Keiner hat in den Neunzigern mehr Tore geschossen – und keiner lässiger gejubelt – als Alan Shearer. Heute wird er 50 Jahre alt.
Dass Alan Shearer ein Fußballer aus einer anderen Ära war, lässt sich am besten daran ablesen, wie er die meisten seiner unzähligen Tore feierte. Während heute bisweilen ganze Theateraufführungen einstudiert werden, grinste Shearer nur breit und hob beiläufig den rechten Arm, als wollte er sagen: „Hey, ich war’s, aber macht bitte kein Gewese darum. Ist mein Job, gern geschehen.“ So ungefähr.
Fakt ist, dass Shearer seinen Job außergewöhnlich gut machte, egal ob in Southampton, Blackburn, Newcastle oder bei der englischen Nationalmannschaft. Dass Stürmer ein paar gute Jahre haben, in denen ihnen fast alles gelingt, kommt ja öfter mal vor. Dass aber einer über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren so zuverlässig knipst, dass er über die Karriere gesehen auf einen Saisonschnitt von fast 25 Pflichtspieltoren kommt, das kennt man so höchstens von Kalibern wie Gerd Müller oder Robert Lewandowski. Kein Wunder also, dass Shearer mit 260 Treffern bis heute Rekordtorschütze der Premier League ist.
Dabei war der junge Alan Shearer nicht mal ein richtiger Mittelstürmer. In seiner Jugend fühlte er sich eher im Mittelfeld zuhause und fungierte noch als frischer Erstligaspieler in Southampton als eine Art falsche Neun (auch wenn es den Begriff damals noch nicht gab), die Wege machte und Räume schuf, von denen die beiden anderen Angreifer Rod Wallace und Matt Le Tissier profitierten. Doch spätestens mit seinem Wechsel zu den Blackburn Rovers 1992 wurde er zum Knipser vom Dienst.
Mag Shearer heute vor allem als Newcastle-Legende in Erinnerung sein, so war er doch nie besser als in Blackburn. Nachdem er im ersten Jahr durch eine Knöchelverletzung gehandicapped war, traf er in den drei darauf folgenden Spielzeiten sagenhafte 87 Mal und schoss mit seinem kongenialen Sturmpartner Chris Sutton die Konkurrenz in Grund und Boden. Was tatsächlich dazu führte, dass die Rovers, das Team aus der eher schäbigen Industriestadt Blackburn, 1995 englischer Meister wurde. Ein Titel, dessen fußballromantisches Potential allerdings insofern begrenzt ist, als der Klub seinerzeit vom örtlichen Stahlmagnaten Jack Walker überaus großzügig alimentiert wurde.
Alan Shearer indes war auch aus der englischen Nationalmannschaft längst nicht mehr wegzudenken. Als er im Vorfeld der Heim-EM 1996 von einer gewissen Ladehemmung in Länderspielen befallen wurde, führte das fast zu einer nationalen Krise. Im Turnier selbst lieferte der Stürmer allerdings gewohnt zuverlässig und wurde mit fünf Treffern Torschützenkönig. Dass das englische Sommermärchen kein gutes Ende nahm, konnte er allerdings auch nicht verhindern. Dabei hatte Shearer auch im Halbfinale gegen die Deutschen alles getan, was er tun konnte: erst die Engländer in Führung geschossen und später im Elfmeterschießen souverän den ersten Strafstoß verwandelt. Bis dann Gareth Southgate alles vermasselte.
Im Falle Shearers war zu diesem Zeitpunkt längst klar, dass ihn die Blackburn Rovers nicht mehr halten konnten. An Angeboten herrschte kein Mangel, doch gegen einen Umzug nach Barcelona oder Turin sperrte sich Shearers heimatverbundene Gattin, einen Wechsel zu Manchester United verhinderte Klubbesitzer Jack Walker, der sich lieber entleibt hätte, als seinen Lieblingsstürmer im Trikot des verhassten Riesen aus der Nachbarschaft spielen zu sehen. Und weil Shearer in Walker eine Art Vaterfigur sah, fügte er sich und wechselte stattdessen zu Newcastle United.
Der Sensationstransfer des Sommers 1996 war einer mit unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Aspekten. Zum einen machte er Shearer mit einer Ablösesumme von circa 15 Millionen Pfund – angesichts des heute fast läppisch wirkenden Betrags kaum noch vorstellbar – zum damals teuersten Spieler der Welt. Andererseits wechselte der als Kind einer Arbeiterfamilie in Newcastle geborene Stürmer zum Lieblingsklub seiner Kindheit. Wogegen Manchester United statt Shearer dann Ole Gunnar Solksjaer verpflichtete und damit (mit schönen Grüßen an den FC Bayern) auch nicht alles falsch gemacht hat.
In Newcastle spielte Alan Shearer weitere zehn Jahre, in denen er zwar keine Titel gewann, aber zur Vereinsikone wurde. Als er 2006 mit fast 36 Jahren seine aktive Karriere beendete, erteilte er Spekulationen, er werde bald danach als Trainer oder Sportdirektor wirken, eine Absage und betonte, er wolle „zunächst einmal das Leben genießen“. Daran hat sich Shearer – abgesehen von einem kurzen erfolglosen Versuch, Newcastle United als Trainer vor dem Abstieg zu retten – im Grunde bis heute gehalten. Allerdings arbeitet er seit vielen Jahren als Experte für den BBC-Klassiker „Match of the Day“.
Wo dieser Fußballer aus einer noch gar nicht lange, aber unwiderruflich vergangenen Ära übrigens nicht als Kritiker am modernen Fußball auffällt. Erst neulich kritisierte er die Premier League dafür, dass sie sich gegen den Verkauf von Newcastle United an ein Mitglied der saudischen Königsfamilie sperrt und seinem Ex-Klub damit die mögliche Rückkehr zu den Fleischtöpfen der Champions League verwehre.
Ach Alan, und sei es nur, weil du heute Geburtstag hast: Schwamm drüber. Alles Gute zum Fünfzigsten! Deine Tore, die bleiben. Und dieser unverschämt lässige Jubel natürlich auch.