Zinedine Zidane hat alle großen Titel gewonnen. Sein wichtigstes Spiel machte er aber heute vor 25 Jahren: Am 19. März 1996 für Girondins Bordeaux.
Dieser Text erschien erstmals in unserem Spezial „Spiele unseres Lebens“. Die gesamte Ausgabe ist weiterhin hier im Shop erhältlich.
„Hier passiert heute etwas.“ Gerade hatte Julien Courbet seine Ausrüstung überprüft, dann war er in die Fankurve gegangen, um die Stimmung einzufangen. Die Fans von Girondins Bordeaux waren schon vor Stunden ins Lescure gekommen, wie das Rugbystadion im Herzen der Stadt genannt wird, und Courbet, der Stadionsprecher, wollte nah an den Zuschauern sein. Hier passiert heute etwas! Es klang überheblich, das zu behaupten.
Das Hinspiel dieses Uefa-Cup-Viertelfinals hatten die Franzosen gegen den AC Mailand 0:2 verloren. Gegen eine Supermannschaft mit Spielern wie Paolo Maldini, Patrick Vieira, Franco Baresi, Roberto Baggio, trainiert von Fabio Capello. Für das Rückspiel kehrte zu allem Überfluss George Weah, der beste Fußballspieler der Welt, zurück. Und wen hatte Bordeaux? Den 24-jährigen Zinédine Zidane. Ihn, den späteren Weltstar, kannten zu diesem Zeitpunkt nur wenige. Aber die, die sahen, wie er mit dem Ball umging, wussten schon Bescheid. Nerds, die nachts Ligue-1-Wiederholungen sahen, und seine Trainer. „Jeden Tag, bei jedem Training, hat er gezeigt, dass er es besser als die anderen konnte“, sagt Gernot Rohr, sein damaliger Coach in Bordeaux. „Ballberührung, Kontrolle und Disziplin.“ Zidane, Sohn eines algerischen Berbers, war im Marseiller Problemviertel La Castallane aufgewachsen. Harte Schule, Beton unter den Füßen. Auf den feinen Plätzen in Bordeaux führte er Gegenspieler vor, wenn er wollte.
Aber das alleine reichte nicht. Girondins Bordeaux war im Februar 1996 an einem Tiefpunkt der Vereinsgeschichte angelangt. In der Liga nur Tabellenvierzehnter, Abstiegskandidat, dann auch noch eine peinliche Niederlage im französischen Pokal gegen den Drittligisten SC Toulon. Als der deutsche Trainer Gernot Rohr, der zuvor Bordeauxs Jugendakademie geleitet hatte, die Mannschaft nach dem Pokal-Aus übernahm, fand er einen Haufen frustrierter und müder Spieler vor. Das Problem: Bordeaux war im wiedereingeführten Intertoto-Cup angetreten. Hatte sich ab dem 1. Juli 1995 über Norrköping, Dublin, Odense, Helsinki, Frankfurt, Heerenveen und gegen den Karlsruher SC für den Uefa-Cup qualifiziert. Die Rechnung zahlte die Mannschaft Woche für Woche in der französischen Liga. Zidane, unterstützt vom älteren niederländischen Genius Richard Witschge, schleppte sich mehr über den Platz, als dass er Regie führte. Wie sollte diese Truppe den AC Mailand besiegen?
„Wir schaffen das noch, Coach!“
Im Hinspiel wurden ihnen die Grenzen aufgezeigt. „Diese Mannschaft war unglaublich, die beste Mannschaft der Welt“, urteilte Bixente Lizarazu, zu diesem Zeitpunkt der 26-jährige Kapitän in Bordeaux. Im San Siro hatte Mailand, das drei Jahre in Folge im Champions-League-Finale stand und eines gewann, seinen Gästen die Luft abgeschnürt. Patrick Vieira, 19 Jahre alt, stand Zidane die gesamte Zeit auf den Füßen. Vorne wirbelten Baggio und Dejan Savicevic. 0:2, es hätte auch höher ausgehen können. Keine Chance. „Wir konnten nicht gleichzeitig in der Liga und im Uefa-Pokal abliefern. Aber wir waren besessen vom Europapokal“, erinnert sich Rohr. Ein Problem sei die Kadertiefe gewesen. Zidane, Lizarazu und Dugarry waren gute Spieler, Torwart Gaëtan Huard erwischte manchmal einen guten Tag. Aber sonst? „Sobald sich jemand verletzte, hatte ich ein Problem“, sagt Rohr. Und Bordeaux bräuchte drei Tore gegen AC Mailand, die seit elf Jahren keine drei Tore in einem internationalen Wettbewerb kassiert hatten. In diesem Moment versicherte Zidane seinem Trainer, an das Weiterkommen zu glauben. „Es klingt mir heute noch in den Ohren. Er sagte: ‚Wir schaffen das noch, Coach!‘“
Rohr verstand, und er organisierte eine Auszeit. Elf der 23 Spieler kannte der Deutsche aus der eigenen Akademie. Christophe Dugarry, zum Beispiel, der mit 16 Jahren zum Girondins-Nachwuchs geholt worden war, sah Rohr mehr als großen Bruder denn als Trainer. Zusammen fuhren sie hinaus ans Cap Ferret am Atlantik, umgeben von den größten Sanddünen Europas. Sie gingen an den Strand, liefen durch die Pinienwälder, erholten sich. Am Abend brachten Kellner Seezunge an den Tisch. Und für die Trainer gab es Austern. „Ich brach eine auf und sah, dass sich darin eine Perle befand. Das war mir nie zuvor passiert, ein kleines Wunder. Und ein Zeichen, das mich daran glauben ließ, dass wir das Unmögliche schaffen könnten“, sagt Rohr, der die Perle einsteckte. Ob er wusste, dass diese Mannschaft in zwei Monaten auseinanderbrechen würde wie die Schalenklappen einer Muschel, wenn ein Messer hindurchsticht? Zidane sollte zu Frankreichs Fußballer des Jahres gewählt werden, trotz dieser miesen Saison, er hatte die Nationalmannschaft zur EM geführt. Real Madrid, Inter Mailand, die besten Vereine Europas standen Schlange. Juve-Präsident Roberto Bettega würde ihm bald bei einem Mittagessen in Paris 450 000 Francs bieten – pro Monat. Bordeaux hielt dagegen, bot eine halbe Million Francs, und eine Villa für ihn und Dugarry am Atlantik. Austern, Strand, Heimat. Na, Zizou, wie klingt das? Aber erst einmal: Mailand.