3 Jahre hat es gedauert, doch an Pfingsten war es soweit: Energie Cottbus steigt ab. Natürlich ist dies keine Überraschung, sondern eine Zwangsläufigkeit. Kein Geld schießt eben keine Tore.
Allerdings bedeutet Cottbus‘ Abstieg, dass das kommende Spieljahr die nach 2005/06 zweite Bundesligasaison ohne Beteiligung der inzwischen nicht mehr ganz so neuen Länder wird. Der Aufschrei ist groß. Doch er war schon lauter. Beinahe resignierend wird der Abstieg von Energie Cottbus hingenommen und stets entschuldigend eingeworfen, die wirtschaftlichen Gegebenheiten hätten diesen Abstieg erzwungen. Insofern ist es gar nicht genug zu würdigen, was Energie in einer der wirtschaftlich schwächsten Regionen des Landes auf die Beine gestellt hat. Eines ist nämlich unumstößlich – erfolgreicher Fußball kann im darwinistischen Profigeschäft auf Dauer nur dort gespielt werden, wo dies die finanzielle Rahmenbedingungen zulassen. Und die Bedingungen im Osten lassen dies eben nicht zu. Ökonomische Logik, aber trotzdem bitter.
Gesetzmäßigkeiten, die natürlich auch für Schleswig-Holstein gelten, eine Region, in der es noch nie Erstligafußball zu sehen gab. Dort jammert niemand, nur standen der VfB Lübeck oder Holstein Kiel nie dort, wo sich einst Dynamo Dresden oder der 1.FC Magdeburg aufhielten. So wird die Vergangenheit zum Ballast und die Gegenwart zum Spagat zwischen den Erinnerungen an glanzvolle Europapokalabende und dem Alltag mit Spielen gegen Wacker Burghausen oder dem VfL Wolfsburg II.
Kein Hoffnungsschimmer im Teufelskreis
20 Jahre nach der Wende lautet der pauschale Tenor: »Dem Ostfußball geht es dreckig.« Ulf Kirsten, Eduard Geyer oder »Dixie« Dörner, allesamt Idole Dynamo Dresdens, schlagen gemeinsam in diese Kerbe und überbieten sich in ihrem Bedauern, dass die Bundesliga im kommenden Jahr einen Bogen um die ehemalige DDR machen wird.
Hoffnungsschimmer sehen sie nicht, viel eher verorten sie den Ostfußball in einem ökonomischen Teufelskreis. Betrachtet man allerdings die jeweiligen Vereine und vermeidet unnötige Pauschalisierungen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Ein Bild von Wendegewinnern und Wendeverlierern.
Es ist eine Ironie des Mauerfalls, dass ausgerechnet Hansa Rostock und Energie Cottbus den überaus schmierigen Titel »Leuchtturm des Ostens« tragen. Zu Zeiten der DDR-Oberliga haftete beiden Teams mehr (Cottbus) oder weniger (Rostock) das Image eines Fahrstuhlklubs an. Den Platzhirschen aus Dresden, Leipzig oder Berlin konnten sie damals nicht das Wasser reichen und verbleiben in Ostalgie-Chroniken entsprechend als Randnotiz. Folglich war die Fallhöhe für sie gering, wovon in erster Linie Hansa Rostock profitieren konnte. Während die Spitzenvereine im Sommer 1990 leergekauft wurden, Matthias Sammer, Ulf Kirsten oder Thomas Doll in die lukrative Bundesliga wechselten, blieb der Kader der Hanseaten beisammen und fand sich urplötzlich als Branchenprimus wieder. Der für die Bundesliga als zu abgehalftert geltende Uwe Reinders wurde als Trainer verpflichtet und erteilte dem Verein wertvolle Lektionen in puncto Profifußball. Hansa lernte schnell, überholte in nur einem, allerdings weichenstellenden Jahr die einst weit einteilten Konkurrenten und schuf sich ein relativ stabiles Fundament, von dem der inzwischen im gesamtdeutschen Fußball etablierte Verein noch heute profitiert und sich in der Grauzone zwischen den Ligen eingependelt hat. Der natürliche Lebensraum für eine Stadt und einen Verein dieser Größe.
Ein solches Fundament fehlt der durch die eigene Historie verwöhnten SG Dynamo Dresden. Zwar schafften auch die Sachsen den direkten Sprung in die Bundesliga, verabschiedeten sich aber nach vier Jahren mit ihrem Fall in die Regionalliga aus der landesweiten Wahrnehmung. Noch 1989 standen die Dynamos im Halbfinale des UEFA-Cups, ein Erfolg, der sich zwangsläufig auf das Selbstverständnis des Vereins niederschlug. Den eigenen Ansprüchen verpflichtet, begab sich Dynamo, naiv auf eine goldene Zukunft hoffend, in die Fänge zwielichtiger Glücksritter und wurde ruiniert.
Noch heute, 14 Jahre später, gilt Rolf-Jürgen Otto in Dresden als Totengräber des Vereins und damit als persona non grata. Dynamo scheiterte am nahtlosen Übergang in die Marktwirtschaft und so wurde Dynamo zu einem Luxussportwagen, dem es an Kraftstoff fehlte. Kleinere Brötchen zu backen, lernte Dynamo erst spät, zu spät, um direkt im gesamtdeutschen Profifußball anzukommen. Mittlerweile spielen die Dresdner mit mäßigem Erfolg in der 3. Liga und erhoffen sich einen Kick durch ihr modernisiertes Stadion.
Der Sturz ins Bodenlose
Während Dresden wenigstens auf einige Bundesligajahre verweisen kann, fielen andere Schwergewichte der Oberliga ins Bodenlose. Weder der BFC Dynamo, Rekordmeister der DDR, noch der 1.FC Magdeburg, einziger ostdeutscher Europapokalsieger, spielten seit der Wende auch nur eine Sekunde Profifußball. Sie scheiterten am Cut der Saison 1990/91, verpassten die Qualifikation für eine der Bundesligen und schwelgen seitdem wehmütig in Erinnerungen an bessere Zeiten. Der BFC hat sich mit seinem Schicksal arrangiert und kultiviert sein Image als »Bad Boy« des Amateurfußballs , der FCM aber scheint seine Depression überwunden zu haben. Eine schmuckes Stadion steht für einen viel versprechenden Neubeginn, dem sich zuletzt lediglich großes Pech in den Weg stellte. 2007 scheiterten die Elbestädter nur um ein Tor am Aufstieg in die 2. Liga, 2008 ähnlich knapp an der Qualifikation für die 3. Liga.
Immer wieder taucht das Argument auf, der DFB habe die Türen für Ostklubs nicht weit genug geöffnet. »2+6« lautete die einstige Zauberformel, zwei Vereine in die 1. Bundesliga, 6 Vereine in die 2. Bundesliga. Letztendlich war aber nicht die fehlende Quantität der Vereine für die überwiegend negative Entwicklung ausschlaggebend, sondern die Qualität der Starthilfe durch den DFB. Den kapitalistischen Mechanismen zeigten sich die meisten Vereine nicht gewachsen und fühlten sich in dieser wichtigen Frage vom DFB allein gelassen. In der DDR wurden Spieler zugewiesen, euphemistisch »Delegierung« genannt, und finanzielle Belange von den sogenannten Trägerbetrieben geregelt. Doch auf einen Schlag funktionierte das Geschäft vollkommen anders und so brachte die Wende und der daraus resultierende Übergang in den Profifußball eine gefährliche Mischung aus Naivität, Unwissenheit und Überforderung mit sich. Talentierte Spieler, das Tafelsilber des Ostens, gingen und ließen ausgeblutete Vereine zurück.
Ist die ostlose Bundesliga nun der »Super-Gau«? Wenn überhaupt, dann handelt es sich um einen latenten »Super-Gau«, denn dass 17 von bislang 18 Nachwendesaisons mit ostdeutscher Beteiligung stattfanden, verschleiert eine Tatsache. Noch nie hat es einen wirklich aussichtsreichen Bundesligisten aus den neuen Ländern gegeben. 1996 und 1998 landete Hansa Rostock zwar jeweils sensationell auf Platz sechs, ansonsten war die Bundesliga sowohl für Cottbus, Rostock, Dresden als auch den VfB Leipzig ein einziger Kampf gegen den Abstieg. Höhere Ziele waren utopisch. Alle Vereine agierten an ihrem Limit und waren trotzdem nur bedingt konkurrenzfähig. Für den Europapokal konnte sich bislang lediglich Union Berlin qualifizieren, als sie 2001 den Platz des Pokalsiegers Schalke 04 einnahmen, der seinerseits in der Champions League antrat. Mit anderen Worten: eine Eintagsfliege. Die Besucherzahlen sind entsprechend. Bei allem Wirbel, der um den Ostfußball und seine vermeintlich düstere Zukunft gemacht wird, fällt der Blick kaum darauf, dass die ostdeutschen Vereine keine wirklichen Zuschauermagneten sind. Ausverkaufte Stadien sind selten zu vermelden, die Partie des kriselnden FC Hansa gegen den SC Freiburg taten sich Anfang des Jahres nur noch 7.000 Unentwegte an, dem Aufstieg des 1.FC Union wollten noch nicht einmal 10.000 Fans beiwohnen. Die Fortuna aus Düsseldorf, die die Berliner in die 2. Liga begleiten wird, hingegen konnte ihren Aufstieg vor und mit 50.000 Zuschauern feiern. Das Interesse an den jeweiligen Vereinen scheint damit weitaus geringer zu sein als das medial stark aufbereitete und in erster Linie der Politcal Correctness geschuldete Jammern vermuten lässt.
Die Situation ist verfahren, denn die ostdeutschen Vereine gönnen einander natürlich nichts, schließlich sind sie Konkurrenten. So groß die regionalen Animositäten, so rar sind potente Sponsoren und die Klubs werden zu Konkurrenten um die Stücke eines kleinen Kuchens. Kein Verein würde zugunsten eines anderen zurückstecken. Ein Umfeld, in dem ein wirklich leistungsfähiger Verein nicht gedeihen kann. Woher soll das nötige Kleingeld also kommen?
Möglicherweise aus Österreich, denn der Brausegigant »Red Bull« plant seinen Einstieg in den deutschen Fußball. Nachdem er vor einigen Jahren mit dem Ansinnen, den FC Sachsen Leipzig zu übernehmen, scheiterte, will »Red Bull« nun den Retortenklub Rasenball Leipzig aus dem Boden stampfen. RB Leipzig übernimmt hierzu das Oberliga-Startrecht des Vorstadtklubs SSV Markränstädt und will ab 2010 im WM-erprobten Zentralstadion spielen. Eine optimale Konstellation für den österreichischen Investor. Eine große Stadt, in der sich der FC Sachsen und der 1.FC Lokomotive gegenseitig bekämpfen und dabei viele Fußballhungrige zurücklassen, die sich längst ermüdet vom Leipziger Kleinkrieg abgewendet haben. Auf diese potentiellen Zuschauer sieht es RB Leipzig ab und will sie ins piekfeine Zentralstadion locken, damit dieses nicht endgültig zu einer Investitionsruine verkommt.
Es riecht nach einer Erfolgsgeschichte. Mit dem teilweise inflationär gebrauchten Begriff der Tradition wird dieser Retortenklub natürlich nichts zu tun haben und damit vielerorts anecken. Dass man sich von Tradition aber nichts kaufen kann, weiß man in Ostdeutschland schon lange.