Als Bayer Leverkusen im Sommer 2008 die Verpflichtung von Renato Augusto bekannt gab, wurde der damals 20-Jährige Brasilianer mit dem Prädikat „neuer Kaká“ versehen. „Neuer Kaká“, das war zum einen ein Label, dass dem unwissenden deutschen Fußballfan einen Eindruck vom Spiel des neuen Bundesliga-Brasilianers geben sollte, zum anderen war es aber auch eine schwere Bürde. Schließlich war Kaká seinerzeit amtierender Weltfußballer und der Archetyp des „neuen Brasilianers“. Rasend schnell, technisch perfekt, schnörkellos, präzise und frei von Partykapriolen. Kurz: Die perfekte Mischung aus europäischem Pragmatismus und brasilianischer Spielfreude.
Im Frühjahr 2011 wirkt Kaká wie ein Auslaufmodell des Weltfußballs. Ein Spieler, der mit gerade einmal 28 Jahren seinen Höhepunkt anscheinend schon überschritten hat und nach zahlreichen Verletzungen die wichtigen Spiele seines Klubs Real Madrid von der Bank aus beobachtet. Renato Augusto hingegen ist bei Bayer Leverkusen wichtige Stammkraft und auch Hoffnungsträger. „Er ist unglaublich dynamisch und gleichzeitig wahnsinnig kreativ. Die meisten können nur eins von beidem“, sagt Manager Michael Reschke, der den Brasilianer 2008 für etwa sechs Millionen Euro unters Bayer-Kreuz lotste. Und wenn Bayer Leverkusen am Sonntag gegen Schalke 04 spielt, ist Renato Augusto der größte Trumpf im Offensivspiel von Trainer Jupp Heynckes.
Berlusconi haut dazwischen
Dabei wollte Leverkusens Manager Michael Reschke im April 2008 eigentlich einen ganz anderen Brasilianer unter Vertrag nehmen: Innenverteidiger Thiago Silva, der mittlerweile beim AC Mailand spielt. Der Berlusconi-Klub funkte aber im letzten Moment dazwischen. Damit war Bayer aus dem Rennen: „Das Angebot war so hoch, dass er im Mailand netto mehr verdient, als er bei uns an Bruttolohn bekommen hätte.“ Weil Reschke aber nicht ohne einen neuen Spieler nach Hause gehen wollte, konzentrierte er sich auf Renato Augusto. Als er den 19-Jährigen Mittelfeldspieler zum ersten Mal spielen sah, schickte Reschke sofort eine SMS an Leverkusens Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser und Sportdirektor Rudi Völler: „Ich habe die Sonne aufgehen gesehen.“
Doch das erste Treffen mit den verschiedenen Inhabern der Transferrechte geriet fast zur Katastrophe. Als Reschke den Brasilianern sagte, dass er eine Transfersumme von nur fünf Millionen Euro zahlen kann, verließen die empörten Verhandlungspartner fast den Raum. „Die haben mich angeguckt, als ob ich eben eine Bombe geköpft hätte“, erinnert sich Reschke.
Renato Augusto ist die Top-Meldung in den Nachrichten
Aber der Bayer-Manager schaffte es, die Situation zu beruhigen. Zäh blieben die Verhandlungen trotzdem. Reschke: „Das waren sicherlich die kompliziertesten Vertragswerke, die ich bisher ausgehandelt habe.“ Die Brasilianer ließen den Bayer-Manager häufig warten, manchmal platzten die Verhandlungstermine sogar komplett. Die Gespräche zogen sich über Stunden und Tage. Reschkes großer Vorteil: Er verstand sich von Anhieb blendend mit dem 19-Jährigen brasilianischen Jungstar, der ihn später sogar mit zu einer Sambashow in die Favellas von Rio nahm. „Ein hochintelligenter Junge“, lobt er seinen Schützling, dem er während der Verhandlungen zuraunte: „Wenn ich hier weg fliege, dann will ich, dass du neben mir sitzt. Vorher fliege ich nicht.“ Bayer bekam die Brasilianer, große Teile der Transferrechte blieben aber bei ihren bisherigen Eigentümern in Brasilien. Der Transfer war damals so bedeutend, dass er sogar in den Abendnachrichten des brasilianischen Fernsehens als Top-Meldung verlesen wird.
Eine große Nummer ist die ehemalige Nummer zehn des brasilianischen Renommierklubs Flamengo noch heute. Und ein Fan seines Ex-Klubs. Als Flamengo letztes Jahr die Meisterschaft holte, war Renato Augusto auf der Tribüne. Nicht im VIP-Bereich, sondern mit Maske und Perücke bei den normalen Fans. Fußballerisch hingegen hebt der bodenständige Brasilianer langsam ab. In dieser Saison hat er seine einzige Schwäche abgestellt. Er schießt jetzt auch Tore. Nur eins mag er gar nicht: Mit Kaká verglichen werden.
Auf Seite zwei: Bayer Leverkusens Manager Michael Reschke im exklusiven Interview zum Renato Augusto-Transfer »>
Michael Reschke, wie enttäuscht waren Sie, als der Transfer von Thiago Silva 2008 platzte?
Michael Reschke: Wir standen vor einer Situation, in der drei, vier Monate Arbeit auf einmal umsonst waren. Wir waren total überzeugt vom ihm.
Dass Milan dazwischen funkte, war also auch eine große persönliche Enttäuschung für Sie?
Michael Reschke: Absolut. Aber wissen Sie was? Ich habe damals mit Rudi Völler telefoniert und der hat mir gesagt: „In allem Negativen ist immer etwas Positives.“
Renato Augusto.
Michael Reschke: Genau. Aber die Summen, die damals für Renato Augusto im Gespräch waren, hätten wir nie zahlen können. Alles im zweistelligen Millionenbereich. Er war schließlich die Nummer zehn von Flamengo Rio de Janeiro. Ein kommender Nationalspieler. Und das alles schon mit 19 Jahren. Aber er hatte sich zu dem Zeitpunkt gerade erst von einer schweren Gesichtsverletzung erholt. So war die Konkurrenz geringer. Nur deshalb konnten wir ihn bekommen.
Waren es schwierige Verhandlungen?
Michael Reschke: Daran beteiligt waren Renato Augustos Berater Carlos Leite (dessen Agentur auch Transferrechte an Renato Augusto hält, d. Red.) und eine Agentur namens Traffic, die ebenfalls Transferrechte an Renato hält. Mit denen habe ich mich dann getroffen. Mit zwei Parteien zu verhandeln, ist ohnehin schwierig, aber als ich denen dann gesagt habe, dass wir fünf Millionen als Ablöse zur Verfügung haben, guckten die mich entsetzt an. Die wollten direkt wieder aufstehen und gehen.
Wie konnten Sie sie vom Gegenteil überzeugen?
Michael Reschke: Ich habe sie beruhigt. Schließlich fanden wir ein Modell, mit dem alle zufrieden waren. Wir haben 5,2 Millionen Euro für die Transferrechte von Flamengo bezahlt und ihn so vom brasilianischen Markt genommen. Die beiden anderen Rechteinhaber behielten dafür ihre Rechte und sind weiterhin an einem zukünftigen Transfererlös von Renato beteiligt. Sonst hätten wir ihn nie für so wenig Geld bekommen.
Das heißt, dass Sie nicht selbst entscheiden können, wann Renato Augusto verkauft wird und wohin?
Michael Reschke: Das stimmt. Wenn ein Angebot von zehn Millionen oder mehr kommt und Renato Augusto gehen will, können wir nichts tun. Wir bekommen dann das Geld, das wir damals für ihn gezahlt haben, zurück, plus einen Anteil von jedem Cent über den zehn Millionen. Aber es war eben die einzige Möglichkeit, ein solches Juwel zu bekommen.
Sie könnten Ihn also im Ernstfall nicht halten?
Michael Reschke: Doch. Es gibt nämlich eine Klausel im Vertrag, die es uns ermöglicht, alle Transferrechte zu kaufen, wenn ein Angebot für Renato Augusto kommt. Quasi ein Vorkaufsrecht.