogt. Doch Bernd Sautter, beseelt von schwäbischer Genauigkeit, hakt ein, denn die „Pyrotechnik ist Teil einer Strömung, die durchaus unter Fankultur subsumiert wird, nämlich Ultra“. Dennoch ist die Pyrotechnik nicht Teil des Antrags. Die Bewerbung ziele schließlich darauf ab, „das Verbindende an der Fußball-Kultur zu betonen – und nicht die Dinge, die unterschiedlich gesehen werden“.
Die „große“ Hürde zur UNESCO
Einfach ist der Weg zum Kulturerbe nicht. Die Auflagen sind so umfangreich wie das Telefonbuch einer mitteldeutschen Großstadt. Laut UNESCO muss die kulturelle Ausdrucksform auf menschlichem Wissen und Können basieren, eine Tradition verkörpern, zeitgemäß sein und sich kreativ weiterentwickeln, von Generation zu Generation.
Sautter und Vogt sind davon überzeugt, dass ihr Antrag diese Auflagen erfüllt. Zunächst müssen sie sich jedoch durch die innerdeutschen Regularien kämpfen. „Es gibt drei Ebenen: Land, Bund und International“, sagt Maria Harnack, die Ansprechpartnerin der Landesstelle für immaterielles Kulturerbe NRW. Der FC PlayFair! hat seine Bewerbung für die Landesebene in Nordrhein-Westfalen eingereicht. Durch die hohe Fandichte ist NRW besonders prädestiniert für dieses Projekt.
Ob es für das Landesverzeichnis reicht, entscheidet sich im April 2018. Doch selbst wenn es die Fankultur auch auf die Bundesebene schafft, ist der internationale Erfolg keinesfalls garantiert. „Wenn man im Bundesverzeichnis aufgenommen ist, dann ist das nochmal eine ganz schön große Hürde zur UNESCO“, sagt Harnack.
Das Auswärtige Amt reicht jährlich nur eine Bewerbung bei der UNESCO ein. Bisher stehen Orgelbau, die Idee der Genossenschaft und eben die Falknerei auf der Liste. Es werden wohl noch ein paar Jahre in die Stadien ziehen, bis sich die Fans gegenseitig zur „Immaterialität“ beglückwünschen können. Bis dahin bleibt Attila die einzige kulturelle Instanz der Liga.
Wer den UNESCO-Antrag des FC PlayFair! unterstützen will, kann dies auf deren Homepage tun: UNESCO-Antrag