In unserer Serie „Meine Lieblingself“ präsentieren 11FREUNDE-Autoren die Mannschaft ihres Lebens. Heute: Alex Raack, der Lothar Matthäus alles verzeiht und eine besondere Beziehung zu Uwe Seeler besitzt.
Torwart: Tim Wiese
Bestimmt hat es in der Geschichte des Fußballs bessere Torhüter gegeben als Tim Wiese. Aber diese Top11 ist schließlich eine sehr subjektive Rangliste, also greife ich auf Spieler zurück, mit denen ich eine persönliche Geschichte verbinde. Tim Wiese nahm ich das erste Mal in Werders Meistersaison 2003/04 wahr. Wiese spielte da noch für den 1. FC Kaiserslautern. Beim Auswärtsspiel der Lauterer in Bremen saß ich ausnahmsweise auf der Haupttribüne, die Plätze hatte es als einmalige Dauerkartenprämie gegeben. Unglaublich, wie der Mann den Hass des Weserstadions auf sich zog wie ein Honigtopf die Bienen. Bei jeder noch so harmlosen Aktion hallte „Wiese, Du Arschloch“ durchs Rund, am Ende war der Hohn noch lauter, weil Ailton kurz vor Schluss einen Elfmeter zum entscheidenden 1:0 einschieben konnte und Wiese Gift und Galle spie. Eine Geschichte, die ich bis heute nach jedem dritten Pils erzähle: Wie Wiese in jenem Spiel eine Verletzungspause seines Mitspielers nutzte, um im Vollsprint zu seinen Betreuern zu hetzen. Nicht etwa, um Wasser zu trinken oder sich um den versehrten Kollegen zu kümmern. Sondern um sich im Spiegel des Medizinkoffers die Haare zu richten. Den Mann musste man einfach hassen.
Dann wechselte Wiese zu Werder. Und aus Hass wurde Liebe. Wenn Wiese mal wieder in sämtlichen Stadien des Landes mit einem Anus verglichen wurde, krakelten wir nur noch umso lauter „Wiese, Wiese, Wiese“. Der Mann war rein äußerlich noch immer ein aufgepumpter Proll mit rosa Trikot und Schmalzhaar – aber er war jetzt unser Proll. Und Wieses Spielweise passte wie Arsch auf Eimer zum SV Werder dieser Zeit: An manchen Tagen war er schier unglaublich gut, an anderen leistete er sich Fehler, die guten Stoff für Horrorfilme abgaben. Einmal hat er mich damit übrigens vor einer Dummheit gerettet. 2006 spielte Werder im Champions-League-Achtelfinale gegen Juventus Turin. Das Hinspiel hatte Bremen mit 3:2 gewonnen, im Rückspiel stand es zur Halbzeit 1:0 für uns. Ich hatte keine Karte für das Spiel in Turin bekommen und sah die Partie zusammen mit meinem besten Kumpel in der Glotze. Euphorisiert von der Pausenführung glückseelte ich: „Wenn Werder ins Viertelfinale kommt, lasse ich mir die Raute übers Herz tätowieren!“ In der 88. Minute rollte sich der bis dahin famose Tim Wiese nach einer abgefangenen Flanke so unnötig ab, wie es eben nur Tim Wiese hinbekam, verlor die Pille und Emerson staubte ab. Werder war draußen. Und ich bin bis heute Tattoo-frei. Danke, Tim.
Rechtsverteidiger: Billy Wright
Ich habe William Ambrose „Billy“ Wright nie spielen gesehen. Ich war zehn Jahre alt, als er starb. Aber für mich wird er immer einer der besten Abwehrspieler sein, die es jemals gegeben hat. Das hat vor allem mit der Biografie von Uwe Seeler zu tun, mit der ich mir einst als Grundschüler das Fundament für meine Liebe zum Fußball goss (siehe unten). Uns Uwe erzählt da, wie er gleich in seinem zweiten Länderspiel gegen England antreten musste und sich dabei als junges Wildpferd die Zähne am „eisenharten Außenläufer“ Billy Wright ausbiss. Wie Uwe den „kernigen Briten“ (Jahrgang 1942) damals beschrieb, gab es für mich keinen Zweifel, dass es unmöglich gewesen sein musste, einen direkten Zweikampf mit diesem ominösen Fußballer zu gewinnen. Deshalb gehört er in meine Lieblingself. Ruhe er in Frieden.
Libero: Franz Beckenbauer
Eigentlich total langweilig Franz Beckenbauer in diese Liste aufzunehmen. Aber als gelernter Libero führt kein Weg vorbei am Über-Libero der Fußball-Geschichte. Wobei ich leider nie annähernd diese kaiserhafte Eleganz erreichte wie der Franz. Auf und neben dem Platz. Während Beckenbauer mit durchgestreckten Rücken über den Rasen schwebte (hat eigentlich jemals einer seiner Stollen einen Abdruck hinterlassen?) und seine Mitspieler konsequent mit feinen Außenristpässen bediente, ackere ich bis heute über Kunstrasen, Asche und manchmal Gras wie eine Mischung aus Waschmaschine und Arbeitspferd mit Hüftschaden. Und während Beckenbauer selbst auf Weihnachtspartys gezeugte Kinder so galant erklärt, als handele es sich um einen beschwipsten Flirt („Der liebe Gott liebt alle seine Geschöpfe!“), gelingt es mir auch abseits des Platzes nicht immer, das Waschmaschinen-Image abzustreifen. Trotz dieser eklatanten Unterschiede: Der Kaiser und ich sind Brüder im Geiste. Liberos. Stets mit dem Spielfeld und 20 Fußballern im Blick. Ich meine ja, dass Fußball-Liberos dieses Libero-Denken auch in den Alltag übernehmen können. Die Sicht aufs Ganze. Die dann zur Not eben zur Stelle sind und die Dinge wieder zum Laufen bringen. Wenn mir das doch nur auch so gut gelingen würde wie dem Kaiser.
Linksverteidiger: Aldair
Schon komisch, dass diese Liste voll ist von Spielern, die der Autor wenig bis gar nicht aktiv spielen sah. Aber was Fußball betrifft, war ich schon immer ein Meister der nostalgischen Erklärung. Bestes Beispiel: Zum runden Geburtstag eines ehemaligen Schalke-Spielers schrieb ich ein Portrait, für das die Bezeichnung „Jubelstück“ noch untertrieben wäre. Die Leser mussten den Eindruck bekommen, dass es sich um den besten Menschen der Welt handele. Später erfuhr ich von einem seiner ehemaligen Mitspieler, dass besagter Spieler ein Riesenarschloch sei.
Ob Aldair ein Riesenarschloch ist, weiß ich nicht. Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen. Die wenigen Male, die ich ihn früher bei „Laola“ oder „Eurogoals“ sah, hinterließen jedenfalls einen bleibenden Eindruck. Wenn ich heute an Aldair denke, dann bin ich mir noch immer ziemlich sicher, dass der kantige Brasilianer auch fahrende Lastwagen abgrätschen konnte, ohne sich dabei auch nur einen blauen Fleck zu holen. Ich stelle mir vor, dass sich Generationen von Stürmern einst eingenässt haben, weil sie wussten, dass sie gleich gegen Aldair spielen mussten. Vielleicht hat sich das ja längst verschoben, aber das Verteidiger-Bild, mit dem ich aufwuchs, vermittelte den Eindruck, dass Abwehrspieler genau das zu tun haben: Zur Not Lastwagen abgrätschen und Stürmen Angst machen. Also orderte ich vor einer halben Ewigkeit ein AS-Rom-Trikot und bezahlte extra ein paar Mark mehr, um Aldairs Namen auf dem Rücken zu tragen. Das Trikot kam dann bald, allerdings ohne Namen. Lediglich ein zehn Zentimeter langer schwarzer Streifen ist auf der Rückseite übrig geblieben. Vielleicht hatte Aldair die Buchstaben im letzten Moment noch abgegrätscht.
Vorstopper: Uli Borowka
Am 10. Juni 1995 war ich das erste Mal im Weserstadion. Es war der 33. Spieltag, Werder spielte zu Hause gegen den KSC und gewann mit 2:1. Die Meisterschaft war zum Greifen nahe, aber das war mir damals gar nicht so bewusst. Selbstverständlich war ich fasziniert vom Erlebnis Stadion. Mein Vater, ein Mann, der weniger mit Fußball zu tun hat als Mario Basler mit Inline-Hockey, hatte Karten für die Haupttribüne besorgt. Vor dem Spiel wurden Andy Herzog und Otto Rehhagel verabschiedet. Otto wurde nach dem Schlusspfiff von einem kleinen bulligen Mann auf Schultern getragen. Der kleine bullige Mann heulte wie ein Schlosshund. Jahre später sah ich den Namen dieses Spielers wieder: Auf dem frisch erstandenen Trikot eines Werder-Kumpels, der sich seinen Lieblingsspieler feierlich vor dem Ostkurven-Saal aufs Leibchen hatte stampfen lassen. Es war erstaunlich: Es gab keinen Werder-Fan, der nicht begeistert, wenn nicht gar euphorisch von den Heldentaten des kleinen bulligen Mannes berichten konnte. Während ich auf unzähligen Auswärtsfahrten diesen Heldengeschichte lauschte, war der Held dabei, sein Leben zu zerstören. Aber das konnte ich damals nicht wissen. Dann, wieder viele Jahre später, traf ich den kleinen bulligen Mann zum Interview in Berlin. Aus diesem ersten Gespräch wuchs schließlich ein Buch. Ich konnte das kaum glauben: der Held von früher saß bei mir im Wohnzimmer und erzählte vom Dasein als Anti-Held. Vor kurzem stand ich schließlich mit ihm gemeinsam auf dem Platz. Wir spielten auf einem etwas heruntergekommenen Ascheplatz einer Jugendarrestanstalt. Im Finale gegen übermotivierte Insassen gewann ich einen Zweikampf und holzte den Ball blind nach vorne. Neben mir brüllte Uli Borowka: „Suuuuuper, Alex!“ Was soll jetzt eigentlich noch kommen?
Offensives Mittelfeld: Johan Micoud
In der 11FREUNDE-Redaktion hat jeder Kollege einen Fußballer bzw. ein Thema, das ihm so sehr am Herzen liegt, das es ständig Teil seiner Arbeit ist. Kollege A. etwa kann nicht aufhören, Charly Dörfel zu preisen. Wenn Charly Dörfel nicht gerade mal wieder zum Interview verhaftet wird, taucht Charly Dörfel im Interview mit einem anderen Fußballer auf oder wird geschickt in einer der Reportagen von A. untergebracht. Mein Charly Dörfel heißt Johan Micoud. Dem werde ich auf ewig dankbar sein und preisen, weil er mich aus dem tristen Dasein als Fan einer mittelmäßigen Grauen-Maus-Truppe befreite. Bevor Micoud zu Werder wechselte, glich der Gang ins Weserstadion dem regelmäßigen Kaffee-und-Kuchen-Besuch bei der unsympathischen Großtante, deren Couchgarnitur immer nach alt müffelte. Es half ja nichts, man ging da hin, schließlich war man irgendwie miteinander verbunden.
Micoud kam zu Werder wie der neue Mann in Großtantes Leben, der früher mal 40 Jahre lang als Kapitän die Weltmeere bereist hatte, zeitweilig König von Mesopotamien war, Muhammad Ali mal das Leben gerettet hatte und nun davon bei jedem Kaffee-und-Besuch erzählte. Micoud machte Werder spannend und aufregend, neu und faszinierend. Aus nerdigen Schulhof-Mitläufern wurde die coolste Gang des Jahrgangs. Die mit den hübschen Mädchen aus der Oberstufe und dem Partykeller mit Zapfanlage. Wobei: Johan Micoud gehört heute ein eigenes Weingut. Ich habe bestimmt schon so häufig versucht, mich mit Micoud inmitten seiner Rebstöcke zu verabreden, wie Kollege A. Charly Dörfel interviewt hat. Leider bislang erfolglos. Wäre einer so nett, und würde mir diese Zeilen bitte auf Französisch übersetzen?
Defensives Mittelfeld: Lothar Matthäus
Müsste ich ein Tor nennen, dass mich noch heute in Ekstase versetzt, dann wäre es jene Bude, die Lothar Matthäus bei der WM 1990 gegen Jugoslawien schoss. Nicht das 1:0 mit links (das ebenfalls fantastisch war). Sondern den knallharten Flachschuss nach einem Sprint über das halbe Spielfeld. Matthäus machte damals nicht einen Trick auf dem Weg zum Tor. Keinen Übersteiger. Keinen Hackentrick. Nichts. Er war einfach schneller und dynamischer und härter als seine Gegenspieler. Sein Schuss war von solcher Geschwindigkeit und Präzision, dass ich für die Beschreibung eines meiner liebsten Adjektive aus dem Giftschrank holen möchte: glashart. Co-Kommentator Otto Rehhagel rief damals verzückt: „Weltklasse! Weltklasse! Einmalig! Einmalig!“ Mit diesem Tor bin ich aufgewachsen. Genauso mit dem Bild des den Weltpokal in die Höhe hebenden Lothar Matthäus. Kein dümmliches Interview, keine peinliche Liebesgeschichte, keine unnötige Fernsehsendung wird mir jemals dieses erhabene Gefühl der Lotharschen Glorifizierung vermiesen können. Matthäus bleibt für mich der King.
Offensives Mittelfeld: Maradona
Ich muss sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, als ich irgendwo las, dass der SSC Neapel einst 24 Millionen DM für Diego Maradona bezahlt hatte. 24 Millionen Mark! Der sieben- oder achtjährige Alex Raack hätte schwören können, dass nie wieder so viel Geld für einen Fußballer bezahlt werden würde. Das hat sich bekanntlich geändert, jeder drittklassige Schotte wird heute für diese geradezu lächerliche Summe durch die Premier League transferiert. An meiner Faszination für Maradona hat das nichts geändert. Natürlich nicht. Lassen wir die Diskussionen, wer denn nun der beste Fußballer der Welt war. Für mich ist Diego einfach DER Fußballer der Fußball-Geschichte. Wenn in 1000 Jahren unsere Nachfahren auf einem langweiligen Spaceship-Ausflug auf dem Mars (vielleicht zur Großtante) über Fußball sprechen, dann werden sie von Diego Maradona sprechen. Nicht nur, weil er so ein unglaubliches Talent besaß. Sondern weil der Mann so eine faszinierende Gestalt war. Mit so viel Höhen und Tiefen, dass es für 30 Leben reicht. Mit ganzen LKW-Flotten voller Anekdoten. Und weil der Kerl mehr bewegt hat bei den Menschen, als nur die Hände zum klatschen. Vor vielen Jahren gerieten mal zwei argentinische Kriegsreporter in die Hände von Saddam-Hussein-treuen irakischen Soldaten und rechneten mit dem sicheren Tod. Dann blaffte einer der Iraker: „Wo kommt ihr her?“ und die Reporter antworteten: „Argentinien!“. „Argentinien?“, riefen die Iraker. „Maradona!“ Die Journalisten wurden laufen gelassen.
Jairzinho
Meinen Hang zur nostalgischen Verklärung habe ich ja bereits erläutert. Was möglicherweise auch damit zu hat, dass ich meine ersten Taschengeld-Pfennige sparte, um damit auf Flohmärkten abgegriffene Fußball-Almanache aus längst vergangenen Zeiten zu kaufen. Einer meiner besten Käufe ist bis heute ein Doppelband über die WM 1974, im Bücherregal gut erkennbar am schwarz-rot-goldenen Buchrücken. Brasilien spielte bei diesem Turnier bekanntlich nur eine Nebenrolle. Jairzinho hat es trotzdem geschafft, sich lediglich über Standbilder in mein Herz zu spielen. Sahen die deutschen Kicker 1974 aus wie der etwas zu sehr behaarte Gastwirt aus der Eckkneipe, war Jairzinho eine optische Erscheinung: Riesenafro gepaart mit dem sensationell schönem blauen brasilianischen Auswärtstrikot. So hätte ich gerne ausgesehen. Aber ich war zu jung, zu weiß, zu wenig Brasilianer und Fußballer. Jairzinho wurde mein erster Fußball-Popstar.
Ein paar Seiten weiter ist das Freistoßtor von Rivelinho gegen die DDR festgehalten. Jairzinho hatte sich damals in die Mauer der verdutzten Ostdeutschen gezwängt und just in dem Moment fallengelassen, als Rivelinho gegen den Ball trat. Durch die Lücke flog der Ball ins Tor. Für mich ist das noch immer der beste Freistoßtrick aller Zeiten. Ich habe anschließend natürlich versucht, Jairzinho nachzumachen. Doch ein Afro ist mir bis heute nicht gelungen. Und beim Versuch, den Freistoßtrick nachzuahmen, schoss mir ein Mitspieler einst den Ball volles Pfund in die Eier. Immerhin habe ich mir vor Jahren das sensationell schöne Brasilien-Trikot von der WM 1974 gekauft. Beim Schreiben dieser Zeilen habe ich versucht, es mal wieder anzuziehen. Ich passe nicht mehr rein.
Ailton
Endlich mal ein Spieler, den ich deshalb in diese Liste berufe, weil ich seine Kunst live habe erleben dürfen. In der Saison 2003/04 war Ailton der beste Stürmer der Welt. Mindestens. Er schoss 28 Tore und Werder damit zur Meisterschaft. Als Krönung hob er im entscheidenden Spiel gegen den FC Bayern den Ball mit der Innenseite über Oliver Kahn hinweg ins Tor, als sei das nicht der beste Torhüter der Welt (mindestens), sondern ein schlafender Zeugwart. Kleines dickes Ailton war in diesen Jahren einfach fantastisch. Super-Stürmer hatten eigentlich auszusehen wie 100-Meter-Sprinter, Ailton sah meistens aus wie Homer Simpson. Was ihn außerdem für meine ganz persönliche Lieblingself qualifiziert: Der Mann macht mich glücklich. Selbst als er vor einigen Jahren ins Dschungelcamp einzog und sich damit erneut der Lächerlichkeit preisgab, sah er zufrieden aus. Ailton war noch etwas dicker, saß auf einem Pferd und ritt durchs Nirgendwo der TV-Peinlichkeit. Gemeinsam mit einem Trupp Pappnasen, die man früher im Stadion der Gesellschaft zuliebe verhauen hätte. Er grinste trotzdem wie ein Honigkuchenpferd. Da wusste ich: Die Saison 2003/04 wird sich Ailton niemals nehmen lassen. Der Glückliche.
Uwe Seeler
Die Beziehung zwischen Uwe Seeler und mir ist sehr speziell. Jedenfalls für mich. Ich muss in der dritten Klasse gewesen sein, als der über die Dörfer tingelnde Bücherbus als kleine Imagekampagne Säcke voller Bücher in unserer Schule auskippen ließ und wir eingeladen wurden, uns eines auszuleihen. Das Buch mit dem haarlosen Mann in Seitfallzieher-Haltung sprang mir direkt ins Auge. Es war die 1965 erschienene Biografie von Uwe Seeler, zuletzt ausgeliehen im Herbst 1978. Ich befand mich in den beginnenden neunziger Jahren und nahm das Buch mit nach Hause. Nach drei Wochen fuhr meine Mutter zur Schule und bat inständig darum, dass ihr Sohn diese Biografie behalten könne. Bis dahin hatte ich sie nämlich zehnmal gelesen. Ich wusste alles über Uwes Leben bis zum Jahr 1965. Ich kannte die Namen seiner Frau, seiner Kinder, seiner Familie, seines ersten Chefs am Hamburger Hafen. Konnte die Hochzeitstorte exakt beschreiben. Wusste um die innige Freundschaft zu Klaus Stürmer und die beiderseitige Leidenschaft für Bockwürstchen.
Ein Fußballer, der knapp zehn Jahre vor meiner Geburt seine Karriere beendet hatte, wurde zu meinem großen Idol. Ich traf ihn das erste Mal bei einem Spiel seiner Traditionself in Meißendorf, einem Kaff bei Celle. Mein Vater und ich warteten eine Stunde im Regen, bis Uwe endlich aus der Kabine kam. Dann gab er mir ein Autogramm in sein/mein Buch. Das brachte ich Jahre später wieder mit, als ich ihn interviewen durfte. Uwe lächelte. Und ich war wieder in der dritten Klasse.