Katastrophale Wohnverhältnisse, Vertragsbrüche und falsche Versprechungen: Gegen die Bedingungen in Nachwuchsleistungszentren werden schwere Vorwürfe erhoben. Im Zentrum der Kritik: Union Berlin.
Auch ein Betreuer des Bundesligisten, der ebenfalls unerkannt bleibt, nennt die Verhältnisse „nicht altersgerecht“. Die Unterbringung wäre vorübergehend angedacht gewesen. Dass die Kinder letztlich mehrere Jahre dort verbrachten, habe ihn selbst überrascht.
Von offizieller Vereinsseite indes heißt es: „Die alters- und sportgerechte Versorgung der Spieler durch den Verein war zu jeder Zeit sichergestellt.“ Die Kinder seien nie allein gewesen. Und ohnehin, wer lasse seine Kinder so lange in vermeintlich schlimmen Verhältnissen hausen!?
Das Vertrauen zum Verein und den Verantwortlichen der Jugendabteilung sei allerdings schon seit geraumer Zeit belastet gewesen, berichten die Eltern. Im Sommer 2020 hatte der Fahrer eines Kleinbusses, in dem die jungen Spieler saßen, die Kontrolle über den Wagen verloren und war in eine Leitplanke gefahren. Niemand wurde verletzt. Informiert wurden die Eltern über den Zwischenfall trotzdem erst am Folgetag per WhatsApp-Nachricht. Union erklärte hierauf angesprochen, der Schaden sei erst tagsdrauf ersichtlich gewesen. Vorher schien der Klub eine Information nicht für nötig gehalten zu haben.
Auch der Vorwurf vertraglicher Brüche steht im Raum. Einer der Jungs aus dem ARD-Beitrag erhielt demnach einen Prämienvertrag, der ihm über drei Jahre 3000 Euro versicherte, die auf ein Sparkonto überwiesen werden sollten. Sein Vater hätte diesen Vertrag unterzeichnet, erzählt dieser. Das Geld sei jedoch nie angekommen. Der Grund: Sein Sohn hätte nur Anspruch auf das Geld gehabt, wenn er am Ende einen Fördervertrag unterschrieben hätte. Eine gängig Praxis, wie der Verein verlauten lässt.
Die Bundesligaprofis von morgen werden in Nachwuchsleistungszentren ausgebildet. Durchs Netz geht den Talentschmieden niemand mehr. Oder etwa doch?
Die Geschichte der zwei Jungs nimmt beim 1. FC Union Berlin kein gutes Ende. Es gibt keinen Plot Twist. Keiner der beiden erhält einen solchen Fördervertrag. Stattdessen werden beide aus dem Verein geschmissen. Stagnierende Leistung seien der Grund dafür. Gespräche, die auf einen Rauswurf hätten hindeuten können, habe es nie gegeben, sagen Eltern und Kinder. Aus der Traum.
„Eine Ausmusterung ist für Kinder immer ein dramatischer Moment“, sagt Arne Güllich, Sportwissenschaftler an der TU Kaiserslautern. Er forscht zum Thema Talentförderung und Leistungszentren. „Über 50 Prozent der ausgemusterten Spieler haben psychische Belastungen, die klinisch relevant sind.“ Die eigene Identität ginge ein Stück weit verloren.
Laut des Experten sinkt sogar die Wahrscheinlichkeit, Fußballprofi zu werden, je früher ein Spieler in ein NLZ aufgenommen wird. Erst im Alter von 14 Jahren könne überhaupt beurteilt werden, ob ein Spieler für den Profifußball infrage kommt.
Interessieren sich große Vereine für junge Talente, nehmen die Minderjährigen früh schon eine schwere Last auf sich. Der Ertrag bleibt in überwältigendem Anteil auf der Strecke. Denn von 1000 Talenten in einem NLZ schafft es nur ein einziges Kind in die Bundesliga.