Die weißen Jalousien der „S 9 Sportsbar“ in Frankfurt sind bis zum Boden heruntergelassen. Ein paar Länderfahnen künden von der Weltmeisterschaft. Eine gemütliche Mischung aus Stammkneipe und Klubheim, die mondänen Sportbars der Frankfurter Innenstadt sind hier weit weg. Jeder scheint hier jeden zu kennen. Auf dem Erdnussautomaten klebt der obligatorische „Bild“-Aufkleber: „Stoppt den Steuerstaat“. Und die vier Kellnerinnen nehmen Kroatisch gesprochene Getränkebestellungen auf.
In Frankfurt leben insgesamt mehr als 12000 Kroaten, es ist eine der größten Gemeinden in der Bundesrepublik. Und alle sind sie heute auf den Beinen. Schließlich geht es zum WM-Auftakt gegen Brasilien. Eine Stadt sieht rot-weiß-kariert. Kurz vor 21 Uhr bricht unter den Gästen in der „S 9 Sportsbar“ Unruhe aus. Eduardo Tokic, der das kroatische Lokal führt, begrüßt einen alten Freund, mit Küsschen auf die Wange. Herein kommt Davor Suker, 38 Jahre, Fred-Perry-Shirt, abgeschnittene Jeans und Sergej-Bubka-Haarschnitt. 1998 war er Torschützenkönig der Fußball-Weltmeisterschaft in Frankreich. In der Saison 1992/93 hat er kurze Zeit sogar mit Maradona beim FC Sevilla gespielt. Weitere Stationen: Real Madrid, Arsenal London, West Ham United und TSV 1860 München. 2006 sitzt er mit etwa 60 Landsleuten im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. Bier und Wein stehen auf dem Tisch. Und vom Tabakwerbeverbot hat hier auch noch keiner gehört. Das Spiel, in dem sich die Kroaten besser behaupten als allgemein erwartet, wird auf dem kroatischen Sender HRT2 übertragen. Die Gäste stöhnen auf und gestikulieren wild, als Tudor in der 38. Minute nach einem Freistoß knapp am Ball vorbei springt. Der Gegentreffer von Kaka wird relativ emotionslos hingenommen, kommt er doch nicht ganz unerwartet. Der Halbzeitexperte im Fernsehstudio heißt Robert Prosinecki. Mit ihm hat Davor Suker seine beste Zeit in der Nationalmannschaft gehabt. 1998 schalteten sie im Viertelfinale Deutschland aus und scheiterten erst im Halbfinale an Frankreich. Gegen den späteren Weltmeister ging Kroatien zwar 1:0 in Führung, natürlich durch einen Suker-Treffer, aber den Gastgebern gelang durch zwei Thuram-Tore doch noch der Einzug ins Finale. Wenn man ihn fragt, warum er heute nicht im Berliner Olympiastadion sitzt, sagt Davor Suker: „Ich mache meine eigenen Geschäfte.“
Der Held vergangener Tage betreibt heute eine Fußballschule. Die „Suker Academy“ gibt es in Kroatien, Australien – und in München. Er selbst lebt heute auch in der Stadt seiner letzten Profistation. Die zwanzig Tickets, die er für das historische Spiel gegen Brasilien vom kroatischen Fußballverband bekommen hatte, hat er an Verwandte und Freunde aus der Heimat verschenkt. „Vielleicht fahre ich aber zu den nächsten Spielen in Nürnberg oder Stuttgart“, sagt er. „Heute wollte ich das Spiel unbedingt mit den Kroaten aus Frankfurt schauen.“ Eduardo Tokic erzählt: „Ich kenne Davor seit meiner Kindheit. Er ist einfach ein großartiger Typ.“ Suker ist stiller Teilhaber an dem kleinen Lokal. „S“ steht für Suker, die „9″ war seine Trikotnummer. Wenn er selbst nicht da ist, sorgt ein Pappaufsteller für Präsenz. Die Wände sind mit Bildern aus der großen Zeit gespickt. Suker als Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft, Suker beim Trikottausch mit Maradona, Suker bei der Ehrung zum „Weltfußballer des Jahres“, neben Zidane und Ronaldo.
Ronaldo flimmert gerade parallel über die beiden Leinwände und über zwei Plasmabildschirme. Davor Suker hat das alles hinter sich. Er schaut die 90 Minuten mit seinen kroatischen Freunden, an diesem genauso unspektakulären wie angenehmen Platz. Zum Schluss hat er wie alle anderen auch einen „Croatia“-Sticker im Gesicht kleben. Und in der „S 9 Sportsbar“ kommt noch mal richtig Stimmung auf: Der erste Flitzer dieser WM ist kein Engländer, sondern ein Kroate. Er läuft in Berlin im Trikot von Ivan Klasnic auf den Platz, und Davor Suker lächelt selig. Die Kellnerin mit dem T‑Shirt sagt: „Wir können stolz sein. Unsere Mannschaft war besser als Brasilien.“