Seit Samstagfrüh wissen wir: Jürgen Klinsmann ist und bleibt Fußball-Lehrer und darf morgen gegen die Bayern unterrichten. Wie es überhaupt zu der Posse kam und welche Rolle eine große deutsche Boulevardzeitung dabei spielte.
Es passiert nicht oft, dass samstags eine Eilmeldung durch die Sportredaktionen saust, noch bevor ein einziger Ball rollte. Doch heute war es so weit. Die meisten Journalisten hatten ihren ersten Kaffee des Wochenendes noch nicht mal aufgesetzt, da gab es eine dramatische Wendung in dem Fall, der vor dem Rückenrundenstart die Nation am meisten bewegte. Um kurz nach 9 Uhr twitterten DFB und DFL, dass man die von Jürgen Klinsmann eingereichten Nachweise seiner Fortbildung anerkenne. Weiter hieß es: »Entsprechend wurde die Fußball-Lehrer-Lizenz von Jürgen Klinsmann ordnungsgemäß verlängert. Sein Einsatz als Cheftrainer von Hertha BSC befindet sich damit im Einklang mit den DFL-Statuten.«
Schade. Wir hatten schon so lange keine echte, ausgewachsene, sich endlos hinziehende Trainer-Lizenz-Diskussion mehr. Eigentlich nicht mehr, seit die Bürokraten den VfB Stuttgart ruiniert haben. Einige der älteren Leser werden sich vielleicht erinnern: Die Schwaben hatten mal einen richtigen Erstligaverein, der sogar ab und zu etwas gewann, und einen coolen, jungen Trainer. Praktisch eine Art Kloppo, nur noch hipper, weil tätowiert. Er hieß Markus Babbel und führte den VfB in die Champions League. Allerdings fehlte ihm ein Zettel, der ihm die Fähigkeit zugestand, junge Menschen in der Kunst des Balltretens zu unterweisen.
Nach langem Hickhack belegte Babbel im Juni 2009 einen Trainerlehrgang und verbrachte die Hälfte der Woche auf der Schulbank in Köln. »Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es funktioniert«, sagte Babbel, »auch wenn es zehn stressige Monate werden.« Er täuschte sich, denn der Stress war schon nach sechs Monaten vorüber. Die Mannschaft geriet in Abstiegsgefahr, ihr dauerpendelnder Trainer wurde gefeuert – und der langsame, aber stete Niedergang des VfB hatte begonnen.
Die VfB-Legende Klinsmann hätte also gewarnt sein müssen. Man kann nicht einfach so aus Kalifornien einfliegen und sich auf einen deutschen Trainerstuhl setzen, bloß weil man mal zwei Nationalmannschaften bei fünf bedeutenden Turnieren betreut hat. Zwar kam Klinsmann meistens bis ins Halbfinale und gewann sogar eines der Turniere, aber das ist ja noch kein Beweis, dass er Ahnung von Menschenführung, Trainingslehre oder Taktik hat und die sittliche Reife besitzt, sein Wissen an Schutzbefohlene weiterzugeben. Dafür braucht es eine Lizenz. Und mehr.
Vielleicht erinnerte sich Klinsmann dunkel an diesen verkürzten Sonderlehrgang, den er vor zwanzig Jahren belegt hatte. Er dauerte von Januar bis Juni 2000 und am Ende bekam er einen Schrieb, auf dem stand, dass er jetzt Fußball-Lehrer wäre. Möglicherweise glaubte er, das würde reichen, schließlich war Joachim Löw auch in dem Kurs gewesen, und dem gestattete man offenbar immer noch, Hütchen aufzubauen und zwischen zwei Tassen Espresso eine Kabinenansprache zu halten.
Wenn dies Klinsmanns Gedankengänge waren, dann hatte er etwas Entscheidendes vergessen. Zugegeben, man muss ihm das nachsehen, denn bis die aktuelle Debatte losgetreten wurde, war vermutlich den meisten Menschen nicht klar, dass eine Trainerlizenz nicht so etwas ist wie ein Führerschein für Sportlehrer. Den Führerschein muss man nämlich nur einmal machen, bei der Lizenz zum Fußballunterrichten sieht das anders aus. Die muss man, wie das Land in dieser Woche erfuhr, regelmäßig erneuern und sich dabei fortbilden. Wahrscheinlich ist das so, weil das Spiel sich ständig weiterentwickelt. Man stelle sich nur mal vor, Hertha schießt im Achtelfinale des Pokals bei Schalke in der Verlängerung ein Tor und Klinsmann rennt jubelnd in den Mittelkreis, weil er nicht mitbekommen hat, dass seit seinem Lehrgang das Golden Goal abgeschafft wurde. Das wäre ja total peinlich!
Gut also, dass eine ganz bestimmte Zeitung in diesem Land auf solche Dinge penibel achtet. Das exakte Alter und der korrekte Name eines Spielers ist dieser Publikation ebenso wichtig wie ordentlich abgestempelte und sauber eingeheftete Bescheinigungen über Erwachsenenbildung im Bereich des Ballsports. Das ist löblich und hat natürlich nichts damit zu tun, dass jene Zeitung Klinsmann seit mehr als dreißig Jahren auf dem Kieker hat und kaum eine Gelegenheit auslässt, Vermutungen zu äußern, Gerüchte zu zitieren oder gleich ganz ungeniert Kampagnen gegen ihn zu fahren.
Und deshalb war Klinsmann nun gezwungen, das nachzuweisen, was der DFB »Lerneinheiten« nennt. Es dauerte etwas, weil einige der Kurse in Ländern wie Brasilien oder Mexiko stattgefunden haben sollen, und dann sind Sätze wie »Jürgen hat mit Erfolg teilgenommen« natürlich auf Portugiesisch oder Spanisch formuliert und müssen erst übersetzt werden. Das ist nun geschehen – und endlich, endlich können wir wieder Fußball spielen. Es sei denn natürlich, die besagte Zeitung verlangt eine forensische Urkundenprüfung der vorgelegten Dokumente. Es wäre ihr zuzutrauen.