Werner zu Chelsea? Was soll man dazu sagen? Außer: Schade, dass es nicht um Mike Werner geht. Der wurde Anfang der Neunziger immerhin zur Style-Ikone von Hansa Rostock und des wiedervereinigten Deutschlands.
Mike Werner, auch Sie sind Teil des legendären Rostocker Meisterteams von 1991. Allerdings wurden Sie erst mit Verspätung Teil dieser Mannschaft.
Richtig. Im Februar 1991, mitten in der Winterpause, bekam ich eine Einladung nach Rostock: Hansa-Trainer Uwe Reinders wollte mich zum Probetraining sehen. Also fuhr ich hin. Mit dem Zug. Mein geliebtes Motorrad, eine MZ, hätte die Tour von Eberswalde nach Rostock im Winter wohl nicht überlebt.
Warum spielten Sie, als Jugend-Nationalspieler, überhaupt in der zweiten Liga (DDR-Liga) bei Motor Eberswalde?
Groß geworden bin ich bei Vorwärts Frankfurt, dem Armeesportklub. Aber ich war damals eher der wildere Typ, das passte den Offizieren gar nicht. Als ein Lehrer dann auch noch angeblich regimekritische Kritzeleien von mir sicherstellte, die ich aus Langeweile in der Schule auf ein Blatt Papier geschrieben hatte, war es den Frankfurter zu viel: Sie degradierten mich im Sommer 1990 in die zweite Liga zu Motor Eberswalde.
Was stand denn auf dem Zettel?
„Die Mauer muss weg“ und „Udo Lindenberg“. Die Offiziere waren geschockt.
Stimmt es, dass Ihr „Wechsel“ nach Eberswalde schließlich für die berühmteste Fußballerfrisur der frühen neunziger Jahre verantwortlich war?
Das stimmt. Ich wollte schon bei Vorwärts immer meine Haare wachsen lassen. Wie gesagt, ich war ein wilder Kerl, stand auf Motorräder und Lederjacken, da brauchte es auch eine ordentliche Mähne. Aber die Offiziere in der Klubführung von Vorwärts sagten: „Wer lange Haare hat, spielt auch nicht!“ Also ließ ich mir regelmäßig die Haare raspelkurz rasieren. In Eberswalde ließ ich sie dann einfach wachsen. Als ich im Winter 1991 in Rostock auftauchte, hatte ich bereits einen mächtigen Vokuhila. Das war meine ganz eigene Form des Protestes gegen den gleichförmigen DDR-Staat.
Den Sie schließlich mit einem Meckischnitt und blonden Strähnchen krönten…
Sah doch super aus! Meiner Frau gefiel es, mir auch, also alles prima.
Wie reagierte Hansa-Trainer Uwe Reinders, als er sie das erste Mal sah?
Das war ihm völlig egal. Er hatte ja damals selber ordentlich Wildwuchs auf dem Kopf und im Gesicht. Erst später, in unserem ersten Bundesliga-Jahr, als die Harmonie aus dem Meisterjahr verschwunden war, zog er mich dann wegen meiner Haare auf. Aber das war mir egal. Erst nachdem ich mich von meiner ersten Frau trennte, mussten auch die Haare ab. Seitdem trage ich es gerne kurz.
Können Sie sich an das besagte Probetraining erinnern?
Sehr gut sogar. Die ganze Mannschaft war im Urlaub, damals dauerte die Winterpause vier Monate. Ich war also ziemlich allein auf dem Platz, nur Uwe Reinders und „Fluppi“ Decker, sein Co-Trainer und ein paar andere waren noch dabei.
Wie haben Sie Reinders schließlich von Ihren Fähigkeiten überzeugen können?
Indem ich ihn bei einem Zweikampf ordentlich auf die Aschebahn grätschte.
Wie bitte?
Der Ball lag zwischen uns, ich wollte ihn haben, er wollte ihn haben, ich war schneller und traf den Ball und Uwe Reinders. Als er sich wieder aufgerappelt hatte, raunzte er „Fluppi“ Decker an: „Was hast mir denn da für einen Irren angeschleppt?“ Aber eigentlich war er sehr angetan von meiner Kaltschnäuzigkeit. Er wollte schließlich einen brettharten Verteidiger und – bitte sehr – da hatte er ihn.
Er legte Ihnen also gleich den Vertrag auf den Tisch?
So schnell ging das nun auch wieder nicht. Außerdem hatte er noch eine Bedingung für meinen Wechsel nach Rostock.
Der da war?
Ich wog zu diesem Zeitpunkt 90 Kilogramm. Er sagte: „Wenn du in sechs Wochen wieder hier bist, hast du gefälligst sieben Kilo runter.“
Und das haben Sie so schnell geschafft?
Ja. Ich hatte da meine ganze eigene Methode: Die Wodka-Diät.
„Wodka-Diät“?
Kennen Sie das nicht? Im Osten war das eine ganz normale Diät. Eine Woche lang isst man dreimal am Tag eine Bockwurst und trinkt dazu einen Wodka. Morgens, mittags, abends. Wenn man das eine Woche durchhält, purzeln die Pfunde von ganz alleine. Als die Rückrunde losging, wog ich 80 Kilo, mein ideales Kampfgewicht.
Der zweite Teil der Rostocker Meistersaison konnte also beginnen.
Genau. Allerdings hatte ich so meine Startschwierigkeiten. Nicht auf dem Platz, da war ich von Beginn an als Manndecker gesetzt. Aber außerhalb des Platzes trat ich in den ersten Wochen in jedes Fettnäpfchen, dass mir vor die Füße geschoben wurde.
Zum Beispiel?
Kurz nachdem ich in Rostock begonnen hatte, waren wir zu einem Hallenturnier nach Bremen eingeladen. Zwischen zwei Spielen stand ich an der Theke und wollte mir grade ein Wasser bestellen, als mich ein Typ ansprach. Wir unterhielten uns über dieses und jenes und schließlich sagte er: „Komm, ich gib dir ein Bier aus.“ Das wollte ich nicht, schließlich hatte ich gerade erst abgenommen und Bier schwemmte mich immer auf. Er redete weiter auf mich ein, wollte mir unbedingt einen Drink spendieren. Also sagte ich schließlich: „Ok, dann nehme ich einen Wodka.“
Und was passierte dann?
Am nächsten Tag stand dick und fett in der „Bild“-Zeitung: „Hansa-Spieler trinken Wodka beim Hallenturnier!“ Der Typ, der mich angesprochen hatte, war ein Reporter von der „Bild“. Was ich naiver Fußballer natürlich nicht bemerkt hatte. Zum nächsten Training brachte Reinders die Zeitung mit in die Kabine und fragte: „Wer war das? Raus mit der Sprache?“ Ich fiel aus allen Wolken und sah meinen neuen Job schon wieder den Bach runtergehen. Nach dem Training schlich ich zu Reinders und gestand ihm die Posse.
Wie reagierte Reinders?
Ziemlich cool. Er sagte: „Weil du neu bist, lasse ich dir das noch einmal durchgehen.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Gab es ähnliche Zwischenfälle?
Leider ja. Ich wohnte in den ersten Wochen etwas außerhalb von Rostock in einem Hotel. Trainingsbeginn war immer um 10, normalerweise kein Problem für mich, ich wurde rechtzeitig von alleine wach. Aber an einen Abend hatte ich noch etwas tiefer ins Glas geschaut. Als ich nachts in mein Hotel kam, bat ich die Rezeption, mich um acht Uhr zu wecken. Am nächsten Morgen wurde ich allerdings erst um neun wach, die Dame an der Rezeption schwor Stein und Bein, dass sie versucht hatte, mich anzurufen. Wie auch immer, ich tauchte mit einer halben Stunde Verspätung beim Training auf. Uwe Reinders war stinksauer. Beim nächsten Spiel gegen Halle saß ich nur auf der Bank. Die „Bild“-Zeitung machte natürlich groß ein Fass auf. Am nächsten Tag schenkten mir die Journalisten einen riesigen Wecker. Toller Scherz.
Trotzdem dürfte die Rückrunde mit Hansa Rostock das erfolgreichste Halbjahr Ihrer Karriere sein…
Sicherlich. Bis auf die Partie gegen Halle spielte ich in jedem Spiel, wir wurden Meister und Pokalsieger. Das war sensationell! Und noch heute bin ich eng mit Hansa verbunden.
Und Uwe Reinders?
In der Bundesligasaison ging vieles in die Brüche, was zuvor so entscheidend für unseren Erfolg war. Auch unser Verhältnis war bald sehr stark angeknackst, er ließ mich auf der Bank sitzen und vertraute auf die Neuzugänge. Sehr schade. Dafür bleiben wunderbare Erinnerungen aus der Meistersaison.
Welche?
Auf langen Auswärtsfahrten schauten wir meistens Videos, sehr häufig Mr. Bean. Reinders hat sich jedes Mal kaputtgelacht. Und einmal schleppte er die gesamte Mannschaft nach Hamburg ins Musical. Sie zeigten „Cats“ und ich war schwer begeistert. Allerdings nur eine halbe Stunde lang, dann wurde ich langsam ungeduldig. Die ganze Story wurde wieder und wieder durchgekaut, am Ende saßen wir vier Stunden auf unseren Plätzen, die ganze Mannschaft im Trainingsanzug! Ein wunderbares Bild. Ich war froh, als es endlich vorbei war.
Wie haben Sie sich eigentlich für das Double aus Meisterschaft und Pokal belohnt?
Ich kaufte mir eine Harley Davidson und erfüllte mir endlich meinen Traum. Lange Haare, Lederjacke, Harley Davidson – herrlich!