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Die Talk­runde Wir Elf“, eine Internet-TV-Show, ist nicht gerade der Nabel der Fuß­ball­welt. Außer­halb Mün­chens wird sie nur wenigen Fuß­ball­in­ter­es­sierten ein Begriff sein, und so werden die Worte, die Mehmet Scholl im November 2007 in dieser Runde sprach, lan­des­weit ver­mut­lich ver­hallt sein. An der Säbener Straße hatte man sie indes ver­nommen. Toni Kroos“, sagte Scholl damals, ist das Beste, was ich je beim FC Bayern erlebt habe“.

Wenige Tage zuvor hatten die Bayern im Uefa-Cup gegen Roter Stern Bel­grad gewonnen. Beim Stande von 1:2 war der damals 17-jäh­rige Kroos ein­ge­wech­selt worden und hatte das Spiel in seinen zehn Minuten Ein­satz­zeit auf 3:2 gedreht. Unter dem Ein­druck des bemer­kens­werten Auf­tritts des A‑Jugendlichen und in der ohnehin lau­nigen Ver­eins­heim-Atmo­sphäre des fami­liären Talks hatte sich Scholl dazu hin­reißen lassen, sorglos mit Super­la­tiven um sich zu werfen. Uli Hoeneß wird das nicht unbe­dingt gefreut haben.

Üppige Vor­schuss­lor­beeren
 
Bei großen Talenten wiegt die Krone oft beson­ders schwer. Sebas­tian Deisler hatte das wenige Monate vor dem Bel­grad-Spiel erst auf bedau­erns­werte Art und Weise erfahren, als der Hoch­be­gabte im Alter von 27 Jahren seine Kar­riere been­dete. Die Leer­stelle, die Deisler im Mit­tel­feld des FC Bayern hin­ter­lassen hatte, schien nun für Kroos bestimmt, und es begannen sich die ersten Züge jenes Hypes zu ent­wi­ckeln, der Deisler ver­schluckt hatte. Dass es nicht so kam, ist auch Uli Hoeneß’ Ver­dienst.
 
Nun ist Kroos ein anderer Mensch als Deisler, die Vor­schuss­lor­beeren aber waren ähn­lich üppig. 2006 kam Kroos von Hansa Ros­tock nach Mün­chen, die Bayern ließen sich den 16-Jäh­rigen sagen­hafte 2,3 Mil­lionen Euro kosten. Ein Jahr später wurde Kroos zum über­ra­genden Spieler und Tor­schüt­zen­könig der U17-WM in Süd­korea, die anschlie­ßende Beför­de­rung zu den Bayern-Profis war nur logi­sche Kon­se­quenz seiner über­ra­genden Klasse im Jugend­be­reich.
 
Neben Scholls Lob­hu­delei im regio­nalen Internet-TV mel­deten sich in der Folge viele wei­tere Experten an der Säbener Straße. Ein­hel­liger Tenor der Kahns, Ger­lands und Hitz­felds: Toni Kroos ist das nächste große Ding beim Rekord­meister. Es schien nie­manden zu inter­es­sieren, dass derlei Lobes­hymnen ein Ver­spre­chen dar­stellen, das erst noch ein­zu­lösen ist; und dass oft­mals eben solche Lobes­hymnen der Grund dafür sind, dass alles doch ganz anders kommt. Gerade beim FC Bayern gibt es genü­gend Bei­spiele dafür. Man darf getrost bei Erdal Kili­caslan oder Timo Heinze nach­fragen. Letz­terer hat kürz­lich sogar ein Buch über dieses Thema geschrieben.
 
Die 10 bei Bayern ist für ihn reser­viert“
 
Das Spiel gegen Roter Stern Bel­grad stellte eine Art Höhe- und vor­läu­figen End­punkt in dieser Ent­wick­lung dar. Nach Abpfiff trat ein auf­ge­brachter Uli Hoeneß vor die Jour­na­listen. Es täten alle gut daran, den Jungen in Ruhe zu lassen, pol­terte Hoeneß, und er dachte dabei sicher­lich auch an Deisler, um den der fami­liäre Bayern-Manager lange ver­ge­bens gekämpft hatte.

Vor Deis­lers Kar­rie­re­ende hatte Hoeneß aller­dings noch ein wenig offen­siver über Toni Kroos geredet. Die 10 bei Bayern ist für ihn reser­viert“, sagte er 2006. Damals war der Kroos 16 Jahre alt. Nun, nach dem Spiel gegen Bel­grad, drückte Hoeneß auf die Bremse. Er hatte das Talent zur Chef­sache erklärt, um ein ähn­li­ches Ent­gleiten der Dinge beim neuen Mit­tel­feld­juwel zu ver­hin­dern.
 
Von Klins­mann ver­kannt?
 
Hoeneß’ Inter­ven­tion trug Früchte. Aber die rich­tigen? Kroos blieb bis zum Ende der Saison Ein­wech­sel­spieler mit immer wieder über­ra­genden Momenten, der end­gül­tige Durch­bruch blieb ihm aber ver­wehrt. Als sich Jürgen Klins­mann in der Fol­ge­saison anschickte, den FC Bayern zu refor­mieren und der sport­liche Erfolg dabei auf der Strecke blieb, war für Kroos plötz­lich kein Platz mehr im Team. Es lässt sich dar­über streiten, ob das an Klins­manns man­gelnder Exper­tise lag, oder nicht auch an Kroos’ laxer Ein­stel­lung zum Pro­fi­sport.

Als Kroos im Winter nach Lever­kusen aus­ge­liehen wurde, schickte ihm Bay­erns Ama­teur­trainer Ger­land ein paar warme Worte hin­terher: Kroos hat unglaub­liche fuß­bal­le­ri­sche Qua­li­täten. Aber er muss sie mit Leis­tungs­be­reit­schaft paaren. Er hat in jedem Spiel Aktionen, bei denen man mit der Zunge schnalzt. Aber dann ver­liert er den Ball, läuft weiter und fehlt hinten.“ Aus dem Jahr­hun­dert­ta­lent drohte ein schlam­piges Genie zu werden. Einer für die schönen Momente des Spiels, der sich aber für die ehr­liche Arbeit eines Fuß­ball­profis zu gut ist. Auf den Bolz­plätzen der Nation nennt man so jemanden einen Steh­geiger.
 
Unter Jupp Heyn­ckes in Lever­kusen begann Kroos schließ­lich, sein Ver­spre­chen auf den großen Fuß­ball ein­zu­lösen. Auch weil der erfah­rene Heyn­ckes dem jungen Talent klar machte, dass Qua­lität ohne Fleiß eben nie­mals mehr als bes­seres Mit­telmaß sein kann. Kroos begann, nach hinten zu arbeiten, ohne dadurch an offen­siver Qua­lität ein­zu­büßen; eine Qua­lität, die ihn vom alt­mo­di­schen Zehner zum viel­seitig ein­setz­baren Mit­tel­feld-All­rounder gemacht hat. Diese Ent­wick­lung, die sich auch in über­ra­genden Scorer-Werten nie­der­schlug, nahm man natür­lich auch in Mün­chen wahr. Als sich Lever­kusen nach dem andert­halb­jäh­rigen Leih­ge­schäft um Kroos’ Wei­ter­ver­pflich­tung bemühte, kamen aus Mün­chen klare Signale: Wir können mit Lever­kusen über alles reden“, sagte Hoeneß. Aber sicher nicht über einen Wechsel von Toni Kroos. Wir wären ja mit dem Klin­gel­beutel geschlagen.“
 
Dass im Sommer 2011, ein Jahr nach seiner Rück­kehr zum FC Bayern, aus­ge­rechnet sein För­derer Jupp Heyn­ckes Trainer in Mün­chen wurde, ist wohl einer jener Glücks­fälle, die einem Hoch­be­gabten die große Kar­riere ermög­li­chen. Heyn­ckes weiß mit Kroos umzu­gehen.

Bei Bayern und in der DFB-Elf: Unan­ge­foch­tener Stamm­spieler

Unlängst sagte Heyn­ckes, wenn Kroos bereit sei, wei­terhin an sich zu arbeiten, seien ihm keine Grenzen gesetzt. Tat­säch­lich ist Kroos mitt­ler­weile unan­ge­foch­tener Stamm­spieler, sowohl bei den Bayern als auch in der Natio­nalelf. Vor allem bei den Bayern lenkt er ruhig hinter Franck Ribery und Thomas Müller das Spiel, ist zuver­läs­siger Vor­be­reiter und neu­er­dings auch auf­fällig oft Tor­schütze. Und den­noch hat man immer das Gefühl, dass bei Toni Kroos noch Luft nach oben ist. Auch Kroos selbst scheint sich nicht mehr nur mit seinem Talent zufrieden zu geben: Ich ver­suche, immer besser zu werden.“
 
Bei der der­zei­tigen Ver­fas­sung der Mün­chener könnte man meinen, dass im Spiel der Bayern sogar der Bus­fahrer nicht weiter negativ auf­fallen würde. Aber Kroos ist ein Spieler, der vor allem dadurch her­vor­sticht, wenn er seine her­aus­ra­genden Qua­li­täten nutzt, um seine Neben­leute und so die Mann­schaft besser zu machen. Dieses oft­mals selbst­lose Spiel ist durchaus erstaun­lich, wenn man bedenkt, dass Kroos einst die Nummer 10“ beim deut­schen Rekord­meister ver­spro­chen wurde und er erst 22 Jahre alt ist.

Wenn alles gut geht, wird Toni Kroos noch elf oder zwölf Jahre Fuß­ball auf Top­ni­veau spielen. Eine lange Zeit, in der er viel­leicht wirk­lich irgend­wann mal das Beste sein wird, was man beim FC Bayern Mün­chen jemals erlebt hat.