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Am kom­menden Wochen­ende findet in Berlin der Fan­kon­gress 2012 statt. Der Grund­ge­danke lautet: Wie schaut der Fuß­ball in der Zukunft aus und welche Rolle spielen die Fans dabei?“ Am Samstag und Sonntag wird es Podi­ums­dis­kus­sionen und Work­shops zu Themen wie 50+1, Pyro­technik, Anstoß­zeiten, Selbst­be­stim­mung in der Kurve, Soziale Ver­ant­wor­tung, Ein­tritts­preise etc. geben. Dis­kus­si­ons­teil­nehmer sind u.a. Martin Kind (Prä­si­dent von Han­nover 96), Jonas Gabler (Autor von Die Ultras“), Dirk Grosse (Sky Deutsch­land AG), Holger Hie­ro­nymus (Geschäfts­führer DFL), Hen­drik Große Lefert (Sicher­heits­be­auf­tragter DFB) oder Kevin Miles (Foot­ball Sup­porters Fede­ra­tion). Wei­tere Infos findet ihr auf www​.fan​kon​gress​-2012​.de.

Für unsere Repor­tage Das Ende der Eska­la­tion“ aus dem Heft #120 beglei­teten wir einen Tag lang Sze­ne­kun­dige Beamte wie den Frank­furter Ulf Stamer bei einem Risis­ko­spiel. Da es sich eben um ein sol­ches han­delte, geben die Schil­de­rungen mit­nichten all­täg­liche Vor­komm­nisse in allen deut­schen Sta­dien bei allen Spielen wider.

7:00 Uhr: Main­ufer

Es ist der Morgen vor dem Zweit­li­ga­spiel zwi­schen Ein­tracht Frank­furt und Hansa Ros­tock – bis zum Anpfiff der Partie sind es noch elf Stunden. Doch Frank­furter und Ros­to­cker haben sich ver­ab­redet, zu einem Match“, wie sie es nennen, einer Schlä­gerei am Main­ufer. Mitten in der Nacht sollen sich bereits um die 50 Per­sonen aus Meck­len­burg-Vor­pom­mern auf den Weg nach Frank­furt gemacht haben, die Polizei hat einen Tipp bekommen. Wenig später heißt es Zugriff“, die rund 80 ver­sam­melten Frank­furter werden fest­ge­halten, von Ros­to­ckern ist nichts zu sehen. Polizei ver­hin­dert Hoo­ligan-Schlacht“, titelt die Bild“ am nächsten Tag. Doch der früh­mor­gend­liche Ein­satz ist nur der Auf­takt eines unru­higen Tages.

11:00 Uhr: Frank­furter Haupt­bahnhof

Bei der WM 1998 wurde der fran­zö­si­sche Poli­zist Daniel Nivel von deut­schen Hoo­li­gans fast tot­ge­schlagen. Die­je­nigen, die damals in Lens vor Ort waren, berichten, dass schon den ganzen Tag über die Gewalt in der Luft lag, die auf­ge­heizte Atmo­sphäre bei­nahe kör­per­lich spürbar gewesen war. Auch die heu­tige Zweit­li­ga­partie ist kein gewöhn­li­ches Spiel, son­dern ein Hoch­ri­si­ko­spiel“ – das ver­deut­licht nicht nur die Poli­zei­prä­senz am Frank­furter Haupt­bahnhof. Die Frank­furter rekla­mierten in der ver­gan­genen Saison per Spruch­band den Titel Ran­da­le­meister“ für sich, in vielen Ros­to­cker Inter­net­foren war vor dem Spiel die Rede davon, sich jenen Titel zurück­zu­holen. Es geht ihnen darum zu zeigen, wer tat­säch­lich die här­teste Szene hat“, sagt Ulf Stamer.

Eine Gemenge­lage aus Gerüchten, Infos und Mel­dungen

Dann ertönt der Klin­gelton seines Handys: Born in the USA“ von Bruce Springsteen. Es werden an diesem Tag selten fünf Minuten ver­gehen, in denen Stamers Handy nicht klin­gelt. Springsteen selbst wäre wohl von seinem eigenen Intro ermüdet. Doch Kom­mu­ni­ka­tion ist an diesem Tag alles – Stamer muss aus einer Melange aus Gerüchten, Infos und Mel­dungen eine Fährte der Gegen­seite erkennen. Wo trifft sich der Mob? Ein Kol­lege aus Göt­tingen hat einen Neun­sitzer mit aus der Szene bekannten Gesich­tern auf einem Rast­platz aus­ge­macht, einige Infor­manten wähnen poten­zi­elle Gewalt­täter in einem Zug aus Berlin, und ein Beamter will gar davon gehört haben, dass sich ein ganzer LKW mit Pyro­technik von Ros­tock aus auf den Weg gemacht hat. Man braucht Erfah­rung, um zu wissen, wel­chen Infor­ma­tionen man ver­trauen kann und nach­gehen sollte“, sagt Stamer.

13:00 Uhr: Sta­di­on­wache

C, Gewa Spo, Drittortler“, gibt Stamer durch, immer zwi­schen Funk­spruch und Han­dy­ge­spräch chan­gie­rend. Es ist ein Chiffre für die Beschrei­bung eines Fest­ge­hal­tenen, der der Kate­gorie C“ ange­hört, also als gewalt­su­chend ein­ge­stuft wird, einen Ein­trag in der Datei Gewalt­täter Sport“ hat und an Schlä­ge­reien außer­halb der Sta­dien teil­ge­nommen hat. Auf wen diese Beschrei­bung zutrifft, der wägt bei Strei­tig­keiten nicht erst die ein­zelnen Argu­mente ab. Für das heu­tige Spiel scheint sich der harte Kern der Szene ange­kün­digt zu haben. Es ist nicht unge­wöhn­lich, dass bei sol­chen Anlässen auch Per­sonen außer­halb des Fuß­balls ange­zogen werden – aus der Tür­steher- oder Kick­box­szene bei­spiels­weise“, sagt Stamer. Die meisten aller­dings kennt Stamer, das geht soweit, dass er sich mit seinen drei Kol­legen schon Spitz­namen für die übli­chen Ver­däch­tigen über­legt hat.

Stamer, 1,90 m groß, Kapu­zen­pulli und Basecap, schlen­dert durch die Flure der Sta­di­on­wache und holt seine Kol­legen aus Ros­tock ab. Michael und Frank tragen weiße Shirts, Son­nen­brille, Turn­schuhe, haben sich den schwarzen Pulli um die Hüften gebunden. Zwi­schen all den Uni­for­mierten auf der Wache wirken die drei nun wie die beschrie­benen Drittortler, die sich ver­laufen haben. Sie stehen mit einem Bein in der Kurve, haben Kon­takt zur Szene, sind aber die­je­nigen, die Fest­nahmen und Strafen wie Sta­di­on­ver­bote in die Wege leiten. Die drei ziehen schnellen Schrittes los, Born in the USA“ ertönt, ein Bus mit C‑Fans soll auf dem Weg sein.

16:00 Uhr: Auto­bahn­brücke

Die sze­ne­kun­digen Beamten stehen auf einer Auto­bahn­brücke und über­wa­chen den Zustrom der Massen. Neben ein paar Rent­nern fla­nieren hier immer wieder einige Jugend­liche ohne Fan-Devo­tio­na­lien. Auch unten fahren junge Leute mit dem Fahrrad umher, immer das Handy am Ohr. Späher“, sagt Michael. Die geben durch, wo sich Poli­zisten auf­halten. Meis­tens sind es 15-Jäh­rige, die sich hoch­dienen wollen.“ Das Ganze erin­nert an ein Katz-und-Maus-Spiel, bei denen sich Jäger und Gejagte belauern. Die Gewinner dieser Sze­nerie sind die Mobil­funk­be­treiber, auf beiden Seiten wird auf­ge­klärt und geplant via Handy.

Nach einem dieser unzäh­ligen Anrufe hasten die Beamten auf den Park­platz, ein Bus Ros­to­cker ist ein­ge­troffen, die Insassen sollen eine Tank­stelle leer geräumt haben. Die Auf­gabe der Sze­ne­kun­digen ist es, zu iden­ti­fi­zieren, um wen es sich han­delt. Zwei B, Rest A“, sagt Frank, heißt: zwei gewalt­be­reite, der Rest Normal-Fans. Doch sein Blick ist skep­tisch. Es ist gefähr­lich ruhig.“ Mit 120 Ros­to­ckern wird gerechnet, 80 B, 40 C, 30 Gute“, so werden eta­blierte Schläger in der Szene genannt – nur wo treffen sie ein? Kommen sie per Bus, Auto oder Zug?

Späher, Robo­cops und böse Jungs

Der Schleier scheint sich zu heben, als per Funk auf der anderen Seite des Sta­dions Alarm geschlagen wird. Dort sam­meln sich an die hun­dert Frank­furter, sie ver­mummen sich, gehen dann ziel­strebig in das Wald­stück. Ulf Stamer spricht unun­ter­bro­chen in sein Funk­gerät unter dem Pull­over. Der Cat­walk“, sagt er, der Weg zwi­schen Bahnhof und Ein­gans­toren, hier pas­siert es also. Die Ros­to­cker reisen dem­nach mit dem Zug an. Die BFE rückt in großer Zahl an, die Beweis­si­che­rungs- und Fest­nah­me­ein­heit, unter Fans Robo­cops“ genannt.

Sie führen die Ros­to­cker durch den Wald, vorbei am DFB-Gebäude, andere Beamte springen durch das Gebüsch, Äste kni­cken, ein Böller knallt. Frank­furter bauen sich am Ende der Schneise auf. In dieser Reihe steht alles an bösen Jungs, was die Szene auf­bieten kann“, sagt Ulf Stamer. Der große Knall kann ver­mieden werden. Die Ros­to­cker gelangen zum Gäs­te­be­reich, doch sie haben eine sehr späte Anreise gewählt. Auf dem Spiel­feld steht es schon 1:0 für Frank­furt.

18:47 Uhr: Sta­dion, Beginn zweite Halb­zeit

Bis auf wenige Zwi­schen­fälle wie das Auf­ein­an­der­treffen der Frank­furter und Ros­to­cker Sta­di­on­ver­botler bleibt die erste Halb­zeit ruhig. Doch mit Wie­der­an­pfiff scheint der Ros­to­cker Fan­block zu brennen. Ben­galos, Böller und Leucht­ra­keten – mit einer Pyro­show sorgen die Ros­to­cker für eine zehn­mi­nü­tige Spiel­un­ter­bre­chung. Einige Leucht­ra­keten fliegen in Rich­tung Tri­büne, wo Roll­stuhl­fahrer und Fami­lien sitzen. Doch auch hier greift der Ran­da­le­tou­rismus um sich. Wäh­rend manche die Treppen hoch­jagen, bleiben andere stehen und filmen mit der Han­dy­ka­mera das Spek­takel. Der Ros­to­cker Anhang feiert sich aus­giebig und laut­stark.

Leucht­ra­keten fliegen in Rich­tung Tri­büne

Ulf Stamer und seine Kol­legen flitzen umher, ein Frank­furter Fan fragt: Warum habt ihr das nicht ver­hin­dert?“ Doch die Sache sei kom­pli­ziert, sagt Michael, der Ros­to­cker SKB. Diese Raketen sind nicht größer als ein Kugel­schreiber. Es ist schwer, bei den Ein­lass­kon­trollen das zu finden.“ Die Anhänger seien zudem kreativ, Rauch­pulver ins Sta­dion zu bekommen. Manche haben einen dop­pelten Boden im Schuh, andere nähen es in die Innen­seite der Jacke.“

Die Publi­city für die Rück­erobe­rung des Ran­da­le­meister-Titels haben die Ros­to­cker zumin­dest, die Fern­seh­sender halten drauf, nur wenige Tage nach dem Spiel hat ein You­tube-Video dazu Klicks im sechs­stel­ligen Bereich. Ver­letzt wird zum Glück nie­mand. Wenn man die Ver­ur­sa­cher darauf anspricht, sagen sie: Jeder, der mit Schal ins Sta­dion geht, muss damit rechnen, etwas abzu­be­kommen“, berichtet Michael. Auf dem Rasen ver­liert Hansa deut­lich mit 1:4, für einige ist das aber nicht das Inter­es­san­teste an diesem Abend.

22:30 Uhr: Bahnhof

Ros­tocks Fans wurden nach dem Spiel lange in der Kurve gehalten, um ein Auf­ein­an­der­treffen der Grup­pie­rungen zu ver­meiden. Und den­noch führt der Weg zum Bahnhof an einem Treff­punkt der Frank­furter vorbei. Stamers Handy klin­gelt wieder unauf­hör­lich, den­noch wirken die Beamten ruhig. 80 bis 100 sollen sich auf Frank­furter Seite ver­sam­melt haben, min­des­tens 50 C‑Fans. Als Ros­tocks Anhang durch den Wald geleitet wird, knallen Raketen, es wird laut, die Frank­furter kommen über einen Park­platz gelaufen.

Viele tragen Sturm­hauben. Steine fliegen, Böller knallen, ein Frank­furter rennt mit einem Stra­ßen­schild in der Hand los. Bevor beide Gruppen auf­ein­ander treffen, laufen erst die Poli­zei­pferde, dann die BFE dazwi­schen. Das Pfef­fer­spray zischt, die ganze Luft riecht nach Pfeffer, auf beiden Seiten lautes Gebrüll. Die sze­ne­kun­digen Beamten zücken den Schlag­stock, laufen durchs Getümmel und iden­ti­fi­zieren die Aggres­soren. Frank­furter jagen den Ros­to­ckern über Bahn­gleise hin­terher.

Ver­ab­re­dungen für Treffen im Wald

Nach einigen Minuten bekommt die Polizei die Situa­tion in den Griff, die Massen lösen sich auf, manche Fans bleiben liegen. Zwei Ros­to­cker halten sich trä­nen­über­strömt die Augen vom Spray, zwei Frank­furter sind von Steinen getroffen worden, einer am Kopf, einer am Arm. Letz­terer soll der Rädels­führer sein. Damit“, so Ulf Stamer, haben die Ros­to­cker end­gültig den Feh­de­hand­schuh für das Rück­spiel geworfen.“

Das Handy klin­gelt wieder. Es soll Ver­ab­re­dungen für ein Treffen im Wald geben. Frank­furter und Ros­to­cker sollen sich in Sach­sen­hausen auf­halten, 70 B, 20 C, min­des­tens zehn Gute“.