Der FC Liverpool lehnt eine von der FIFA getätigte Buchung für das Kempinski-Hotel in Katar während der Klub-WM ab. Und zeigt damit, wie man seinen eigenen Ursprüngen auch als Spitzenklub treu bleiben kann. Zumindest manchmal.
Auf einer dieser vielen künstlich angelegten Inseln von Doha steht es. Groß, prächtig, protzent. Das Kempinski-Hotel in Doha – das „Marsa Malaz“, wie es auch heißt. Eine kleine Straße führt die Gäste einige hundert Meter schnurstracks vom „Festland“ zur Hotel-Insel des Kempinskis. Ab dort ist alles exklusive, schön, reich und so unbeschwert. Vom Privatstrand des Hotels hat man einen herrlichen Blick auf den Persischen Golf. Doch ausgerechnet der europäische Fußball-Champion, der FC Liverpool, will dort nicht hin. Wie The Athletic berichtet hat sich der Klub damit gegen die Planung der FIFA im Zuge der Klub-Weltmeisterschaft gewandt.
Als es im Vorfeld der WM-Vergabe 2022 in Katar Kritik an den Arbeitsbedingungen derer gab, die unter anderem aus Bangladesch und Nepal rekrutiert wurden, um fernab der Heimat bei 45 Grad Celsius zwischen 10 und 12 Stunden pro Tag, einen Hungerlohn empfangend, die Stadien für die FIFA-WM 2022 zu bauen, da wurden sie nervös, die Herren der FIFA in den dunklen Anzügen. Wenig Später ließ Franz Beckenbauer, selbst Aushängeschild der FIFA, verlauten, er sei oft in Katar – Sklaven hätte er dort noch nie gesehen. Die Glaubwürdigkeit Beckenbauers im Hinblick auf seine Ämter bei der FIFA und seine Rolle bei den Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften ist mittlerweile längst verloren.
Klimatisierte Stadien
An den Arbeitsbedingungen der laut Amnesty International aktuell 1,7 Millionen migrantischer Arbeitskräfte in Katar hat sich hingegen nichts geändert. Sie arbeiten noch immer. Noch immer 10 bis 12 Stunden täglich. Und noch immer unter anderem daran, dass Zuschauer und Spieler bei der WM in knapp drei Jahren in einem wohl temperierten Stadion spielen und sitzen. Ein Fußballspiel bei 45 Grad sei unzumutbar, da war man sich bei der FIFA schnell einig. Für die Arbeit an einem Stahlträger eines Stadiondaches gilt diese Logik nicht. Auch die Löhne haben sich nicht geändert und Arbeiter, welche an den Klimaanlagen der Stadien schuften, berichten davon, dass ihnen die Pässe weggenommen wurden. Das macht es aus Sicht der Arbeitgeber natürlich leichter, macht aus Arbeitern aber jene Sklaven, die Beckenbauer nie gesehen haben will und widerspricht damit nicht nur jeglicher Vorgaben einer Ethik-Kommission, sondern auch jeglichem geltenden internationalen und katarischen Recht.
Zurück ins „Marsa Malaz“: Im Dezember 2019 wird es unweit von hier zur FIFA Klub-WM kommen. Der Klub rund um Trainer Jürgen Klopp wird am 18. Dezember im Halbfinale in das laufenden Turnier einsteigen, um wenige Tage später möglicherweise im Finale zu stehen. Doch während die FIFA den Champions-League-Sieger ins Kempinski-Hotel eingebucht hatte, wandte sich dieser jetzt gegen diese Entscheidung, wie unter anderem The Athletic berichtet.
Der Guardian hatte im Oktober 2018 eine Recherche veröffentlicht, welche die Arbeitsbedingungen der Hotelangestellten offen legte. Wie auch die zahlreichen Arbeiter in und an den WM-Stadien stammen demnach viele Hotelangestellte aus Nepal oder Bangladesch. Und auch ihre Arbeitsbedingungen sind unzumutbar. So berichtet der Guardian etwa über das Sicherheitspersonal, welches täglich etwa 12 Stunden in der Hitze Katars Dienst leistet und dafür mit ca. 8 Dollar entlohnt wird. Im Bericht des Guardians ist die Rede von monatelang fehlenden „freien Tagen“ der Angestellten und kaum zu leistendenden Strafzahlungen bei Regelverstößen.
Obwohl ein offizielles Statement der „Reds“ bisher noch aussteht, scheint sich der Tabellenerste der Premier League genau aus diesen Gründen gegen einen Aufenthalt entschlossen zu haben und zeigt damit anderen europäischen Top-Klubs, wie ein kritischer Umgang u.a. mit der FIFA und internationalen Geldgebern aussehen kann. Nur unweit des Kempinskis in Doha liegt die „Aspire Football Academy“. Ein beliebtes Ziel für Klubs aus Europa, um im bitterlich kalten Januar Mitteleuropas „Top Bedingungen“ vorzufinden, wie von den Seiten der Klubs fleißig betont wird. Unter ihnen Paris Saint Germain, einige Bundesligisten und der deutsche Rekordmeister aus München, dessen Trikotärmel vom Sponsoring „Qatar Airways“ geschmückt wird.
Barfuß kicken
Natürlich hat sich der FC Liverpool zu einem dieser durchgestylten Giga-Klubs entwickelt. Zu einer Marketingmaschine die in Zeiten der Saisonvorbereitung um den halben Globus fliegt um dort, am anderen Ende der Welt, die Gesichter ihrer Spieler vor jede Kamera zu quetschen. Und auch in Liverpool gibt es eine exorbitante Preissteigerung der zu erwebenden Tickets, was insbesondere in weniger privilegierten Gegenden Englands eine entfremdende Wirkung auf die Zuschauer der Premier League hat. Auf der Brust der „Reds“ ist der Schriftzug eines großen internationalen Finanzunternehmens zu sehen, welches Die Zeit einst „Schurkeninstitution“ nannte.
Der Klub von Mohamed Salah und Co. bietet längst keinen Ort mehr für uneingeschränkte Fußball-Romantik, aber er zeigt zumindest mit dieser Entscheidung, dass er möglicherweise Grundsätze seiner eigenen Identität befolgt. Sich als Arbeiterklub in einer Arbeiterstadt gegen schlechte Arbeitsbedingungen derer einzusetzen, welche tausende Kilometer entfernt versuchen ihre Existenz zu sichern, ist ein Zug, der die Glaubwürdigkeit des Klubs untermauert. Und auch Superstar Sadio Mane gefiel in den vergangenen Tagen mit einem altruistisches Plädoyer dafür, sich auf seine Ursprünge zu besinnen – fernab des Glanzes und des Reichtums, den der moderne Spitzenfußball so mit sich bringt. Er müsse keine Luxusautos fahren, keine Privatjets fliegen. Vielmehr ginge es ihm darum, das zurückzugeben, was das Leben ihm ermöglicht habe. Zurück dahin, wo er das Kicken gelernt habe. Barfuß, den ganzen Tag.