Matthias Sammer ist für seine klaren Aussagen bekannt. Wir sprachen deshalb mit ihm über den FC Bayern, Jugendfußball und DDR-Sportschulen.
Im Berliner Wedding steht Matthias Sammer in einer modernen Soccerhalle und spricht intensiv mit jungen Talenten. Er ist Mentor des 360°-Programms, das Adidas zum zweiten Mal veranstaltet. In den kommenden sechs Wochen werden zwanzig Berliner Jugendliche zwischen 12 und 20 Jahren von jungen Trainern geschult und in ihrem Alltag begleitet.
Matthias Sammer, Sie sind jetzt wiederholten Mal Teil dieses Projekts. Es gefällt Ihnen also?
Es gibt dir wirklich, und das ist nicht nur so daher gesagt, etwas zurück. Uns alles geht es doch recht gut. Und hier spielen Jugendliche aus einer ganz anderen Lebenswelt. Ihnen will ich verständlich machen, dass es erst einmal um ihr eigenes Leben geht.
Sie selbst haben in Ihrer Jugend die DDR-Sportschule durchlaufen. Wie haben Sie diese Art der Förderung erlebt?
Insgeheim denkt jeder, dass alles schlecht gewesen sein muss, richtig? Es gibt viel zu wenig Mut, darüber positiv zu berichten. Sicherlich, in Bezug auf Trainingsintensität und Einnahme von Substanzen, die dort nicht hingehören, sind die DDR-Sportschulen zu kritisieren. Aber dieses System in seiner Organisation ist doch das, was wir heute als Vorbild haben. Und ich kann Ihnen sagen, weil ich beides erlebt habe, dass es damals sehr fortschrittlich war. Das war ein sehr gutes System.
Was wollen Sie den Jugendlichen hier mitgeben?
Man muss vermitteln, dass es, wenn es nicht der Profifußball wird – und das wird es bei den Wenigsten – das Leben und seine Werte weiterhin sehr wichtig sind. So simpel das klingen mag, aber der Sport ist auch eine Lebensschule.
Sie haben 2006 beim DFB ein Konzept zur Elitenförderung vorgestellt mit einem besonderen Blick auf die Persönlichkeitsentwicklung. Wie unterscheiden sich die Persönlichkeiten in diesem Projekt von denen im Profifußball?
Erstmals ist jeder Mensch ja ein eigenes Individuum und abhängig von verschiedenen Einflussfaktoren. Unter welchen Voraussetzungen leben sie, mit welchen Familien und wie werden sie groß. Aber was uns bewegen muss, ist die Frage, was wir und die Gesellschaft tun können, um diese Jugendlichen auf den richtigen Weg zu bringen.
Und Fußballspielen hilft?
Es schafft eine Orientierung auf dem Platz und neben dem Platz. Die Grundlage, um etwas für die Gesellschaft zu leisten, ist für mich: Anständigkeit. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund oder aus Problembezirken oftmals eine besondere Dankbarkeit und einen Respekt vor ihrem Gegenüber erlebe.
Als Sportdirektor des DFB haben Sie damals das Beispiel Ihres vierjährigen Sohnes gebracht, der nicht rückwärts laufen konnte.
(lacht) Das war ein Bestandteil unseres Konzepts. Wir wollten im Kindergarten beginnen, und dann in den Grundschulen, in den Förder- und Leistungszentren weitermachen. Leider hat man damals nicht begriffen, dass es nicht zwingend etwas mit dem Fußball zu tun haben muss. Gerade zu Beginn der Entwicklung ist eine vielseitige Bewegungsschulung, die tägliche Stunde Sport, essenziell. Robben, Kriechen, Hüpfen und eben auch Rückwärtslaufen. Und es ist bedenklich, dass das kein fester Bestandteil ist.
Sie haben damals auch gesagt „Eliteförderung darf nicht zu spät beginnen“. Warum?
Gemeint habe ich die Mannschaften ab der U16 des DFB. Es ist wichtig, sich zu dieser Elite zu bekennen und sie zu fördern. Denn diese Jugendlichen opfern vieles, also ist der DFB in der Verantwortung, sie bestmöglich zu unterstützen.
Warum engagieren Sie sich dann ausgerechnet bei diesem Projekt?
Weil es für mich eine Herzensangelegenheit ist und ich eine Verantwortung nicht nur für den Spitzensport, sondern für unsere Jugendlichen allgemein sehe. Als DFB-Sportdirektor war ich mit vielen anderen dafür verantwortlich, dass der Fußball aus einer grauen Talsohle herauskommt. Das ist uns gut gelungen, die Programme sind bis heute fantastisch, die Nationalmannschaft ist bis heute erfolgreich. Nur der Klubfußball macht mir im Moment etwas Sorgen.
Was meinen Sie?
Die Art und Weise, wie wir in der Liga zur Zeit Fußball spielen. Erfolg, nur durch Verteidigen, Konterspiel und Standardsituationen zu erzwingen – wie bei vielen zu erkennen – das wird auf Dauer zu wenig sein. Es gibt zu wenige Mannschaften, die sich mit dem Thema Ballbesitz, Positionsspiel und Kreativität beschäftigen.
Nach Ihrer Erkrankung im vergangenen Jahr wollten Sie ja eigentlich kürzer treten. Trotzdem sind Sie ein stückweit wieder beim Fußball gelandet. Warum?
Wegen der Liebe zum Fußball.
Sie analysieren als TV-Experte und unterscheiden sich deutlich von der Konkurrenz. Worauf legen Sie Wert?
Es ist tatsächlich eine Freiheit, dass der Sport bei Eurosport im Mittelpunkt stehen darf. Ich versuche die Strategien der Mannschaften vor dem Spiel zu erklären, dann wie sie sich im Laufe des Spieles bestätigt oder verändert haben und am Ende welche Faktoren auf die Leistung und das Ergebnis Einfluss genommen haben.
So etwas haben sie zuvor im TV vermisst?
Manchmal ja. Unsere Sendung soll sich auch, das sage ich mit aller Bescheidenheit, unterscheiden, weil wir etwas anbieten wollen, was der Fußball braucht: eine bessere Erklärung.
Beim FC Bayern läuft zurzeit nicht alles perfekt. Erklären Sie uns das mal.
Da es erst einmal meine letzte Station war, schaue ich besonders nach München und mache mir Gedanken. Aber ich habe den Abstand und weiß, dass es Zeitpunkte gibt, an denen man sich zurückhält. Die Verantwortlichen im Verein sollen in Ruhe die Entscheidungen des Klubs treffen. Parolen oder kluge Ratschläge sind nicht nötig.
Und trotzdem fanden wir heute in unserer Kommentarspalte den Satz: „Ich frage mich immer, ob mit ihm (gemeint ist Sammer, d. Red.) dieses Desaster zwischen Ancelotti und Teilen des Teams auch so gelaufen wäre.… sehr wahrscheinlich nicht.“ – Was würden Sie dem FC Bayern denn jetzt raten? Eine harte Hand?
Ich glaube nicht, dass meine harte Hand wirklich so hart war, wie es die Medien aufgenommen haben. Ich habe Dinge beobachtet und war dann konsequent. Eine Gruppe funktioniert immer nur mit einer Systematik und einer menschlichen Note. Das habe ich immer versucht.
Herr Sammer, wir haben viel über Entwicklung gesprochen. Vor einem halben Jahr haben Sie gesagt, dass Sie mit der Supermarktkasse nicht ganz zurecht gekommen wären. Wie sieht’s denn nun aus mit der persönlichen Entwicklung?
Besser denn je. Auch detaillierter: ich achte jetzt auch auf Verfallsdaten und Preise. Trotzdem hat mich da eine gewisse Normalität eingeholt. Ich muss gestehen, die Begeisterung im Supermarkt hält sich mittlerweile in Grenzen (lacht).