Mit Fußball verbindet man den lange verstorbenen Guerillakämpfer eher selten. Doch Ernesto „Che“ Guevara hatte durchaus einen Faible für das runde Leder. In einer kleinen argentinischen Stadt bringen sie nun beides zusammen: revolutionäres Denken und Sport.
Sein Konterfei ist Teil der globalen Popkultur. Und auch der Fußball macht da keine Ausnahme. Ob auf Bannern in den Fankurven oder als Tattoo auf den Körpern der Profis – Ernesto „Che“ Guevara ist knapp 46 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod in Bolivien immer noch en vogue. Selbst Diego Armando Maradona, glühender Anhänger des marxistischen Guerillakämpfers, trägt das Portrait seines Idols auf dem rechten Oberarm.
Mónica Nielsen freut das. Der Argentinierin reicht die auf Symbolik beschränkte Heldenverehrung allerdings nicht. Das Gedenken an den Mann, der von Kuba aus die linke Revolution in die Welt hinaus tragen wollte, sollte ihrer Ansicht nach lebendiger sein. Nielsen fordert: „Seine Ideen dürfen nicht länger in Büchern verstauben. Che muss laufen.“ Oder Fußball spielen.
Vor sieben Jahren setzte Nielsen ihren Plan in die Tat um. Die engagierte Frau, die als Archivarin in der Stadtverwaltung von Jesús María arbeitet, gründete den ersten und bis heute weltweit einzigen Fußballverein, der den Namen der argentinischen Ikone trägt: Club Social – Atlético y Deportivo Ernesto Che Guevara. „Che lebt in mir seit vielen Jahren. Das wollte ich weitergeben. Und warum nicht durch Fußball?“, erzählt Nielsen, wie alles begann.
Revolutionäres Vermächtnis in sportlichen Ehren
Jesús María. Ein kleines Örtchen mit rund 30.000 Einwohnern in der Provinz Cordoba. Nur 100 Kilometer nördlich hat der kleine „Che“ in Alta Gracia seine Kindheit verbracht.
Für Che Guevara war der Ort jedoch nur eine Durchgangsstation. Die Legende besagt, dass er hier als 23 Jahre alter Medizinstudent auf dem Rücken seines Motorrads „La Poderosa“ in Begleitung seines Kumpels Alberto Granado vorbeikam, als beide 1952 zu ihrer Reise durch Südamerika aufbrachen.
In Alta Gracia steht heute ein Museum. In Jesús María dagegen wird Che Guevaras revolutionäres Vermächtnis in sportlichen Ehren gehalten.
Der Staatsbankrott 2001 hat die Menschen in Jesús María hart getroffen. Wie überall in Argentinien. Viele haben damals alles verloren. Bis heute kämpfen die Bewohner, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Der Soja-Boom hat für etwas Aufschwung gesorgt. Doch besonders der Jugend fehlt in der Provinz nach wie vor eine Perspektive. Oft sind Drogen und Alkohol verlockender als der mühsame Schulalltag.
Es sei nicht einfach, in diesem Umfeld aufzuwachsen, sagt Nielsen. „Die Kinder sind wie Schwämme. Sie saugen alles auf. Das Gute und das Böse. Wir möchten ihnen etwas Positives mit auf ihren Weg geben“, so Nielsen. Zum Beispiel die Lehren des Che Guevara.
Der Revolutionär sei heute aktueller denn je, ist sich Nielsen sicher. „Wir müssen auf ihn aufmerksam machen, damit die Jugend von ihm lernen kann.“ Fußball in Verbindung mit Gemeinschaft und Solidarität, so lautet das Motto von Nielsen und ihren Mitstreitern.
Das Atemgerät stets griffbereit
Die Jungs lernen mehr als nur Dribbeln und Tore zu erzielen. Sie sollen sich von Ärger fernhalten. Das Ziel ist es, sie durch Fußball in der Gesellschaft zu integrieren und aus ihnen verantwortungsvolle Erwachsene machen.
Che Guevara selbst war ein begeisterter Fußballfan. Zwar wuchs er als Spross einer bürgerlichen Familie eher mit Rugby auf. Doch auch dem runden Leder jagte der seit frühester Kindheit unter starkem Asthma leidende Che Guevara begeistert hinterher. Meist hütete er jedoch das Tor, das Atemgerät stets griffbereit neben den Pfosten.
Bei einem Turnier in der kolumbianischen Stadt Leticia während seiner Motorradtour durch Lateinamerika rettete er seiner Elf mit einem gehaltenen Elfmeter einst den Sieg. Hinterher notierte er stolz in sein Tagebuch: „Ich habe einen Strafstoß pariert, der in die Geschichte eingehen wird.“
Als Anhänger drückte er Rosario Central, dem Klub aus seiner Geburtsstadt, die Daumen. Der gesellschaftspolitischen Kraft des Fußballs war es sich bewusst: „Es ist nicht nur ein einfaches Spiel, sondern eine Waffe der Revolution.“
Einen eigenen Platz hat der „Che-Guevara“-Klub nicht. Ein anderer Verein aus dem Ort hat sein Gelände zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung packen alle Mitglieder mit an. Der Stürmer wird zum Greenkeeper. Andere ziehen die Kreidemarken des Spielfelds nach oder bessern die marode Holztribüne aus.
Nicht der einzige Aspekt, in dem sich der Klub aus Jesús María von anderen unterscheidet. So lehnt Nielsen die Angebote von Unternehmen kategorisch ab, als Trikotsponsoren einzusteigen. Das rote Leibchen soll auch künftig nur das Portrait des „Comandante“ zieren. „Wir widerstehen der Versuchung, auch wenn die Einnahmen gerade mal für die Spielkleidung reicht, nicht aber für Schuhe“, sagt Nielsen. Das knappe Geld stammt aus Würstchenverkäufen bei den Heimauftritten, Erlösen von Fanartikeln wie T‑Shirts und Schlüsselanhängern – oder aus eigener Tasche der Klubgründer.
Jeder ist willkommen, egal aus welchem Milieu
Sollte irgendwann einmal ein Kicker aus Jesús María das Interesse finanzstarker Klubs auf sich ziehen, so würde Nielsen nicht auf eine Ablösesumme pochen. Leere Kassen hin oder her. Nielsen betont, dass die Spieler „Personen und keine Waren“ seien.
Die Anziehungskraft des Che ist groß. Seit seiner Gründung erhält der Klub regen Zulauf. Mittelweile tummeln sich über 100 Aktive in sechs Alterskategorien. Die erste Elf spielt in einer regionalen Liga, der „Liga Regional Colón, Cordoba“. Jeder ist willkommen, egal aus welchem Milieu er stammt. Einen Mitgliedsbeitrag müssen die Kicker nicht entrichten. „Für uns ist Sport etwas, auf das jeder ein Anrecht hat – genau wie Bildung“, so Nielsen.
Alle, so Nielsen, eint ein generelles Interesse an den Ideen des Che. Im Klub fühle man sich dem Namen „Ernesto Guevara“ verpflichtet, den der französische Philosoph Jean-Paul Sartre einst als „vollständigsten Menschen seiner Zeit“ adelte. Nielsen sagt: „Er starb für seine Ideale. Seine Worte standen im Einklang zu seinem Handeln.“ Heute sei es schwer, Menschen mit diesen Charakterzügen zu finden.
Es geht um mehr als Punkte
In einem werden die kickenden Che-Verehrer ihrem Vorbild jedoch nicht gerecht. „Hasta la victoria, siempre“ („Immer bis zum Sieg!“) lautete einer seiner markantesten Leitsprüche. Auf den grünen Rasen übertragen gilt das nur bedingt. Die Teams des „Che Guevara“-Klubs sind meist in der unteren Tabellenhälfte zu finden. Aber bei diesem besonderen Verein geht es ja auch um mehr als drei Punkte. Die wirklichen Triumphe werden außerhalb der weißen Kreidelinien errungen. Im richtigen Leben.