Jahrzehnte stand der Klub für Peinlichkeiten und Pleiten, doch nach 49 Jahren stieg SPAL Ferrara endlich wieder in die Seria A auf. Heute steigt die erste große Party der Saison – Heimspiel gegen Udinese. Ein italienisches Fußballmärchen, erzählt von einem deutschen Fan.
Jetzt ist mit der Familie Colombarini eine ähnliche Philosophie eingekehrt. Die Colombarinis haben den Dorfverein Giacomense aus der untersten Kreisklasse bis in die Profiliga geführt und 2013 die SPAL übernommen. Francesco, heute 76, handelte mit Eiswaffeln, versuchte, aus allem Möglichen Geld zu machen und erfand in den sechziger Jahren Kunstharzpaneele für Kühl-LKW, die er bei sich zu Hause auf dem Dachboden produzierte. Aus einer kleinen Manufaktur wurde eine Fabrik mit Zweigstellen in Brasilien und den USA. Wachstum in kleinen, beharrlichen Schritten. Auch im Fußball. Es gibt ein Führungsteam, das eingeschworen ist, die Atmosphäre ist familiär.
Nachwuchszentrum und Stadion werden schrittweise renoviert, das zerrüttete Verhältnis zur Bevölkerung gekittet. Die Familie Colombarini arbeitet nach klaren Prinzipien: solides Wirtschaften, knallharte Kalkulation, Zuverlässigkeit, Vertrauen und totale Hingabe.
Zuerst die Enstellung, dann die Trickkiste
Die Budgetgrenzen für den Sportdirektor, unseren ehemaligen Spieler Davide Vagnati, sind zwar eng gesetzt, aber innerhalb dieser Grenzen ist er frei. Er klappert landauf, landab die Fußballplätze ab und sucht verkannte Talente, Bankdrücker, Studien- und Karriereabbrecher. Einziges gemeinsames Merkmal: Italiener, mit Wut im Bauch, Lernbereitschaft und Teamgeist. Zuerst kommt die Einstellung, dann die Trickkiste. Keine Allüren, keine hohen Gehälter, keine Hängepartien mit Spielerberatern.
Trainer Semplici will unbedingt das letzte Spiel gewinnen und wechselt Mirco Antenucci ein, unseren Torschützenkönig, außerdem Francesco Vicari, Jungtalent, das in Novara auf der Ersatzbank verkümmerte, bei uns aber in wenigen Monaten zum Abwehrgiganten gereift ist. Die Mannschaft zeigt wieder Biss und Souveränität. Und sie spielt auf „unser“ Tor, unter der Curva Ovest. Antenucci schießt aus der Distanz, der Torwart pariert, während Zigoni umgerissen wird. Ein klarer Elfmeter. Der Schiedsrichter pfeift nicht. Wie so oft in letzter Zeit. Die Fehlentscheidungen gegen uns haben Paranoiker und Verschwörungstheoretiker auf den Plan gerufen. Wir sind nur ein armer Provinzverein, man will uns nicht in der Serie A. Wir haben trotzdem den Aufstieg geschafft. Und jetzt schaffen wir das Führungstor, denn im Liegen erwischt Zigoni den Abpraller: 2:1.
Die Spieler kommen mit dem Fahrrad
Bari wirkt machtlos, stümperhaft. Und wir können es noch immer nicht fassen. Nächste Saison laufen da unten Higuain und Dybala, Insigne und Dzeko auf. Dann kommt Leidenschaft wieder von Leiden. Es sei denn, unser Trainer schafft das nächste Wunder …
Semplici, Jahrgang 1967, ist einer der Glücksgriffe unseres Sportdirektors. In den unteren Spielklassen hatte er mehrere Teams zum Aufstieg geführt, war nach zwei Entlassungen aber von der Bildfläche verschwunden. Scheinbar. In Wirklichkeit betreute er erfolgreich den Nachwuchs der Fiorentina und lernte, einen ständig fluktuierenden Kader taktisch immer neu einzustellen. Es ist nicht die große Bühne, aber Vagnati schaut auch hinter die Kulissen. Im Dezember 2014 übernimmt Semplici eine strauchelnde Mannschaft – und verliert 0:2, zu Hause. Die Zuschauer beschimpfen die Mannschaft, sie würde sich nicht mit dem Verein identifizieren, hätte keine Haltung. Semplici geht mit den Spielern in die Fankurve und erklärte den Fans, dass sie falsch lägen. Die Spieler hätten Moral und Potential, aber um es auf den Platz zu bringen, bräuchten sie bedingungslose Unterstützung.
Die Fans ziehen mit, erste Siege stellen sich ein, locken eine neue Generation ins Stadion. Meine Kumpels und ich kaufen Dauerkarten, wir bringen unsere Kinder mit. Die alten Nörgler, die nur noch kommen, um zu sehen, dass früher alles besser war, verstummen oder werden übertönt. Bald sind alle Partien ausverkauft. Vor Heimspielen stehen die Fans nächtelang am Kassenhäuschen an. Mit Schlafsack, Zelt, Thermoskanne. Als käme Real Madrid. Es kommen die Spieler der SPAL. Die meisten mit dem Fahrrad.