Am vergangenen Samstag hat der Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati in einem Kölner Hotel versucht, sich das Leben zu nehmen. Er ist mittlerweile außer Lebensgefahr und hat sich wegen eines „bei ihm diagnostizierten Krankheitsbildes“ in stationäre Behandlung in einem Krankenhaus seiner Heimatstadt Hannover begeben.
Mehr ist nicht bekannt. Und das aus guten Gründen. Denn warum Rafati versucht hat, sein Leben zu beenden, geht nur einen sehr überschaubaren Menschenkreis etwas an, seine Familie und seine Freunde. Der Öffentlichkeit hingegen müssen die Informationen, die bislang von der Polizei und der Familie gegeben wurden, ausreichen. Es gibt kein Recht darauf, mehr über Rafatis Motive oder Einzelheiten des Hergangs zu erfahren.
„Seit drei Tagen rätselt Fußball-Deutschland“
Man muss das noch einmal festhalten, angesichts einer Woche, in der ungeachtet der überschaubaren Faktenlage jeden Tag neue Spekulationen über das „Rafati-Drama“ (bild.de) veröffentlicht wurden. Und in der „Spiegel Online“ mit deutlich spürbarer Ungeduld feststellt: „Seit drei Tagen rätselt Fußball-Deutschland“.
Deprimierender jedoch als die erwartbaren Schlagzeilen auf dem Boulevard und anderswo ist die hektische Diskussion, die rund um den Selbstmordversuch Rafatis aufflammte. Am Wochenende war nach Theo Zwanzigers Pressekonferenz, in der sich der DFB-Präsident zu hilflosen Mutmaßungen verstieg („Ich kann es mir nur so erklären, dass der Druck auf unsere Schiedsrichter aus den unterschiedlichsten Gründen ungeheuer hoch ist“) zunächst wild darüber debattiert worden, ob der Profifußball Rafati in den Suizidversuch getrieben habe.
Die Art und Weise der Debatte deprimiert
Als dann die „Kölnische Rundschau“ von einem Polizeiermittler erfahren haben wollte, vermeintlich „private Gründe“ seien ausschlaggebend für die Verzweiflungstat gewesen, verebbte die Diskussion in Rekordschnelle wieder. Wegen erwiesener Unschuld des Profifußballs.
Deprimierend daran ist vor allem die Art und Weise der Debatte. Der Fußballbetrieb hierzulande scheint nur noch anlässlich größerer menschlicher Tragödien über sich selbst und seine Deformationen nachdenken zu können. Für wenige Wochen, bisweilen auch nur Tage wird dann mit Tränen in den Augen und bebender Stimme über den kalten und unbarmherzigen Profifußball geklagt, anschließend geht alles weiter wie bisher. Weil streng genommen niemand im Fußballbetrieb grundsätzliche Änderungen will.
Und deshalb biss sich die öffentliche Diskussion im Falle auch hartnäckig an einer Umfrage des „Kicker“ fest, der alljährlich den schlechtesten Schiedsrichter wählen lässt. Es gibt stichhaltige Argumente, diese Umfrage zu kritisieren. Weil sie ausgerechnet die Akteure an den Pranger stellt, die ohnehin jedes Wochenende im Kreuzfeuer der Kritik stehen. Nur glaubt doch niemand im Ernst, dass eine solche Umfrage mehr als eine Randnotiz ist. Es gibt sie bereits seit Jahren, bislang hatte niemand etwas an ihr auszusetzen. Und sie wirkt vergleichsweise harmlos verglichen mit dem, was jeden Samstag in den Stadien passiert.
Alltag der Referees: Wutschnaubende Trainer und Rudelbildungen
Seit Jahr und Tag gehört es beispielsweise zu den Gepflogenheiten des Bundesliga-Betriebes, dass sich nach dem Schlusspfiff wutschnaubende Trainer vor die Mikrofone stellen und den Schiedsrichter wahlweise der Blindheit, der Inkompetenz oder dunkler Machenschaften beschuldigen. Mitunter, wenn gerade mal wieder eine Sportgerichtsverhandlung ansteht, zeigt sich ein Trainer reumütig. Ansonsten gilt es nicht als unschicklich, wenn etwa Mainz-Coach Thomas Tuchel kürzlich im „Aktuellen Sportstudio“ über vermeintlich systematische Benachteiligung durch die Schiedsrichter lamentiert, ohne erklären zu können, welche dunklen Mächte Mainz 05 da unbedingt aus der Liga drängen wollen. Und es gehört schließlich ebenso zum Alltag, dass Referees auf dem Spielfeld nach strittigen Entscheidungen von den Spielern bedrängt werden. Wieviele Elfmeterpfiffe gab es in dieser Saison eigentlich ohne anschließende Rudelbildung rund um den Schiedsrichter?
Ob das alles so weiter gehen soll oder ob es Wege gibt, einigermaßen respektvoll miteinander umzugehen – darüber würde sich eine Diskussion lohnen, ganz unabhängig von den Ereignissen des Wochenendes. Wenn sie denn jemand führen will.