Bei den laufenden Vertragsverhandlungen zwischen Manuel Neuer und dem FC Bayern wurden offenbar gezielt Gesprächsinhalte durchgestochen. Nun steht der Keeper wie ein Raffzahn da. Wie in Zeiten von Corona eine geschäftliche Alltagsangelegenheit zur moralischen Grundsatzfrage wird.
Wer es auch war, er/sie musst gewusst haben, dass in Corona-Zeiten eine derart konkrete Summe verstörend wirkt. Zumal die Neuer-Verhandlung in der news-armen Fußballberichterstattung ohnehin schon eine Wucht entfaltet. Die nackten Zahlen lassen den Weltklassekeeper nun wie den Prototyp des raffgierigen Profis aussehen, der sich einen feuchten Kehricht um die tiefen gesellschaftlichen Einschnitte schert, die sich derzeit außerhalb der exklusiven Bundesliga-Blase abspielen.
Zu anderen Zeiten wären solche Meinungsverschiedenheiten eine Fußnote im Ligaalltag gewesen. Bei den Bayern ist es schon lange nicht mehr entscheidend, wie viel der Klub in einen Spieler investiert, sondern für wen das Geld ausgegeben wird. Es gehört zum Selbstverständnis des Vereins, dass jeder auf dem Markt verfügbare Topspieler eine Option für den FCB sein muss. Insbesondere, wenn dieser einen deutschen Pass besitzt. Aus der Perspektive sind sowohl der Nübel-Transfer, als auch ein neuer Kontrakt mit Neuer in der gegenwärtigen Form nachvollziehbar.
In Corona-Zeiten aber geht es nicht allein mehr um den fetten Deal – es geht plötzlich auch um die moralische Frage, ob eine Forderung angesichts der wirtschaftlichen Situation im Fußball und im Land angemessen ist. Besser: Ob sie ethisch vertretbar ist.
Irgendetwas scheint bei den Verhandlungen aus dem Ruder gelaufen zu sein. Wie sonst ist es erklärbar, dass sich der sonst eher wortkarge Neuer nun in einem Interview mit der Bild am Sonntag über mangelnde Wertschätzung bei seinem Arbeitgeber beklagt. Neuer beklagt, Inhalte aus den Verhandlungen mit Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn seien „offenbar gezielt nach außen getragen“ worden. „Das kenne ich so nicht beim FC Bayern“, sagt der Keeper. Und sein Berater Kroth konstatiert, dass sowohl die genannte Gehaltsforderung, als auch der Anspruch auf einen derart langen Kontrakt schlicht falsch seien. „Mir ist doch völlig klar, dass es utopisch ist, den Verein auf einen Fünfjahresvertrag, wie er angeblich im Raum steht, festzunageln,“ so Manuel Neuer, „mit 34 Jahren kann ich ja nicht absehen, wie es mir mit 39 Jahren geht. Darum macht diese Endgültigkeit, die öffentlich suggeriert wurde, ja überhaupt keinen Sinn.“
Über die genauen Hintergründe des Scharmützels lässt sich nur spekulieren. Dass der Keeper nicht unter einem eingeschränkten Selbstgefühl leidet, dürfte bekannt sein. Zudem scheinen Neuer trotz seines Alters belastbare Angebote von anderen Spitzenklubs vorzuliegen, sodass er aus einem Gefühl der Stärke in den Vertragsgesprächen argumentiert. Gut möglich, das einem der Bayern-Bosse Neuers Verhandlungsduktus (oder der seines Beraters) nicht ganz gepasst hat. Es wäre zumindest nicht das erste Mal, dass ein Bayern-Funktionär verschnupft reagiert, weil ein Angestellter zu sehr eigene Vorstellungen hinsichtlich seiner Zukunft in dem Klub entwickelt. Stichwort: Toni Kroos.
Manuel Neuer ist mit dem BamS-Interview um Schadensbegrenzung bemüht. Er sendet ungeachtet der Kritik an dem Umgang seitens der Bayern-Bosse auch die unzweideutige Botschaft, dass er großes Interesse an einer Vertragsverlängerung hat und bereit ist, Entgegenkommen zu zeigen. Doch es geht ihm auch darum, sein über ein Jahrzehnt erworbenes Renommee beim Rekordmeister nicht auf den letzten Metern wieder zu verspielen.
Als er 2011 nach München wechselte, sah er sich über Monate Fanprotesten ausgesetzt, weil viele Anhänger ihm seine polarisierenden Auftritte als Schalker Schlussmann in der Allianz Arena übel genommen hatten. „Koan Neuer“, so die Parole in der Kurve damals. Eine Woge der Antipathie, die durch die gezielten Indiskretionen wieder an Fahrt aufnehmen könnte. Unter den aktiven Bayern-Fans gibt es noch immer einzelne, die ihn für einen verkappten Knappen im Bayern-Schafspelz halten.
Kein Wunder, dass der viermalige Welttorhüter nach einem Jahrzehnt, in dem er jeden erdenklichen Titel mit den Münchnern geholt und mit seinen Fähigkeiten nachhaltig zu den Erfolgen beigetragen hat, auf seinem Standpunkt beharrt.
Für derlei Aktionen hat er: koan Verständnis!