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Buch­stäb­lich mit dem Latein am Ende waren Michael Preetz und Bruno Lab­badia, als sie ges­tern in der Kabine auf­ein­an­der­trafen. 1:4 hatte Hertha BSC zuhause gegen den SV Werder ver­loren, nur drei Tage nach der 0:3‑Heimschlappe gegen die TSG Hof­fen­heim. Das vierte sieg­lose Spiel in Folge. Was für eine Schmach! Dabei hatten die Ber­liner die eng­li­schen Januar-Wochen doch für eine kol­lek­tive Auf­bruchs­stim­mung nutzen wollen. Nun aber war Hertha nur noch zwei Pünkt­chen vom Rele­ga­ti­ons­rang ent­fernt – und die ohnehin schon bedrü­ckende Laune im Ber­liner Westend mün­dete end­gültig in Agonie.

Preetz und Lab­badia fiel auf die Schnelle nichts mehr ein, womit sie sich noch Mut zuspre­chen konnten. Beim Inter­view im aktu­ellen sport-studio“ konnte sich der Manager kurz darauf kaum noch erin­nern, wer von beiden als erstes davon gespro­chen hatte, dass sie keine Argu­mente“ mehr hätten, die für Hoff­nung noch Anlass gaben. Unfrei­willig nahm Preetz mit seiner offen­kun­digen Rat­lo­sig­keit vor der Kamera vorweg, was am Sonn­tag­vor­mittag harte Rea­lität wurde: die sport­li­chen Geschicke bei Hertha BSC werden zukünftig andere lenken.

Der neue Hertha-CEO Carsten Schmidt unter­rich­tete ihn und Lab­badia am Vor­mittag über ihre Beur­lau­bung. Der Trainer ist mit derlei Situa­tionen schon ver­traut, er hat in seinen 18 Jahren als Coach bereits drei Demis­sionen über sich ergehen lassen müssen. Für den Manager wiegt die Ent­las­sung ungleich schwerer: Preetz hat 25 Jahre für Hertha BSC gear­beitet, ist Rekord­tor­schütze des Ver­eins und seit elf Jahren in der sport­li­chen Ver­ant­wor­tung. Wenn es in der jün­geren His­torie des Klubs einen mit sowas wie Legen­den­status gibt, ist er es. Hertha ver­liert also nicht nur einen Manager, der die poli­ti­schen Strö­mungen in und um den Klub bes­tens kennt, son­dern eine Sym­bol­figur. Aller­dings hatte Preetz’ Funk­tion als Leucht­turm der Hertha über die Jahre im Mit­telmaß der Liga zuneh­mend Schrammen bekommen. Die Demons­tra­tion der Fans, die am Samstag vor Anpfiff am Olym­pia­sta­dion seine Ent­las­sung for­derten, war nicht die erste in seiner langen Amts­zeit als Sport­chef.

Hertha BSC prä­sen­tierte sich nie nach­haltig als homo­genes Team

Preetz und Lab­badia eint, dass sie als Aktive zwei Männer mit ein­ge­bautem Tor­rie­cher waren, deren größte Qua­lität nicht ihr Talent, son­dern ihr aus­ge­prägter Wille war. Man will sich gar nicht vor­stellen, wie frus­trie­rend die viel zu braven Auf­tritte der teuer erkauften Mann­schaft in den ver­gan­genen Wochen auch für sie gewesen sein müssen. Den­noch liegt es allein in ihrer Ver­ant­wor­tung, dass sich Hertha trotz diverser Star­ein­käufe im ver­gan­genen Jahr wie Dodi Luke­bakio, Jhon Cor­doba, Matheus Cunha oder Krzy­sztof Piątek nie nach­haltig als ein homo­genes Team auf dem Platz prä­sen­tieren konnte.

Als Michael Preetz im Jahr 2010 die Amts­ge­schäfte von Dieter Hoeneß über­nahm, war der Klub fast pleite. Der Manager über­stand zwei Abstiege, weil Hertha unter seiner Füh­rung in der 2. Liga stets wie ein Erst­li­gist auf­trat, sich rei­bungslos mit der neuen Situa­tion arran­gierte und so den Wie­der­auf­stieg schaffte. Preetz hatte das erklärte Ziel, den Verein lang­fristig zu ent­wi­ckeln, auch was die Struk­turen und das Image anbe­trifft. Und in Prä­si­dent Werner Gegen­bauer besaß er einen Für­spre­cher und väter­li­chen Freund, der auch wie­der­keh­rende Stör­feuer gegen den Manager, sei es aus Fan­kreisen oder aus dem Auf­sichtsrat, mit seiner Ber­liner Schnauze lässig weg­mo­de­rierte. In all den Jahren machten die han­delnden Per­sonen aber nie einen Hehl daraus, dass Hertha sich ihres Erach­tens nur im oberen Tabel­len­drittel der Bun­des­liga eta­blieren könne, wenn der Klub Geld­mittel über externe Inves­toren erschließt.

Als Lars Wind­horst im Juni 2019 mit seinem Inves­to­ren­team ein­stieg, schien die Zeit reif, end­lich diese nächste Ent­wick­lungs­stufe zu erklimmen – oder sogar zwei, drei Stufen auf einmal zu nehmen.

Die Wind­horst-Mil­lionen wurden zur Bürde

274 Mil­lionen Euro pumpt der neue Geld­geber in die Hertha, 110 Mil­lionen Euro davon sollen bereits in die Mann­schaft geflossen sein. Doch derart enorme Summen sind auch eine Bürde. Denn das erkaufte Spit­zen­per­sonal sollte sich selbst­re­dend auch in ver­bes­serten Ergeb­nissen wider­spie­geln. Preetz’ Idee, seinen alten Team­kol­legen Pal Dardai durch den Nach­wuchs­coach Ante Covic zu ersetzen – eine Idee, die bei einigen Bun­des­li­gisten funk­tio­niert hatte – ging in Berlin daneben. Anschlie­ßend tole­rierte er die kami­ka­ze­ar­tige Ein­set­zung von Jürgen Klins­mann als Chef­trainer, was sich in Rekord­zeit als Fiasko ent­puppte. Als er im April 2020 Bruno Lab­badia auf den Trai­ner­posten bug­sierte, ging es wohl auch darum, den Klub nach tur­bu­lenten Monaten zu befrieden und den Puls des hyper­ven­ti­lie­renden Medi­en­um­felds her­un­ter­zu­fahren. Was dabei ein wenig aus dem Fokus geriet: Auch die Mann­schaft befand sich in einem Ungleich­ge­wicht. Viele Neu­ver­pflich­tungen agierten eher wie Ich-AGs. Ver­diente Alt­stars fühlten sich durch Ver­än­de­rungen im Gehalts­ge­füge hin­gegen zurück­ge­setzt – und offen­barten eben­falls Moti­va­tions- und Form­schwä­chen. Eine klare Hier­ar­chie im Kader ließ sich auch für Men­schen, die jeden Tag am Trai­nings­platz wachten, nicht so recht erkennen.

Die Folge: Schon seit Herbst 2020 konnte Hertha BSC mit den hohen Erwar­tungen, die durch das hor­rende Inves­to­ren­geld in den Klub inter­pre­tiert werden, nicht recht erfüllen. Nach dem Jah­res­wechsel und dem Auf­takt­sieg gegen Schalke geriet die Mann­schaft in eine Abwärts­spi­rale, die sich in der ver­gan­genen Woche auf beinah erschre­ckende Weise beschleu­nigte. Hertha-Boss Carsten Schmidt erklärte die Beur­lau­bung der sport­li­chen Füh­rung bei Sky90“ wie folgt: Die Spiele gegen Hof­fen­heim und Bremen sind nicht zu erklären!“

Dass ein neuer sport­li­cher Impuls her muss, ist unbe­streitbar. Am Ende wirkten auch Lab­badia und Preetz so, als hätten sie ein­ge­sehen, dass sie den Credit ver­spielt hätten. Der Kader, der für die Qua­li­fi­ka­tion zum inter­na­tio­nalen Geschäft zusam­men­ge­stellt wurde, befindet sich ab sofort off­ziell im Abstiegs­kampf. In den nächsten fünf Wochen spielt die Ber­liner aus­schließ­lich gegen Teams, die vor ihnen in der Tabelle stehen, dar­unter der FC Bayern, Leipzig, Dort­mund und Lever­kusen. Wenn nicht rasant der Tur­n­around gelingt, kann die Saison für den jungen Kader (Durch­schnitts­alter: 25,3 Jahre), gespickt mit zehn erfolgs­ver­wöhnten Natio­nal­spie­lern, in einer Kata­strophe enden.

Dabei ist die sport­liche Misere bei­leibe nicht das ein­zige Pro­blem. Auch das krude Mar­ke­ting, mit dem die alte Dame sich seit geraumer Zeit als hipper Groß­stadt­klub neu erfinden möchte, wirkt in der Gesamt­ge­menge­lange zuneh­mend bizarr. Hertha BSC, das war immer auch ein Hauch von Plumpe, Holst am Zoo“, Pils in den Gar­di­nen­kneipen und Her­um­prollen in der Ost­kurve. Doch die schnei­digen Werber, die seit einigen Jahren auf der Geschäfts­stelle stetig die Vision vom Big City Club“ ver­fei­nern, haben bei ihren Prä­sen­ta­tionen ver­gessen, dass solch ein Glitzer-Image sich nur gut ver­kauft, wenn man sich im sport­li­chen Erfolg sonnt. Hinkt Hertha den Erwar­tungen hin­terher, kann der Verein letzt­lich nur auf seinen treuen Anhang zählen. Der wie­derum fühlt sich in großen Teilen durch die Image­kor­rektur nach Holz­ham­merart ver­prellt. Und auch Corona trägt nicht gerade dazu bei, dass die Bin­dung des Klubs zur Fan­basis enger wird (auch wenn Preetz und die anderen Geschäfts­führer zumin­dest in den ver­gan­genen Monaten den Ein­druck ver­mit­telten, die bunte und enga­gierte Fan­szene wieder stärker wert­zu­schätzen, so lief die Mann­schaft im Derby zum Bei­spiel mit Wer­bung für die Aktion Her­th­akneipe“ auf der Brust auf, eine Aktion, die vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre). 

Aus­ge­rechnet jetzt geht der Lokal­ri­vale aus Köpe­nick steil

Und als wäre nicht alles schon schwierig genug, geht aus­ge­rechnet jetzt der Lokal­ri­vale aus Köpe­nick steil. Es liest sich fast wie eine Ironie des Schick­sals, dass einer der wenigen Licht­blicke der ver­gan­genen Monaten der 3:1‑Heimsieg gegen den 1. FC Union war. Doch nachdem die Eisernen“ über Jahre wie das kleine gal­li­sche Dorf den über­mäch­tigen Kon­tra­henten aus dem Westen der Stadt ärgerten, sind sie nun auf bestem Weg dem West­klub neben den Sym­pa­thien auch die sport­liche Wahr­neh­mung streitig zu machen. Union hat mit elf Punkten Vor­sprung vor den Blau­weißen den Klas­sen­er­halt schon bei­nahe in der Tasche. Und der Traum aller Her­thaner – nicht zuletzt auch ein Ziel, das Michael Preetz stets eng mit seiner Tätig­keit ver­knüpft hat – der Fuß­ball­verein zu werden, auf den ganz Berlin stolz ist, ist in uner­reich­bare Ferne gerückt.

Nach dem sport­li­chen Neu­an­fang, den Carsten Schmidt mit seinen Ent­schei­dungen ein­ge­leitet hat, muss der CEO auch eine Image-Reform und eine Neu­aus­rich­tung der Mar­ke­ting­stra­tegie anstoßen. Ein Mam­mut­auf­gabe. Andern­falls droht Hertha BSC mit­tel­fristig jedoch nicht nur im Liga­kon­text als Graue Maus zu ver­küm­mern, son­dern auch in der Haupt­stadt nur noch als Nummer zwei gesehen zu werden. Quan­ten­sprünge bei der Lösung dieser Pro­bleme sind aber frü­hes­tens im Sommer zu erwarten. Aktuell kann es bei Hertha näm­lich nur um Scha­dens­be­gren­zung gehen. Arne Fried­rich, noch so ein ehe­ma­liger Leucht­turm-Profi in Diensten des Ver­eins, über­nimmt bis Sai­son­ende kom­mis­sa­risch die Mana­ger­funk­tion. Wer Lab­badia nach­folgt, war bis Sonn­tag­nach­mittag unklar – mög­li­cher­weise kommt Pal Dardai zurück.

Preetz schreibt: Zehn Jahre im Pro­fi­fuß­ball – und an der­selben Stelle – sind eine bemer­kens­werte Zeit“

Vor zehn Jahren beglei­teten wir von 11FREUNDE den Manager Michael Preetz durch die Zweit­li­ga­saison 2010/11 und erlebten hautnah mit, wie das Team von Coach Markus Babbel den Wie­der­auf­stieg schaffte. Nach dem ent­schei­denden Sieg beim MSV Duis­burg saßen wir nachts mit Preetz und Babbel in einer Ober­hau­sener Hotelbar und konnten buch­stäb­lich sehen, wie der enorme Druck nun langsam vom Manager abfiel. Eine glück­liche Saison, der wir in der Juni-Aus­gabe 2011 eine 20-sei­tige Repor­tage wid­meten.

Vor der aktu­ellen Saison fragten wir bei Michael Preetz erneut an, ob er sich vor­stellen könne, unter der ver­än­derten Vor­aus­set­zungen ein der­ar­tige Pro­jekt zu wie­der­holen. Preetz sagte uns ab, weil Hertha BSC sich in dieser Spiel­zeit von einem Kame­ra­team für eine Doku­men­ta­tion begleiten lässt, die im Sommer ins Fern­sehen kommen soll. Schon jetzt darf man gespannt sein, wie die Ereig­nisse der letzten Wochen und Tage dann in der Retro­spek­tive wirken.

In seiner freund­li­chen Absage an uns schrieb Michael Preetz: Zehn Jahre im Pro­fi­fuß­ball – und an der­selben Stelle – sind schon eine bemer­kens­werte Zeit.“ Er hat das Pri­vileg, so lange für seinen Verein zu wirken, offenbar nie als Selbst­ver­ständ­lich­keit ver­standen.