Davie Selke wird ein Leipziger. Ein Wechsel, der viele Fragen hinterlässt. Und eine ganze Menge Unverständnis.
Aus der Sicht von RB Leipzig:
Für die so ambitionierten Leipziger ist Davie Selke ein Königstransfer. Nicht nur, dass der Verein einen der begehrtesten 20-jährigen Angreifer Deutschlands unter Vertrag nimmt, der im Sommer mit der Erfahrung von höchstwahrscheinlich über 30 Erstligaeinsätzen kommt. Sportdirektor Ralf Rangnick und Geldgeber Dietrich Mateschitz haben der Fußball-Welt auch eben mal vor Augen geführt, dass RB mit all seinen Möglichkeiten einem etablierten Erstligisten den talentiertesten Spieler wegschnappen kann. Die kolportierte Ablösesumme von acht Millionen Euro ist für einen Zweitligisten sehr hoch, beweist aber wieder einmal, dass es Leipzig an Geld nicht mangelt. Entsprechend generös dürfte auch das Gehalt für den Neuling aussehen, stehen doch sonstige Verlockungen für einen jungen Fußballer, dem es selbstverständlich um sportliche Ambitionen geht – sprich: Erstligafußball und Europapokal – in den Sternen. Doch solche Diskussionen werden den Leipzigern herzlich egal sein. Sie hatten die Möglichkeit, einen heiß begehrten 20-jährigen Stürmer zu verpflichten, haben das nötige Kleingeld dafür und dürfen sich nun gegenseitig mit den hübschen Getränkedosen zuprosten, die diesen Transfer möglich gemacht haben.
Aus der Sicht von Werder Bremen:
Fraglich, ob Werder ein gutes Geschäft gemacht hat. Zwar sind acht Millionen Euro für einen Klub, der von 2011 bis 2014 einen Verlust von insgesamt 32 Millionen Euro verkraften musste, eine Menge Geld. Doch drängen sich zwei Fragen auf. Erstens: Wenn Werder erst im September 2014 einen Vertrag bis 2018 mit Selke abgeschlossen hat, warum hofft man dann nicht auf eine weitere Wertsteigerung des Spielers in den kommenden Spielzeiten?
Zweitens: Wäre es nicht sinniger gewesen, einen so begabter Angreifer zu halten, der auf lange Sicht womöglich mitgeholfen hätte, Werder wieder in den Europapokal zu bringen? Aber offenbar ist die finanzielle Situation bei den Norddeutschen so miserabel, dass das Geld schon im Sommer benötigt wird und nicht erst in den kommenden Jahren. Die acht Millionen Euro „bieten uns Spielräume für die Gestaltung des Kaders“, erklärt Thomas Eichin. „Wir sind sicher, dass andere Werder-Talente diese Chance nutzen werden, um sich zu zeigen.“ Dass sich dank der neuen finanziellen Mittel rasch gleichwertiger Ersatz findet, darf zumindest bezweifelt werden, haben Eichin und Co. in der jüngeren Vergangenheit doch erstaunliches Geschick darin bewiesen, besagten Talente eben nicht die Chance zu bieten, sich zu präsentieren. Das hat sich erst unter dem neuen Trainer Viktor Skripnik verbessert. Vielleicht ist er der Grund für Eichins Optimismus.
Aus der Sicht der Werder-Fans:
Davie Selke zu RB Leipzig? Leider kein April-Scherz für den Bremer Anhang. Natürlich verliert kein Fan gerne einen erfolgreichen Spieler an einen anderen Verein. Aber in Selkes Fall schmerzt der Verlust noch etwas heftiger. Der Mann ist 20 Jahre alt, kommt aus der eigenen Jugend und hat mit seinem Auftritt bei der U‑19-EM im Sommer 2014 wenigstens für ein wenig Stolz im leidgeplagten Bremer Umfeld gesorgt. Gemeinsam mit Franco di Santo bildet er unter Trainer Viktor Skripnik ein beeindruckendes Sturmduo und hat erheblichen Anteil daran, dass die Zuschauer im Weserstadion keine Angst mehr vor dem Abstieg haben müssen. Seine Vertragsverlängerung im vergangenen Herbst und die blumigen Worte gingen runter wie Öl. Zwischenzeitlich hatte man ja schon den Eindruck, dass der Deutsche Meister von 2004 sein gesamtes Renommee versaut habe, aber dass sich ein so begehrtes Talent für Werder entschied, durfte als frohe Botschaft einer rosigen Zukunft verstanden werden.
Ein halbes Jahr später gibt der Verein die Meldung bekannt, dass man diese Mensch gewordene frohe Botschaft an den Meistbietenden verkloppt habe. Nicht zu Borussia Mönchengladbach, Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund oder den VfL Wolfsburg – Vereine, die Werder längst abgehängt haben und tatsächlich die verlockenderen sportlichen Ambitionen bieten – ‚sondern zu einem Zweitligisten. Dass es sich dabei um RB Leipzig handelt, tut im Grunde nichts zur Sache, doch ist der Ruf des Red-Bull-Projekts bekanntlich nicht der Beste. „Davie Selke hat bestimmt schon als Kind davon geträumt, einmal für RB Leipzig zu spielen“, kommentierte ein 11FREUNDE-User den Transfer bei Facebook. Diese süffisante Bemerkung trifft es ganz gut. Wäre Selke zu Gladbach, Leverkusen, Dortmund oder selbst Wolfsburg gewechselt – man hätte es irgendwie verstanden. Aber RB Leipzig? Das klingt so sehr nach Aprilscherz, dass man sich über den Zeitpunkt, den die Klubs für die Bekanntgabe des Wechsels gewählt haben, schon wieder schwarz ärgern könnte.