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Seite 2: Mörderfouls und Zauberpässe

Chalaca Gon­zales wollte ihm Sta­bi­lität und Nor­ma­lität ver­mit­teln, aber er merkte bald, dass der alte Gangs­­­terrap-Kalen­­der­­spruch wahr ist: Du bekommst den Jungen aus Callao, aber Callao nicht aus dem Jungen. Gon­zales holte ihn von zu Hause ab, er zahlte sein Mit­tag­essen und brachte ihn in eine Schule. Chalaca, hast du Geld? Ich möchte mir Gum­mi­bär­chen kaufen!“, sagte Kukin jeden Morgen.

Er hielt es 20 Tage auf der Schule aus, dann ging er nicht mehr hin. Er hasste Regeln. Er spielte im Mit­tel­feld, offensiv, ein Zehner, frei, schwe­relos bei­nahe. Wenn er den Ball führte, schwebte er über den Platz, sagten seine Fans. Wenn ihm sein Trainer sagte, spiel so oder so, zeigte er ihnen den Vogel:​„Cha­laca, du Betrüger, du redest zu viel!“ Und dann machte er es so, wie er es wollte.

Er schaffte es sogar mal nach Europa, 1998/99 spielte er für den grie­chi­schen Klub Aris, aber haute wieder ab, als der Trainer ihm etwas von Taktik erklären wollte. In Bra­si­lien spielte Kukin für Par­an­aense, in Argen­ti­nien für Bel­grano, er war ein Jahr in Saudi-Ara­­bien bei Al-Hilal. Er scherzte, Pablo Escobar soll ihm, den Koka­in­süch­tigen aus Peru, mal ein Angebot gemacht haben, um für den Atlé­tico Nacional de Medellín zu spielen. Das wäre ja pas­send gewesen, fand er. Ins­ge­samt hat er 25 Mal den Verein gewech­selt, am Ende lan­dete er immer wieder bei Klubs in Peru, meis­tens in Callao oder Lima.

Denn auch wenn er sie alle weg­stieß, holten sie ihn immer wieder zurück, denn sie wollten ihn ja spielen sehen. Manchmal wiesen ihn Freunde und Bekannte in Kli­niken ein, er begann Kuren und The­ra­pien, aber er gab die Behand­lungen nach ein paar Wochen wieder auf. Meis­tens ver­schwand er still und heim­lich, oft spurlos. Als er am Ende seiner Kar­riere für Colegio Nacional Iquitos spielte, fand ihn der Trainer erst nach fünf Tagen in einer Sied­lung wieder. Sie badeten ihn, gaben ihm Kaffee und Wasser, und am Abend spielte er wieder wie von einem anderen Stern.

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Angel Cappa, der Uni­ver­si­tario 2002 zur perua­ni­schen Meis­ter­schaft führte und auch River Plate trai­nierte, erin­nerte sich an eine Partie gegen den Club Juan Aurich de Chi­c­layo, für den Kukin spielte.​„Kukin trug die Zehn mit Stolz. Ich weiß noch, wie ich einer­seits wollte, dass wir ihm den Ball abnahmen, ande­rer­seits aber freute ich mich auch, wenn er am Ball war, den sein Spiel war so magisch. Er hatte ein tolles Dribb­ling, einen harten Schuss. Er war ein intel­li­genter Spieler, der das Spiel lesen konnte. Er wirkte wie ein Super­star, der keiner war.“

Manchmal aber schlug sein Genie in Wahn­sinn um. Als sie 1994 gegen Ali­anza Lima spielten, beging er ein Foul, das einige Zei­tungen mit einem Mord­ver­such ver­gli­chen. Kukin sprang aus vollem Lauf mit gestreckten Beinen in seinen Gegen­spieler Paulo​„Churre“ Hino­stroza. Kukin wurde für drei Monate gesperrt, einige Medien hatten sogar eine lebens­lange Sperre gefor­dert. Auf der Seite peru​.com schrieb ein Autor 20 Jahre später:​„Es war eine Straftat, und bis heute wissen wir nicht, was der Grund war: Was um alles in der Welt war da los mit Kukin?“ Wenn man sich das Video anschaut, sieht es wirk­lich aus, als sei, nun ja, der Teufel hinter ihm her­ge­wesen.

Eine wei­tere Zäsur in Kukins Kar­riere war der 19. Juli 2000. Er machte damals sein zweites Län­der­spiel, gegen Kolum­bien wurde er in der 55. Minute ein­ge­wech­selt, die Fans hatten minu­ten­lang seinen Namen gerufen. Er lief aufs Feld, sprach kurz mit seinem Sturm­partner Claudio Pizarro, und dann ging es los. Kukin war damals auf seinem Zenit, 26 Jahre alt, er foppte seinen Gegen­spieler Mario Yepes, der ihn ver­är­gert fragte:​„Ver­dammt, wo spielst du eigent­lich?“ Und als Kukin sagte, hier bei den Sport Boys in Peru, ant­wor­tete Mario Yepes ver­wun­dert:​„Du spielst in Eng­land oder Deutsch­land oder Spa­nien. Was ist los mit dir? Ver­arsch mich nicht!“

Bald, dachte Kukin da, bald würde er ja wirk­lich in Europa spielen, viel­leicht in Bel­gien. Die Scouts von Ander­lecht wollten zum nächsten Län­der­spiel kommen und 700.000 Dollar Hand­geld mit­bringen. Nach dem Spiel gegen Kolum­bien, das Peru 0:1 verlor, sagte Natio­nal­trainer Matu­rana:​„Kukin, du warst mein ein­ziger Licht­blick, gegen Uru­guay spielst du von Beginn an.“

Viel­leicht wäre alles anders gekommen, wenn er die vier Fans am selben Abend ein­fach in Ruhe gelassen hätte. Wenn er ins Auto gestiegen und weg­ge­fahren wäre. Aber das konnte er nicht, denn er hatte ja seinen Stolz. Er wollte in einem Tank­stel­len­shop noch Bier und Wein kaufen.​„Na, willst du die Pleite feiern?“, fragten die Fans, schubsten ihn und traten gegen sein Bein, und da schlug er zurück. Das kom­mende Qua­li­fi­ka­ti­ons­spiel gegen Uru­guay musste er absagen, sein Ober­schenkel schmerzte zu sehr. Er hatte sich bei der Prü­gelei mit den Fans ernst­haft ver­letzt.

Als Natio­nal­trainer Fran­cisco Matu­rana davon erfuhr, sus­pen­dierte er ihn. Nie wieder spielte Kukin für Peru. Und die Scouts des RSC Ander­lecht, die nach Süd­ame­rika kommen wollten, um sich den neuen Wun­der­spieler anzu­schauen, mel­deten sich auch nicht mehr.

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Die Woche vor seinem Tod wurde von perua­ni­schen Zei­tungen fast minu­tiös doku­men­tiert. Der Wach­mann seiner Wohn­an­lage sah ihn am Abend zuvor, am 16. Februar 2019.​„Er begrüßte mich. Er wirkte ruhig.“ Und der perua­ni­sche Sport­jour­na­list Luis Trisano erzählte, dass er ihn eben­falls wenige Stunden vor seinem Tod in dem Viertel La Punta getroffen habe. Der Ex-Profi streunte hier nach seiner Kar­riere oft durch die Gegend. Der Reporter fragte ihn, wie es ihm gehe, und da sagte Kukin, alles super, er habe ein wenig Geld für seine Kinder und Enkel ange­legt.​„Er sagte es ein­fach so, als wollte er noch mal klar­stellen, dass er für seine Kinder sorgt“, sagte Tri­sano. Damals dachte ich mir nichts dabei, nun aber klingt es, als wusste Kukin bereits, dass er sterben würde.“

Bis heute halten sich ver­schie­dene Theo­rien über seinen Tod. Kukin hatte Kon­takte in die Unter­welt. Kannte Dealer, Zuhälter, Sex­ar­bei­te­rinnen, Mafi­a­typen. Der Tod erscheint auch so mys­te­riös, weil Kukins Freundin Liz Con­treras nach ein paar Tagen ein Inte­rview gab, in dem sie erklärte, sie hätte den Poli­zei­be­richt unter Schock und Druck unter­schrieben. In Wahr­heit sei in dem omi­nösen Tüt­chen kein Kokain gewesen, son­dern ihr eigenes täg­li­ches Medi­ka­ment. Kukin, so sagte sie, hätte einen Krampf­an­fall gehabt. Kurz vor seinem Tod hätte er sie noch einmal klar und direkt ange­schaut, sich aber nicht an ihren Namen erin­nern können. Die Staats­an­walt­schaft begann danach mit neuen Ermitt­lungen. Sie sind bis heute nicht abge­schlossen.