Wegen rassistischer Beleidigungen war Saarbrückens Dennis Erdmann zu einer achtwöchigen Sperre verurteilt worden. Er ging in Berufung – und lieferte plötzlich ein „fiktives Geständnis“. Chronologie eines Konflikts ohne Gewinner.
Die Rahmenbedingungen für einen wunderbaren Spätsommerabend stimmten: Sonnenstrahlen im Stadionrund, englische Woche, Topspiel zwischen Saarbücken und Magdeburg. Für alle, die es mit dem FCS hielten, ging es sogar traumhaft weiter: Saarbrücken setzte sich in einem intensiven Duell mit 2:1 durch und schloss zur Drittligaspitze auf. Einfach perfekt. Nur redete anschließend niemand mehr über das Spielgeschehen. Der Grund: Magdeburger Profis gaben an, während der Partie wiederholt rassistisch beleidigt worden zu sein – und zwar von Saarbrückens Dennis Erdmann. „Das war der Wahnsinn, da kamen Sprüche wie ‚Sag deinen Eltern, die sollen wieder zurückpaddeln.’ Das N‑Wort hast du permanent gehört und immer war eine dreckige Lache dabei“, sagte Magdeburgs Amara Condé der „Bild“.
Heftige Vorwürfe, die sogleich von einer Reihe FCM-Profis gestützt wurden. Dennis Erdmann wollte davon hingegen nichts wissen und bestritt die Äußerungen vehement. Über seinen Klub ließ er ausrichten: „Ich habe lediglich gesagt, halte die Klappe und spiele weiter Fußball. Der Schiedsrichter stand direkt daneben.“ Viel größer kann sich die inhaltliche Kluft zwischen zwei Berichten nicht darstellen – im Grunde ein beispielhafter Fall von „Aussage gegen Aussage“. Schiedsrichter Robert Kampka konnte jedenfalls nicht zur Aufklärung beitragen. Der Unparteiische gab im Nachgang an, nichts von etwaigen rassistischen Beleidigungen mitbekommen zu haben. Da demzufolge auch kein Vermerk im Spielberichtsbogen erfolgte, war das weitere Prozedere klar: Verhandlung vor dem Sportgericht.
„Sie schenken denjenigen, die betroffen sind, mehr Glauben“
Noch bevor es zum Prozess kam, hatte der Fall bereits große Wellen geschlagen. Auch die Vertagung der Verhandlung nach einer ersten Anhörung – inklusive vorübergehender Sperre Erdmanns – beruhigte die Gemüter nicht unbedingt. „Die Vorwürfe beruhen auf teilweise unterschiedlichen Aussagen von wenigen Gegenspielern, die sich erst nach dem verlorenen Spiel an die vermeintlichen Aussagen erinnert haben wollen. Dies sorgt für einen Beigeschmack“, sagte etwa Erdmann-Berater Laurent Burkart gegenüber „liga3-online.de“. Das DFB-Sportgericht sah das anders. Für die Richter ergaben die Aussagen der FCM-Profis ein derart schlüssiges Bild, dass sie Erdmann am Ende des zweiten Verhandlungstages für acht Wochen aus dem Verkehr zogen und zudem eine Geldbuße in Höhe von 3.000 Euro verhängten. Eine deftige und – bei Feststellung der Schuld – doch angemessene Strafe. Anschließend wurde es schmutzig. Plötzlich tauchten Stimmen auf, die einen Komplott gegen Erdmann vermuteten. Der saarländische Schiedsrichter Kai-Uwe Kinne wollte als Zuschauer beim Magdeburger Abschlusstraining sogar gehört haben, wie sich die Profis Atik und Condé verabredet hätten, um Erdmann am Abend zu verletzen. Das sagte Kinne zumindest der „Bild“.
Kaum verwunderlich also, dass es in eine weitere Runde ging. Erdmann, der nach wie vor seine Unschuld beteuerte, legte Mitte September Berufung gegen das Urteil ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Fall die nächste Dimension bereits erreicht: Plötzlich ging es nicht mehr nur um die Frage, welche Sätze tatsächlich gefallen waren, sondern auch darum, ob an Erdmann womöglich ein Exempel statuiert werden solle. Erdmann und der 1. FC Saarbrücken witterten große, wenn nicht strukturelle Ungerechtigkeiten. So sagte FCS-Trainer Uwe Koschinat der „Bild“, die Vorwürfe seien „in keiner Form bewiesen, aber sie schenken denjenigen, die betroffen sind, mehr Glauben.“
Umso überraschender, was am letzten Mittwoch, dem Tag der Berufungsverhandlung, geschah. Erdmann, der sich bis zu diesem 13. Oktober als Opfer einer regelrechten Verleumdungskampagne gesehen hatte, ließ über seinen Anwalt ausrichten, dass „es angesichts des hektischen Spielgeschehens zu Missverständnissen“ gekommen sein könnte. Wenn das der Fall gewesen sei, tue es ihm leid. Die Berufung bezog sich damit nicht mehr auf die Beleidigungen als Tatbestand, sondern nur noch auf die ausgesprochene Strafe. Erdmann wollte das neue Statement zwar nicht als Geständnis verstanden wissen, im juristischen Sinne ist es das jedoch.
Achim Späth, Vorsitzender Richter des DFB-Bundesgerichts, bestätigte das und sprach von einer „Geständnisfunktion“. Somit durften die erneut geladenen Zeugen wieder abreisen. Ganz im Sinne Erdmanns: Er habe den Kollegen nun mal keinen unnötigen Aufwand bescheren wollen. Letztlich ging die frisch entworfene Taktik des Angeklagten auf. Die ausstehende Strafe von zwei Spielen Sperre wurde bis Saisonende zur Bewährung ausgesetzt. Erdmann darf ab sofort wieder spielen und muss auch keine 3.000 Euro berappen. „Ich bin froh, dass es vorbei ist“, sagte er der „Saarbrücker Zeitung“. Und: „Ich habe nicht gesagt, was mir da vorgeworfen wurde.“
Was also bleibt von der ganzen Sache? Vor allem Verlierer. Da ist zum einen Erdmann selbst, der sich erst grob ungerecht behandelt fühlte und entsprechend verteidigte, um urplötzlich ganz andere Töne anzuschlagen – für zwei Spiele Sperre weniger. Nicht zuletzt war es um Erdmanns Ruf gegangen, dessen Wiederherstellung ein (Pseudo-)Geständnis nicht gerade garantiert. Und zum anderen sind da die Bemühungen gegen den Rassismus. Dass einem möglichen Missverständnis eine Geständnisfunktion zugewiesen wird, ist aus juristischer Perspektive nachzuvollziehen. Allerdings drängen Reduzierung der Strafe sowie zugehörige Begründung zumindest die Vermutung auf, dass es am Ende auch darum gegangen sein könnte, die schwierige Auseinandersetzung mit Fall und Thematik schnellstmöglich zu beenden. Bekräftigt wird das durch eine DFB-Mitteilung, nach der sich strafmildernd ausgewirkt habe, „dass den 13 Zeugen durch dieses fiktive Geständnis die erneute Vernehmung und Belastung erspart blieb.“ Es wäre ein fatales Signal, wenn es auch zukünftig möglich bleibt, vergleichbare Fälle auf diese Weise ad acta zu legen.