Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

255

Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #255. Das Heft gibt’s zur­zeit am Kiosk und hier im Shop.

Als kurz vor Weih­nachten eine erste Bilanz der Welt­meis­ter­schaft 2022 gezogen wurde, war vie­ler­orts zu lesen, dass Gast­geber und Welt­ver­band am Ende doch über ihre Kri­tiker obsiegt hätten. Ein hoch­klas­siges Finale vor san­ges­freu­digen Anhän­gern aus Frank­reich und Argen­ti­nien, die wun­der­bare Geschichte des end­lich voll­endeten Aus­nah­me­spie­lers Messi, eine WM der kurzen Wege und der aus­blei­benden Schlä­ge­reien, alles wun­der­bare Geschichten, für deren Ver­brei­tung nicht einmal PR-Agen­turen bemüht werden mussten, das über­nahmen Fern­seh­sender und Soziale Medien. 

Dass außerdem auch noch die ner­vigen Men­schen­rechtler aus Deutsch­land früh­zeitig raus­ge­flogen waren und der Emir die Pokal­aus­hän­di­gung clever nutzte, um Messi ein tra­di­tio­nelles Gewand über­zu­werfen, machte die Bilanz dieser WM für Katar und FIFA umso erfreu­li­cher. Von den Pro­testen gegen dieses Tur­nier, abge­halten in einem auto­ri­tären und homo­phoben Staat, das durch Bestechung dorthin gelangt und mit der Gesund­heit und dem Leben vieler Arbeits­mi­granten bezahlt wurde, schien wenig bis nichts übrig­ge­blieben zu sein.

Ein Pyr­rhus­sieg

Doch das Tri­umph­ge­heul all jener, die ent­weder bezahlt oder aus schierer Dumm­heit ein Lob­lied auf dieses Tur­nier gesungen hatten, ist vor­eilig. Katar 2022 war näm­lich bei aller Begeis­te­rung, die einige Spiele aus­lösten, ein Offen­ba­rungseid des Spit­zen­fuß­balls, der inzwi­schen alles, wirk­lich alles der Pro­fit­ma­xi­mie­rung unter­ge­ordnet hat und sich kei­nerlei Mühe mehr gibt, seine grenz­lose Gier wenigs­tens not­dürftig zu kaschieren. Die Pres­se­kon­fe­renz vor Beginn des Tur­niers, auf der FIFA-Prä­si­dent Gianni Infan­tino sich mit pathe­ti­scher Lei­dens­miene und uner­reichter Arsch­loch­haf­tig­keit all jenen Gruppen ver­bunden fühlte, denen er mit der WM 2022 enormes Leid zuge­fügt hat, zeigte die Skru­pel­lo­sig­keit, mit der der Welt­ver­band inzwi­schen agiert. Doch so wenig Infan­tino einen plötz­li­chen Macht­ver­lust inner­halb des Ver­bandes fürchten muss, so sehr wird sich sein Tri­umphzug durch Katar als Pyr­rhus­sieg erweisen. Denn auch wenn es die Funk­tio­näre, die sich in ihrer Par­al­lel­welt aus sünd­haft teuren Hotels und schwarzen Limou­sinen ver­schanzt haben, nicht wahr­haben wollen – die Zeiten, in der sich der Fuß­ball alles erlauben konnte, sind unwie­der­bring­lich vorbei.

Jeder Sport, der global rele­vant sein will, erzählt seine Geschichten nicht nur über sport­liche Dar­bie­tungen, son­dern auch und vor allem über seine Prot­ago­nisten und deren Authen­ti­zität. Sich mit den Stars iden­ti­fi­zieren zu können, ihre Siege zu den eigenen machen zu können und über ihre Nie­der­lagen zu trauern, ganz so, als hätte man selbst ver­loren – das hat immer die Fas­zi­na­tion des Fuß­balls aus­ge­macht.

Infan­tino täuscht sich

Doch das kann nur funk­tio­nieren, wenn der Fuß­ball nahbar ist, wenn er sich nicht abschottet und den Ein­druck erweckt, er hätte mit der Gesell­schaft um ihn herum über­haupt nichts zu tun. Genau daran aber ver­su­chen sich die Ver­bände und Spit­zen­klubs gerade wieder, sei es durch anschwel­lendes Funk­tio­närs­ge­rede vom angeb­lich unpo­li­ti­schen Fuß­ball, durch immer bizarrer anmu­tende Restrik­tionen für die Presse oder durch den devoten Knie­fall vor auto­ri­tären Regimes, die mit ihren Mil­li­arden den Spit­zen­fuß­ball noch kor­rum­pierter dastehen lassen, als er zuvor ohnehin schon war. Die WM in Katar war nur ein vor­läu­figer Tief­punkt.

Und des­halb war dieses Tur­nier kein Sieg für Infan­tino. Der FIFA-Boss glaubt, dass der Fuß­ball auf all jene ver­zichten kann, die kri­tisch nach­fragen, die auf die Ein­hal­tung der Men­schen­rechte pochen, die den Fuß­ball an seine gesell­schaft­liche Ver­ant­wor­tung erin­nern. Er täuscht sich, der Fuß­ball braucht sie drin­gender denn je.