Adi Hütter möchte in Frankfurt seinen erfolgreichen Pressing-Stil fortführen. Noch fremdelt der Pokalsieger mit der Philosophie des neuen Trainers. Und das sind die Gründe dafür.
Statistiken treiben im Fußball manchmal seltsame Blüten. Wären Sie darauf gekommen, welches Bundesliga-Team am ersten Spieltag die meisten Schüsse auf das eigene Tor zugelassen hat? Es waren nicht die Hoffenheimer gegen die übermächtigen Bayern, auch nicht Leipzig bei der 1:4‑Schmach gegen Dortmund. Es war Eintracht Frankfurt. Beim 2:0‑Sieg gegen den SC Freiburg kassierten sie 22 Torschüsse.
Wieso diese Zahl so besonders ist, erklärt ein Blick auf die jüngere Frankfurter Vergangenheit. 22 Schüsse auf den eigenen Kasten? Gab es unter Vorgänger Niko Kovac nicht. „Die Null muss stehen“, hieß das Kovac’sche Motto. In der Saison 2016/17 ließ Frankfurt unter Kovac die drittwenigsten Schüsse aller Bundesligisten zu, in der vergangenen Saison die sechstwenigsten. Überhaupt gab es in diesen beiden Bundesliga-Saisons nur zwei Spiele, in denen Kovac‘ Team zwanzig Schüsse oder mehr kassierte.
Fußballerischer Kulturwandel
Der Blick auf diese eine Zahl unterstreicht bereits den fußballerischen Stilwandel, der in Frankfurt gerade stattfindet. Der neue Trainer Adi Hütter pflegt einen anderen Spielstil als sein Vorgänger. Kovac ist auf wie neben dem Platz ein kontrollierter Trainer: Seine Frankfurter rückten nicht allzu offensiv auf, beruhigten in vielen Phasen das Spiel und ließen gegen schwächere Gegner auch mal den Ball laufen. Nur situativ sollten sie den Gegner jagen, dann meist in engen Manndeckungen. Defensive Spielkontrolle und Kondition: Das waren die Steckenpferde von Kovac‘ Eintracht.
Hütter eint mit Kovac nur der hohe Fokus auf die Kondition. Sein Spielstil hingegen steht diametral zu jenem von Kovac. Der Österreicher stammt aus der Trainerschule der Nachwuchsabteilung von RB Salzburg. Hütter steht für den typischen Brause-Fußball, wie Ralf Rangnick ihn seinen Trainer-Untergebenen eintrichtert: Pressing, Balleroberung, Vertikalspiel. Und das wieder und wieder.
Ganz harmonisch verlief die Zusammenarbeit mit Rangnick jedoch nicht. Trotz Meisterschaft und Pokalsieg blieb er nur eine Saison Trainer in Salzburg. Danach wechselte er nach Bern zu den Young Boys – und lieferte hier sein Meisterstück. Er verfeinerte seinen Pressing-Stil mit einem vertikalen, risikoreichem Aufbauspiel. Nach acht Basler Meisterschaften in Folge durchbrachen Hütters Berner die Dominanz des großen FCB. Der Wechsel in die Bundesliga war der nächste logische Schritt für Hütter.
Misslungener Saisonstart in Frankfurt
Die Aufgabe in Frankfurt entpuppt sich jedoch als schwieriger, als Hütter wohl erwartet hätte. Die Testspiele verliefen holprig, im Supercup ging man gegen die Bayern mit 0:5 unter. Immerhin folgte auf das blamable Pokal-Aus gegen Ulm ein 2:0‑Sieg zum Bundesliga-Auftakt. Doch das Ergebnis täuscht darüber hinweg, dass die Eintracht auch gegen den SC Freiburg zahlreiche Schwächen offenbarte – wie die hohe Anzahl Freiburg Schüsse belegt.
Hütter fordert von seiner Mannschaft aggressives, raumorientiertes Pressing gegen den Ball. Hütter besteht zwar derzeit noch nicht darauf, den Gegner jederzeit unter Druck zu setzen; die Eintracht sucht den Zugriff aktuell erst im Mittelfeld. Doch das Verhalten gegen den Ball passt noch nicht. Gerade mit dem Verschieben zum Ball fremdeln seine Eintracht-Spieler merklich; sie waren unter Kovac ein mannorientiertes Verteidigen gewohnt. Gegen Freiburg taten sich vor allem neben der Doppelsechs zahlreiche Lücken auf. Immerhin: Hütters Elf verteidigte im neu formierten 4 – 4‑2-System wesentlich stärker als im Supercup, als sie in einer für Hütter ungewohnten Fünferkette antraten.
Passt der Kader zum Trainer?
Hütter mahnt derweil an, dass seine Mannschaft noch Zeit benötigt. In der Tat: Ein komplexes Spielsystem wie jenes von Hütter erlernen selbst Profi-Fußballer nicht binnen weniger Wochen, gerade wenn es sich derart stark vom System des Vorgängers unterscheidet. So sind im Spielaufbau bislang nur wenige der Facetten zu erkennen, dank denen Hütters Young Boys im vergangenen Jahr Meister wurden.
Die viel größere Frage, die sich viele in Frankfurt derzeit stellen: Was nützt einem Trainer Zeit, wenn er nicht die richtigen Spieler für seine Spielidee hat? Im Eintracht-Kader fehlen schnelle Mittelfeldspieler genauso wie Verteidiger, die das Spiel mit vertikalen Pässen eröffnen können. Ausgerechnet der wendige und Pressing-starke Ante Rebic, wohl der passendste Hütter-Spieler im Eintracht-Kader, fehlt derzeit verletzt.
Hütter selbst hat eine weitere Baustelle eröffnet: Mit Marc Stendera, Marco Fabian, Simon Falette und Branimir Hrgota sortierte er gleich vier Spieler aus, die nicht zu seinem schnellen Tempofußball passen. Inhaltlich stimmt Hütters Analyse. Dass die Eintracht diese Spieler in der Transferperiode nicht verkauft bekommt, könnte jedoch für Sprengstoff innerhalb der Mannschaft sorgen.
Wie flexibel ist Hütter wirklich?
Immerhin: Die drei Punkte in Freiburg geben Hütter zunächst einmal etwas Zeit, in Ruhe seine Mannschaft weiterzuentwickeln. Die Frage lautet nun: Wie nutzt Hütter diese Zeit? Hütter mag zwar eine feste Spielphilosophie verfolgen. Im Laufe seiner Karriere ist er dabei aber immer Kompromisse eingegangen. Er gehört nicht zu der „Alles oder nichts“-Fraktion um Trainer wie Peter Bosz oder Alexander Zorniger. Gut möglich, dass Hütter in den kommenden Wochen neue taktische Varianten auspackt; sei es ein 4 – 3‑3-System oder die Wiederbelebung der im Supercup so wenig erfolgreichen Fünferkette.
Nur eins ist klar: 22 Schüsse sollten sie so schnell nicht mehr zulassen. Nicht jedes Team trinkt so wenig Zielwasser wie der SC Freiburg.