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Irgendwo in Eng­land muss ein mäch­tiger Fuß­ball-Magnet ver­graben sein, der auf die Bun­des­liga aus­ge­richtet ist. Im Früh­jahr 2015, vor gerade mal sechs Jahren, trai­nierte Pep Guar­diola den FC Bayern, Jürgen Klopp den BVB und Thomas Tuchel den FSV Mainz. Ilkay Gün­dogan und Chris­tian Pulisic spielten in Dort­mund, Kevin de Bruyne für Wolfs­burg, Joel Matip auf Schalke, Thiago und Xherdan Shaqiri beim FC Bayern, Roberto Fir­mino in Hof­fen­heim, Antonio Rüdiger und Timo Werner für den VfB Stutt­gart, Kai Havertz in Lever­kusen. Heute sind sie alle bei Man­chester City, dem FC Liver­pool oder dem FC Chelsea.

Denn am Diens­tag­abend bestä­tigte der FC Chelsea, dass Tuchel der Nach­folger des am Montag ent­las­senen Frank Lam­pard wird. Das sangen die Spatzen aller­dings schon von Lon­dons Dächern, hatte Chelsea doch nach ver­läss­li­chen Berichten auch schon bei Ralf Rang­nick nach­ge­fragt und sich über Julian Nagels­mann erkun­digt. Da durfte man getrost davon aus­gehen, dass es an der Stam­ford Bridge unbe­dingt ein deut­scher Trainer sein soll. Und so viele Kan­di­daten waren der­zeit nicht auf dem Markt. Jeden­falls wenn man davon aus­geht, dass Manuel Baum, Alex­ander Nouri oder Bruno Labb­dadia nicht so ganz das sind, was Besitzer Roman Abra­mo­witsch vor­schwebt.

Die ganze Band­breite des modernen Fuß­balls

Seitdem Abra­mo­witsch den Klub über­nommen hat, also seit dem Sommer 2003, fuch­telten von ganz wenigen Aus­nahmen abge­sehen (Avram Grant!?) höchst nam­hafte Trainer an der Sei­ten­linie herum. Mour­inho, Sco­lari, Hiddink, Ance­lotti, Benitez … Alles Namen aus dem obersten Regal. Selbst der als Coach eher uner­fah­rene Lam­pard fällt durchaus in diese Kate­gorie, immerhin reden wir hier von einer abso­luten Ikone des Ver­eins, die als Spieler fast alles gewonnen hat, was man gewinnen kann.

Passt Tuchel in diese Reihe? Durchaus. Man ver­gisst leicht, dass er inzwi­schen auf mehr als vier Jahre bei zwei großen Klubs zurück­bli­cken kann. Vier Jahre, in denen das Arbeiten aus ganz ver­schie­denen Gründen immer schwierig war und in denen er es auf und abseits des Trai­nings­platzes mit der ganzen Band­breite zu tun hatte, die der moderne Fuß­ball bereit hält: Von hoch­ta­len­tierten Tee­nies bis zu abge­ho­benen Welt­stars, von sau­er­län­di­schen Geschäfts­füh­rern bis zu kata­ri­schen Scheichs. Und so ganz nebenbei hat er in diesen vier Jahren sieben offi­zi­elle Titel in zwei Län­dern gewonnen.

Dass der wich­tigste fehlte, ist ihm wohl in Paris zum Ver­hängnis geworden. Geschei­tert ist er trotzdem nicht, immerhin hat er es bei PSG länger aus­ge­halten als Ance­lotti oder Unai Emery und nur unwe­sent­lich kürzer als Lau­rent Blanc. Und weil selbst Tuchels größte Gegner ihm nie­mals abspre­chen werden, dass er ein kluger Kopf ist, dürfte er in Frank­reich enorm viel gelernt haben. Vor allem über Men­schen­füh­rung und Kom­mu­ni­ka­tion, was dem Mann gut zu Gesicht stehen wird, der in Dort­mund zum Teil an einem Mangel an Empa­thie schei­terte.

Tuchels anderes Pro­blem beim BVB war seine Wei­ge­rung, sich dem Umfeld des Klubs zu öffnen, und damit sind jetzt nicht nur die Jour­na­listen gemeint, son­dern auch die Fans. Selbst wenn er in dieser Hin­sicht in Paris nichts gelernt haben sollte (oder wollte), wird es keine Aus­wir­kungen auf seine Arbeit bei Chelsea haben. In Eng­land sind es die Leute gewohnt, dass sich Fuß­ball­ver­eine radikal abschotten, vor den Medien und auch vor dem eigenen Anhang. Das wird Tuchel also eher ent­ge­gen­kommen, genau wie seinem großen Vor­bild Pep Guar­diola, dem ja in Deutsch­land eben­falls das Image anhaf­tete, sich nur für Fuß­ball zu inter­es­sieren und nicht für Men­schen.

An Tuchels fach­li­cher Kom­pe­tenz gibt es eh keinen Zweifel. Obwohl man die Mel­dungen mit Vor­sicht genießen muss, die sich seit Lam­pards Ent­las­sung häufen. Am Montag ent­hüllten diverse Zei­tungen, dass Chel­seas Spieler nicht zufrieden waren mit den tak­ti­schen Anwei­sungen, die sie von Lam­pard bekamen. Aus­ge­rechnet Kepa Arrizaba­laga, der Tor­wart der Blauen, wurde mit den Worten zitiert, dass er oft in eine Partie ging und nicht genau wusste, was von ihm erwartet wurde. Auch die Bericht­erstat­tung nach Chel­seas Nie­der­lage in Lei­cester drehte sich auf­fällig stark um Lam­pards tak­ti­sche Fehler, etwa das schlechte Gegen­pres­sing, das zu Kon­tern gera­dezu einlud. Und natür­lich wurde es aus­ge­schlachtet, dass Lei­ces­ters Mit­tel­feld­spieler James Maddison nach der Partie sagte: Wir wussten, dass sie bei Stan­dards manchmal nicht auf­passen.“ Hier wurde offen­kundig schon der Boden bereitet für die Ver­pflich­tung eines Nach­fol­gers, der den Ruf genießt, ein Tak­tiker und Tüftler von guar­dio­la­schem Ausmaß zu sein.

Frus­trie­render Absturz

Tuchel und Chelsea – das sollte also wirk­lich gut passen. Nicht zuletzt auch, weil man in London davon aus­geht, dass er als Deut­scher Werner und Havertz in die Spur bringen kann, die über 130 Mil­lionen Euro gekostet haben, und auch mit Rüdiger besser klar­kommt, von dem die Klub­lei­tung laut Infos der Web­site The Ath­letic über­zeugter ist, als es Lam­pard war. Bleibt nur die Frage, wie es mit Tuchels Ver­hältnis zu jener Füh­rungs­etage aus­sieht. Das war in Dort­mund min­des­tens so ange­spannt wie in Paris, wo Sport­di­rektor Leo­nardo schon mal als Tuchels Intim­feind“ bezeichnet wurde.

In London bekommt er es nun mit der Russin Marina Gra­novs­kaia zu tun, die schon seit 2003 beim FC Chelsea ist und dort langsam, aber unauf­haltsam die Kar­rie­re­leiter hoch­klet­terte. Vor knapp zehn Jahren wurde sie Abra­mo­witschs offi­zi­elle Reprä­sen­tantin beim Klub (der Besitzer selbst war ja schon vor den Pro­blemen mit seinem Visum nicht allzu oft in London), drei Jahre danach rückte sie in den Vor­stand auf, nur wenig später über­nahm sie zusammen mit dem Ame­ri­kaner Bruce Buck den CEO-Posten.

Was Gra­novs­kaia und Abra­mo­witsch von Tuchel erwarten, das sind natür­lich Titel. Nicht weniger als 247 Mil­lionen Euro hat Chelsea vor dieser Saison aus­ge­geben, weit mehr als jeder andere Klub Europas. Umso frus­trie­render muss der Absturz der letzten Wochen gewesen sein. Noch Anfang Dezember lag Chelsea nur zwei Punkte hinter der Spitze, nun sind es plötz­lich zwölf. Die Kom­bi­na­tion aus hohen Aus­gaben und hohen Ansprü­chen kennt Tuchel schon aus Paris. Völlig neu sind für den viel­leicht ein­zigen Trainer von inter­na­tio­nalem Format, der schon zweimal ein Sab­bat­jahr ein­ge­legt hat, um sich auf die Zukunft vor­zu­be­reiten, aber die Umstände: Der Freund der peni­blen Vor­be­rei­tung über­nimmt zum ersten Mal mitten in einer Saison einen Kader, den er nicht kennt. So gesehen geht Tuchel dann doch ein Risiko ein. Aber der Mann, den die BBC vor­ges­tern einen Kon­troll­freak“ nannte, kann es kon­trol­lieren. Im schlimmsten Fall hat er ein halbes Jahr, um einen hoch­be­gabten Kader zu sta­bi­li­sieren, und dann zwölf Monate, um seinen achten Titel im dritten Land zu holen.