Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Seite 3: „Ich hatte mit Herrn Hrubesch immer ein super Verhältnis"

Woran liegt es, dass die Halb­wert­zeit von Aus­nah­me­spie­lern wie Ronald­inho oft nur kurz kurz ist?
Ich ver­stehe ihn zu ein­hun­dert Pro­zent. Er hat drei Jahre auf dem höchsten Niveau gespielt – und alles gewonnen. Was hat ein Mensch da noch für Ziele?

Aber das Leben geht doch weiter. Wün­schen Sie sich nicht, in fünf oder sogar zehn Jahren noch auf diesem Niveau zu spielen?
Natür­lich, aber Bra­si­lianer stammen aus einem anderen Kul­tur­kreis, bei denen gehört es ein­fach dazu, am Abend auch mal los­zu­ziehen. Ein cle­verer Trainer rät einem Ronald­inho sogar, einmal die Woche feiern zu gehen. Denn er weiß, dass Ronald­inho diese Frei­heit auf dem Platz zehnmal zurück bezahlt. Natür­lich sollte es nicht so sein, dass er sturz­trunken in die Kabine tor­kelt, aber ein Ronald­inho, der sich wohl­fühlt, schießt ein Team fast im Allein­gang zum Gewinn der Cham­pions League. Und dazu kommt das Finan­zi­elle, denn auch da hat ein Spieler seiner Kate­gorie alles erreicht.

Hat ein Fuß­baller, der nur drei, vier Jahre Top-Niveau gespielt hat, wirk­lich für alle Zeiten aus­ge­sorgt?
Ronald­inho hat unglaub­lich viel Geld ver­dient. Er lebt in einer Fes­tung. Da muss jeder ver­stehen, dass er mit 27 Jahren sagt: Ich gehe es jetzt mal ein biss­chen lockerer an.

Sie hin­gegen haben in letzter Zeit stark an Ihrem Körper und ihrer Fit­ness gear­beitet.
In Mai­land habe ich am Anfang zwölf Kilo abge­nommen, zwei habe ich inzwi­schen wieder an Mus­keln zuge­legt.

Wieso waren Sie so viel schwerer?
In Eng­land was es anders. Andere Ernäh­rung, fett­rei­cheres Essen. Und ich habe dort auch nicht immer wie ein Profi gelebt, dann nimmt man zwangs­läufig zu. Dort lag ich zeit­weise über 90 Kilo.

Jürgen Klopp hat gesagt, das Fas­zi­nie­rende an Ihnen sei, dass Sie für eine Situa­tion im Spiel hun­dert Lösungs­ideen hätten. Ist diese Hand­lungs­schnel­lig­keit auf dem Feld im zivilen Leben manchmal von Nach­teil, weil Sie eine Ent­schei­dung nicht lang genug abwägen?
Es ist ein schnelles Leben und ein schneller Beruf. Fuß­ball ist ein Tagesjob – es geht schnell rauf und schnell wieder runter.

Den­noch, wel­chen fuß­bal­le­ri­schen Moment emp­finden Sie rück­bli­ckend als Schick­sals­schlag?
Schwer zu sagen. Natür­lich war die Ver­ban­nung aus der U21 ein sehr bit­terer Augen­blick. Ich sah mich in der Mann­schaft und wollte unbe­dingt mit zur U21-EM. Aber diese Tür schlug vor meiner Nase zu – und mir blieb nichts anderes übrig, als durch eine andere, die sich öff­nete, hin­durch zu gehen.

Sie meinen, dass Sie kurz darauf bekannt gaben, ab 2010 für Ghana zu spielen. Dabei war der Grund für Ihre Sus­pen­die­rung eine Lap­palie: Sie kehrten von einem Dis­co­be­such wäh­rend eines Trai­nings­la­gers zu spät zurück ins Team­quar­tier und Coach Horst Hru­besch warf Sie raus.
Naja, da fehlt noch etwas. Ich möchte dazu auch nichts mehr sagen. Alle, die dabei waren, wissen Bescheid. Ich habe meinen Kopf hin­ge­halten und war am Ende der Dumme.

In der Disco soll es zu einer Ran­gelei gekommen sein, in der Sie schlich­tend ein­schritten. Als Horst Hru­besch Sie fragte, wer dabei war, sollen Sie geschwiegen haben.
Ich hatte mit Herrn Hru­besch immer ein super Ver­hältnis. Warum es letzt­lich so gekommen ist, kann ich nicht sagen. Es war seine Ent­schei­dung.

Haben Sie noch einmal mit ihm dar­über gespro­chen?
Nein. Es ist natür­lich ein biss­chen schade, aber es ist wie es ist. Damals war ich sehr getroffen, es hat mein Leben ver­än­dert. Sie müssen sich das vor­stellen: Ich war Kapitän dieser Mann­schaft, ich war Stürmer, wir haben am Tag zuvor noch Lauf­wege trai­niert. Wir waren opti­mis­tisch, den EM-Titel zu gewinnen – und am nächsten Tag war ich nicht mehr mehr dabei. Doch wenn ich Herrn Hru­besch heute sehen würde, stände nichts zwi­schen uns. Ich würde ihn sogar zum Essen ein­laden.

Hätte es keinen Weg zurück gegeben?
Damals war ich über­zeugt, dass für mich der Zug abge­fahren sei. Viel­leicht lag ich falsch damit, womög­lich wäre mit Abstand nochmal ein Neu­an­fang mög­lich gewesen.

Dabei hätten Sie mit Ihren Fähig­keiten doch per­fekt in Löws Mann­schaft gepasst.
Das kann nie­mand sagen. Seit meiner Jugend hatte ich immer nur im Kopf, für Deutsch­land zu spielen. Dann kam es eben anders – und Ghana bot mir an, die WM als Bühne zu nutzen. Eine Chance, die ich nicht aus­lassen konnte. Dafür habe ich mich dann mit guten Leis­tungen bedankt. Es lohnt sich nicht mehr, weiter dar­über nach­zu­denken und sich unnötig Stress zu machen.

Aber Ihre Vita liest sich, als gehöre Stress immer ein biss­chen dazu.
Früher habe ich mir selbst viel Stress gemacht, das stimmt. Ich habe mir mit meinem Ver­halten und mit Sachen, die ich gesagt habe, immer wieder geschadet. Ich war es, der den Stress ver­ur­sacht hat. Es hat lange gedauert, bis ich das erkannt habe. Aber heute habe ich mein Ver­halten geän­dert – und des­halb sehen mich die Men­schen in Ita­lien auch anders.

Wie ist es dazu gekommen?
Ich habe 2010 den Berater gewech­selt und über die Gespräche mit ihm (Roger Witt­mann, d.Red.) habe ich ange­fangen, Zusam­men­hänge zu erkennen und Dinge anders zu sehen.

Was hat Roger Witt­mann Ihnen denn gesagt?
Nicht so außer­ge­wöhn­liche Sachen, wie Sie jetzt viel­leicht denken. Es ging darum, dass ich mich aufs Wesent­liche kon­zen­triere, meine Arbeit zuver­lässig mache, ans Limit gehe, hart auf mein Ziel hin­ar­beite.

Wir hätten erwartet, dass es für einen Profi selbst­ver­ständ­lich ist, ans Limit zu gehen.
Aber es exis­tiert jeden Tag ein neues Limit. Wel­cher 20‑, 21-Jäh­rige hat den Schlüssel zu einer Situa­tion, in der sich sein gesamtes Leben ver­än­dert? Plötz­lich ver­dient man viel Geld und viele Men­schen klopfen einem auf die Schulter. Man ist ständig mit der Mann­schaft zusammen und hört, wie die anderen Spieler leben. Es scheint, als sei das völlig normal. Es ist nicht ein­fach zu erkennen, dass es nur die sport­liche Leis­tung ist, die einen dorthin gebracht hat, und man dieses Niveau ständig aufs Neue errei­chen muss.

Sie kamen sich vor wie Alice im Wun­der­land?
Unge­fähr so. Ich war zwanzig, bekam einen Haufen Geld und die Leuten sagten: Mach mal!

Mike Tyson hat gesagt: Ich wusste: Ich war zwanzig, Schwer­ge­wichts­welt­meister und stein­reich. Aber sonst wusste ich gar nichts! Wer war ich? Keine Ahnung!“
Genauso ist es! Man ist gerade voll­jährig und reich – und hat keine Ahnung, wie man mit der Situa­tion zurecht kommen soll. Wissen Sie, ich hatte auch vorher Berater, die mir sagten, dass ich mich falsch ver­halte. Aber da war ich jünger, ich habe es nicht ver­standen. Man muss den Schmerz emp­finden, um ihn zu bekämpfen. Ein Berater oder ein Verein kann das nicht ständig pre­digen. Ich wollte immer mehr sein als ein Fuß­baller. Ich wollte als Per­sön­lich­keit wahr­ge­nommen und respek­tiert werden. Aber mir war nicht klar, wie ich das schaffe. Inzwi­schen habe ich den Glauben und das Ver­trauen in meine eigenen Stärken gefunden.